Gever: Fingerabdrücke der gesamten Bevölkerung werden erfasst

Die nordkurdische Widerstandsprovinz Colemêrg gilt als Laboratorium der Aufstandsbekämpfung. Nun wurde damit begonnen, die Bevölkerung der Stadt Gever vollständig daktyloskopisch zu erfassen. Diese Aufstandsbekämpfungsmaßnahme stößt auf heftige Kritik.

Die Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) grenzt an die Medya-Verteidigungsgebiete und ist eine Hochburg des kurdischen Widerstands. Insbesondere die Kreisstadt Gever (tr. Yüksekova) macht mit dem revolutionären Widerstand ihrer Bevölkerung immer wieder Schlagzeilen. Der türkische Staat stationierte in der Region zehntausende seiner Soldaten, Paramilitärs und Geheimdienstagenten. Die Region gilt heute auch als „offenes Gefängnis“. Nun geht der türkische Kolonialstaat noch einen Schritt weiter und beginnt damit, die Fingerabdrücke der gesamten Bevölkerung von Gever und Colemêrg zu erfassen.

Gesamte Bevölkerung wird erfasst

Die Polizeidirektionen in Gever haben im Rahmen des Projekts „Mein Kompass Polizei“ damit begonnen, von allen Menschen in Gever die Fingerabdrücke zu erfassen. Polizeikräfte hatten im August bei Personen mit Behinderung mit dieser Praxis begonnen – unter dem absurden Vorwand, sie, falls ihnen etwas zustoße, besser wiederfinden zu können. Dass dies nur ein Vorwand war, wurde deutlich, als die Erfassung der Fingerabdrücke im September auf alle Minderjährigen angewandt und im Oktober auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet wurde.

Colemêrg ist ein Laboratorium der Aufstandsbekämpfung

Gegenüber ANF kritisierte der Abgeordnete Sait Dede (HDP) die Erfassung als rechtswidrig. Dede weist darauf hin, dass Colemêrg eines der Zentren der Aufstandsbekämpfung, Vernichtung und Verleugnung des kurdischen Volkes sei. Die Bevölkerung von Colemêrg habe jedoch niemals aufgegeben, sich der Unterdrückung zu widersetzen, und immer mit Würde Widerstand geleistet.

Der Widerstand soll ausgehungert werden

Sait Dede erklärt, dass jedes Regime in der Türkei sich an dieser Region versucht habe. Er führt aus: „Ein großer Teil der Provinz Colemêrg und seiner Kreisstädte wurde zu verbotenen Zonen erklärt, was es den Menschen unmöglich macht, Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben. Auch der Handel an den Grenzübergängen kann nicht stattfinden. Die Menschen werden mit Armut bestraft. Der Hauptgrund dafür ist, dass diese Menschen ihre politische Haltung nicht aufgeben und ihren eigenen Willen bewahren. Unser Volk hat sich nie einem wirtschaftlichen oder politischen Embargo gebeugt und wird es niemals tun. Den faschistischen Regimen ist es nie gelungen, in Colemêrg auch nur einen Fuß in die Tür zu bekommen.“

18 Zivilist:innen in fünf Jahren von Sicherheitskräften ermordet

Dede erinnert daran, dass in den letzten fünf Jahren 18 Zivilist:innen, meistens Minderjährige, in Colemêrg von den staatlichen Kräften getötet wurden, und sagt: „Das Einzige, was der Staat getan hat, war, die Mörder zu schützen. Er tut dies mit großer Rücksichtslosigkeit. Noch bevor der Staatsanwalt sich an den Ort des Geschehens begibt, verkündet der Gouverneur von Hakkari sein Urteil. Man verschleiert die Beweise mit Lügen und gibt der Justiz Befehle. Wir haben es mit einem Regime zu tun, das sich an kein Gesetz und keine Regel gebunden sieht.“

Colemêrg als Pilotregion

Dede erklärt zu der Erfassung der Bevölkerung von Gever: „Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass die Provinz Colemêrg zu einer Pilotregion gemacht wird. Es werden eindeutig gegen Gesetze, die Verfassung und internationale Konventionen die Fingerabdrücke aller Bürgerinnen und Bürger genommen. Man strebt eine despotische Gesellschaft an. Es reicht nicht aus, eine Stadt mit Polizeistationen zu umzingeln, auf Schritt und Tritt Kontrollpunkte einzurichten, es reicht nicht aus, Dörfer zu räumen, Almen zu sperren, den Handel zu verbieten, gepanzerte Fahrzeuge mit voller Geschwindigkeit durch die Bevölkerung fahren zu lassen, es reicht nicht aus, Dörfer zu blockieren und die Menschen tagelang in ihren Häusern einzuschließen, es reicht nicht aus, gewählte Vertreterinnen und Vertreter zu inhaftieren, sie über den Boden zu schleifen und zu misshandeln. Jetzt werden unter dem Vorwand der Kinder auch noch die Fingerabdrücke der gesamten Bevölkerung erfasst.“

Erst die Kinder, dann alle

Dede betont, dass im Gesetz detailliert beschrieben werde, wie und von wem Fingerabdrücke abgenommen werden können, wie diese Daten zu speichern und wie sie zu vernichten seien. Er führt aus: „Nach Artikel 5 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei ist es rechtswidrig, von Haus zu Haus zu gehen und Fingerabdrücke zu nehmen. Der Staat trampelt sogar auf den Gesetzen herum, auf die er sich stützt. Das Gesetz sieht die Zustimmung für die Erfassung der Fingerabdrücke vor. Die Polizei behauptet, diese Zustimmung erhalten zu haben. Sie rückt mit Panzern und schweren Waffen in den Stadtvierteln ein, nimmt Fingerabdrücke und behauptet dann, die Menschen hätten dies aus freiem Willen getan. Sollen sie doch einen Tisch auf dem Markt aufstellen, mal sehen, wie viele Leute kommen und ihnen freiwillig ihre Fingerabdrücke geben werden. Die Öffentlichkeit kennt das sehr gut. Zuerst beginnen sie mit den Kindern und dann erfassen sie die persönlichen Daten aller Menschen, die hier leben.“