Dörfer in Licê nach Militäroperation abgeriegelt

In Licê bei Amed sind mehrere Dörfer vom türkischen Militär nach Gefechten mit der kurdischen Guerilla abgeriegelt worden. Mindestens zwei Zivilisten wurden bei einer Hausstürmung verschleppt, ihr Aufenthaltsort ist nicht bekannt.

In der kurdischen Stadt Licê werden seit Samstag mehrere Siedlungsgebiete von der türkischen Armee belagert. Hintergrund ist eine luftunterstützte Militäroperation gegen die Guerilla in ländlichen Gebieten, die an die Dörfer Kerwas, Nenyas, Licok, Helhel und Mişrif grenzen. Gegen die Dorfbevölkerung wurde ein Ausgangsverbot ausgesprochen, das Betreten und Verlassen der eingekesselten Ortschaften ist damit untersagt. Darüber hinaus wurden mindestens zwei Personen bei einer Hausstürmung festgenommen. Wie der kurdische Nachrichtensender Medya Haber berichtet, handelt es sich bei den Betroffenen um die Eheleute Mehmet Şah Bozkuş und Azize Bozkuş. Beide sollen bei der Razzia massiv misshandelt worden sein, bevor sie verschleppt wurden. Begründet wurden die Festnahmen laut Medya Haber nicht. Auch sei der Aufenthaltsort des Paares unklar.

Wie der Sender weiter berichtet, kam es am Samstag im Vorfeld der Dorfbelagerung in Licê zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG) und türkischen Soldaten. Dabei soll ein Soldat ums Leben gekommen sein, mindestens drei weitere seien verletzt und in das staatlich geförderte Stiftungskrankenhaus Halis Toprak in Lice gebracht worden. Medya Haber spricht von einer weitaus höheren Zahl tödlicher Verluste in den Reihen der türkischen Armee. Die Agentur Mezopotamya (MA) meldete, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der abgeriegelten Dörfer von Militärs mit dem Tod bedroht wurden. Es wird die Befürchtung laut, dass ein Racheakt an der Bevölkerung von Licê verübt werden soll. Die Operation hält weiter an.

Vergeltungsschläge an der kurdischen Zivilbevölkerung als Rache für den Verlust von Soldaten gehören spätestens seit der Staatsgründung 1923 zu der in Kurdistan gültigen Aufstandsbekämpfung und Vertreibungspolitik. Auch im Fall der beiden kurdischen Dorfbewohner Servet Turgut und Osman Şiban aus Wan, die am 11. September 2020 in der Nähe von Şax (tr. Çatak) während der Feldarbeit von einer türkischen Operationseinheit verschleppt, misshandelt und aus einem Hubschrauber gestoßen wurden, wird ein Racheakt vermutet. Am selben Tag hatte eine Guerillaeinheit unter der Führung von Egîd Civyan als Reaktion auf eine luftunterstützte Militäroperation im nahegelegenen Gebiet Masîro ein Kommando- und Kontrollzentrum der Armee angegriffen. Bei der Aktion waren den HPG zufolge fünf hochrangige Militärverantwortliche und mindestens zehn weitere Soldaten getötet worden. Der Gebietskommandant Egîd Civyan und die Zugkommandanten Canfeda Goyî und Hebûn Girê Spî sind gefallen.

Zustände erinnern an Massaker von 1993

Für die Menschen in Licê dürften die aktuellen Zustände in ihren Dörfern zudem Erinnerungen an das Massaker vom Oktober 1993 erinnern, als sechzehn Zivilisten einen Tag nach dem Tod eines Brigadegenerals – durch seine eigenen Leute – von Militärs ermordet und weitere 36 Menschen teils schwer verletzt worden waren. Zudem wurden mehr als 400 Häuser und 285 Arbeitsstätten in Brand gesetzt und unzählige Familien zwangsvertrieben.