Die „Internationale Delegation für Frieden und Freiheit in Kurdistan“ ist in Silêmanî mit Abgeordneten der kurdischen Fraktionen des irakischen Parlaments zusammengekommen. Bei dem Treffen am Montag mit Mitgliedern der beiden großen Parteien PDK und YNK sowie der Yekgirtûya Îslamî wurden Lösungsansätze für ein Ende der türkischen Angriffe in Südkurdistan diskutiert. Auch die zu eskalieren drohende innerkurdische Krise stand als zentraler Bestandteil auf der Agenda des Treffens, an dem auf Seiten der Friedensdelegation unter anderem Birthe Witthöft von der feministischen Organisierung „Gemeinsam Kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“, Matthias Gerhard vom antimilitaristischen Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ und Zagros Endazyarî vom Kurdistan-Zentrum in Schweden teilnahmen.
YNK-Abgeordneter: Schlüssel für Kriegsende Lösung der kurdischen Frage
„Wir begrüßen ausdrücklich die Bemühungen der Delegation, Frieden zu schaffen und den Krieg zu beenden“, sagte der YNK-Abgeordnete Bakhtiar Shaways im Anschluss des Gesprächs bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Seit Tagen verfolge er medial die Aktivitäten der Delegation: „Diese Menschen werden nicht von irgendeiner ideologischen Motivation angetrieben, sondern einzig dem aufrichtigen Ziel, ihren Beitrag für Frieden in Kurdistan zu leisten. Indem sie mit allen Parteien sprechen, haben sie gezeigt, dass sie Charakter haben. Das begrüßen und bewundern wir.“ Doch der Schlüssel zur Lösung des andauernden Angriffs liege in der Lösung der kurdischen Frage, sagte Shaways. „Einen innerkurdischen Krieg lehnen wir kategorisch ab. Wir wollen, dass Konflikte durch Dialog und Frieden gelöst werden.“
Instabile Sicherheitslage ein Faktor für passive Haltung des Irak
Der Yekgirtû-Vorsitzende Muthanna Amin sprach von „regionalen und internationalen Kräften“, die geleitet von ihren Interessen den Krieg gegen Südkurdistan weiterführen wollten. Die Yekgirtû-Fraktion habe zwar Schritte gegen die türkischen Besatzungsambitionen unternommen, allerdings lasse die instabile Sicherheitslage im Irak derzeit kaum effektive, durchgreifende Lösungen auf parlamentarischer Ebene zu. Dennoch sei die Haltung Bagdads hinsichtlich türkischer Militäraktionen zu passiv, kritisierte Amin. „Wir werden weiterhin darauf insistieren, dass die Angriffe beendet werden.“
Gespräch der Delegation mit den kurdischen Fraktionen im irakischen Parlament
Der PDK-Politiker Dana Jaza sprach sich ebenfalls dafür aus, Friedensbemühungen zu unterstützen und einen „Krieg unter Geschwistern“ zu verhindern. Jaza hob hervor, dass die kurdische Frage keine lokale Angelegenheit, sondern ein „internationales Problem“ sei. Sie dürfe nicht primär als innere Angelegenheit der Nationalstaaten angesehen werden.
„Es muss in erster Linie um die Menschenrechte gehen“
Mitglieder der Friedensdelegation äußerten bei der Pressekonferenz mit Blick auf die gegenseitigen Interessen zwischen Hewlêr und Ankara, dass sie den Eindruck hätten, es gebe keine eindeutige Haltung innerhalb der PDK. Es scheine darauf anzukommen, mit wem gesprochen werde, und es gebe durchaus unterschiedliche Positionen. „Es muss aber in erster Linie um Menschenrechte gehen, die von der Türkei in jedem Bereich ignoriert werden. Sie attackiert überall, verstößt gegen jegliche Werte, die sich die Menschheit erkämpft hat, bricht Völkerrecht und Menschenrechte“, sagte Birthe Witthöft. Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die NATO, die dem Schutz der Menschenrechte erklärtermaßen verpflichtet seien, würden trotz der Verbrechen des türkischen Staates an ihrem beharrlichen Schweigen festhalten und die Regierung in Ankara gewähren lassen.
Besuch bei Shahnaz Ibrahim Ahmed
Am Nachmittag wurden die Delegationsmitglieder dann von Shahnaz Ibrahim Ahmed, Mitglied im Exekutivausschuss des YNK-Politbüros, empfangen. Es sei mehr als erfreulich, dass sich „so viele junge Menschen“ aus dem Ausland nach Kurdistan begeben haben, um für ein Ende der türkischen Militäraggression und der innerkurdischen Spannungen einzutreten, sagte die Politikerin.
„Wir verurteilen diese Angriffe auf das Schärfste“, so Ahmed. Die gemeinsame Position der PDK-Führung in Hewlêr mit Ankara bezeichnete sie als „äußerst problematisch und gefährlich“. Den andauernden Bemühungen, die Peschmerga in den Angriffskrieg gegen die Guerilla einzubinden, erteilte Ahmed eine Absage: „Unsere Haltung ist klar. Wir werden uns unter keinen Umständen an einem innerkurdischen Krieg beteiligen, der hier im Süden provoziert werden soll. Würden sich Kurden wieder gegenseitig bekämpfen, werden wir als Nation nie wieder in der Lage sein, auch nur annähernd über Freiheit zu reden.“ In der Autonomieregion Kurdistan im Irak werden alle wesentlichen Entscheidungen von den Politbüros der Parteien getroffen.
„In Kurdistan war die Natur schon immer ein Kriegsopfer“
Laut Ahmed ist der türkische Staat in Kurdistan auf „Expansionskurs“, was ein kollektives Entgegenwirken aller kurdischen Kräfte erfordere. „Es ist ein Krieg gegen uns alle.“ Ein weiterer Teil der türkischen Kriegsführung sei die Zerstörung der Umwelt, so Ahmed. „Kriege fordern nicht nur Menschenleben. Kriege sind immer auch Angriffe gegen die Natur und Umwelt – mit fatalen Folgen. Das, was sich hier derzeit abspielt, ist ein Ökozid.“ Über 4.000 Dörfer der kurdischen Bevölkerung seien von der türkischen Armee in den letzten Jahrzehnten zerstört worden, der Großteil im Norden. „In Kurdistan war die Natur schon immer ein Kriegsopfer.“
Witthöft: Ein sehr zugewandtes Gespräch
Shahnaz Ibrahim Ahmed, eine Schwägerin des YNK-Mitbegründers Celal Talabanî, ist nicht nur eine einflussreiche Politikerin. Sie setzt sich auch unermüdlich für den Umweltschutz und gegen die Ausplünderung der kurdischen Ressourcen ein. In Silêmanî betreibt sie eine Galerie, in der sie Erde aus allen Teilen Kurdistans sammelt. Den Delegierten, unter denen diesmal neben Endazyarî und Witthöft auch Andrea Zelle, Lida Weerts und Hüseyin Yilmaz waren, gab Ahmed eine exklusive Führung. Auch zeigte die Politikerin sich äußerst interessiert an gemeinsamen Aktionen mit den verschiedenen Gruppen und Initiativen, die der Friedensdelegation angehören. „Es war ein sehr zugewandtes Gespräch, wir standen uns in vielen Punkten sehr nahe“, sagte Witthöft.