Elf Monate Haft wegen Erdoğan-Kritik

Weil er Recep Tayyip Erdoğan im Zusammenhang mit der Zerstörung kurdischer Städte im Jahr 2016 mit Sultan Selim I. verglichen hat, ist der DBP-Politiker Nazım Kök wegen Präsidentenbeleidigung zu fast einem Jahr Gefängnis verurteilt worden.

Der kurdische Politiker und Schriftsteller Nazım Kök ist in Mêrdîn wegen Präsidentenbeleidigung zu fast einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Hintergrund der Anklage gegen den 58-Jährigen war ein Beitrag im Netz zur Zerstörung kurdischer Städte im Zuge der türkischen Militärbelagerung im Winter 2015/16 und den Massakern an der Zivilbevölkerung. Die inkriminierte Aussage lautete: „Erdoğan scheint sich Sultan Selim I. zum Beispiel nehmen zu wollen. Selim ließ 40.000 Aleviten ermorden. Erdoğan versucht sich einen Namen zu machen, indem er kurdische Städte dem Erdboden gleichmacht.“

Nach Auffassung der Strafkammer des Landgerichts in Nisêbîn hätte Kök mit dieser Aussage die „Würde und Ehre“ von Erdoğan verletzt. Es handele sich um eine Schmähkritik, die nicht von der Meinungsfreiheit umfasst werden könne. Kök erklärte zu seiner Verteidigung, er habe eine „Tatsachenfeststellung“ vorgenommen, daher sei der Beitrag eine Form der Kritik. Der osmanische Herrscher galt als Tyrann und wurde schon zu Lebzeiten vor 500 Jahren „der Grausame“ genannt. Besonders hart ging er gegen die alevitischen und schiitischen Minderheiten vor. Das Gericht folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte Nazım Kök zu elf Monaten und zwanzig Tagen Freiheitsstrafe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Höchststrafe für Präsidentenbeleidigung: Vier Jahre und acht Monate

Die Höchststrafe für Präsidentenbeleidigung liegt in der Türkei bei vier Jahren und acht Monaten. Unter der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan gibt es inzwischen jährlich tausende Ermittlungsverfahren gemäß Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuches. Der AKP-Chef gilt als der am schnellsten beleidigte Präsident der Welt. Allein in den Jahren zwischen 2014 und 2020 verklagte Erdoğan laut einer Statistik des türkischen Justizministeriums 38.608 Menschen, weil er sich von ihren Äußerungen beleidigt fühlte. Von insgesamt 12.881 Verfahren endeten 3.625 mit Geld-, Bewährungs- oder Haftstrafen in verschiedener Höhe. Unter den Verurteilten befanden sich auch zehn Minderjährige und elf Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. In 5.660 Fällen gab es Freisprüche, andere Verfahren wurden eingestellt. Im Vergleich dazu hatten die fünf Präsidenten vor Erdoğan 1.816 solcher Klagen eingereicht. Damit hat der AKP-Chef die Gesamtzahl der Klagen seiner fünf Vorgänger ums Zwanzigfache übertroffen.

Wer ist Nazım Kök?

Nazım Kök ist 1963 in Nisêbîn geboren. Sein Dorf Arbetê (tr. Yolbilen) gehört zu jenen, die in den 1990er Jahren vom türkischen Staat zerstört wurden. Seit dieser Zeit engagiert sich Kök aktiv in der kurdischen Politik. Mehrmals saß er im Gefängnis und wurde gefoltert, zuletzt im Rahmen der KCK-Operationen im Jahr 2010. In zahlreichen politisch motivierten Verfahren wurde er zu verschiedenhohen Haftstrafen verurteilt. Als 21-Jähriger überlebte er in Mêrdîn einen vermutlich von parastaatlichen Kräften ausgeführten Anschlag nur knapp. Derzeit ist er Mitglied im Parteirat der Partei der demokratischen Regionen (DBP), der Schwesterpartei der HDP.