Das Gesetz zum Schutz des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan vor Kritik verstößt nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Gericht forderte die Türkei auf, das Gesetz der Menschenrechtskonvention anzupassen.
Hintergrund der Verurteilung der Türkei wegen Verletzung der Meinungsfreiheit waren auf Facebook geteilte Erdogan-Karikaturen, mit denen dessen Syrien-Politik kritisiert wurde. Für diese Posts war der Istanbuler Vedat Şorli 2017 wegen Präsidentenbeleidigung zu elf Monaten und 20 Tagen Haft verurteilt worden. Nachdem der Rechtsweg im Inland ausgeschöpft war, klagte er vor dem EGMR, der heute sein Urteil fällte.
Der Kläger hatte im Jahr 2014 bei Facebook eine Fotomontage veröffentlicht, die den türkischen Präsidenten bekleidet mit einem Kleid zeigte, der den damaligen US-Präsidenten Barack Obama küsst. In einer kurdischen Sprechblase hieß es zu diesem Bild: „Wirst Du das Eigentum an Syrien in meinem Namen eintragen lassen, mein lieber Ehemann?" In einem zwei Jahre später geteilten Beitrag zu Erdogan stand: „Mögen deine Präsidentschaft, deine Macht und deine Ambitionen in den Tiefen der Erde begraben werden." Şorli war deswegen zwei Monate lang in Untersuchungshaft, die anschließende Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Der EGMR bemängelte in seinem Urteil insbesondere den Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuchs, der die Beleidigung des Präsidenten unter Strafe stellt. Die Verurteilung des Mannes habe eine abschreckende Wirkung auf andere Menschen, die Kritik äußern wollten, und verletze Şorlis Recht auf freie Meinungsäußerung. Das türkische Gesetz verstoße überdies gegen den Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Türkei 1954 ratifiziert hat.
Repräsentanten des Staates hätten zwar legitimerweise Anspruch auf Schutz; gerade aufgrund ihrer Macht müssten die Institutionen dieses Recht aber zurückhaltend ausüben, befand das Gericht: „Das Interesse eines Staates, den Ruf seines Staatsoberhauptes zu schützen, kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, dem Staatsoberhaupt einen privilegierten Status oder einen besonderen Schutz einzuräumen in Bezug auf das Recht, Informationen und Meinungen über ihn zu verbreiten."
Dem Kläger sprach der EGMR eine Entschädigung in Höhe von 7500 Euro zu.