Die Angst der Erwachsenen überträgt sich auf die Kinder

Der Psychologe Şiyar Güldiken spricht über den Einfluss der Spezialkriegsführung auf Kinder und Jugendliche und sagt: „Die Angst der Erwachsenen vor der Polizei und dem Militär überträgt sich auf die Kinder.“

Der seit über 40 Jahren andauernde Krieg in Kurdistan hat neben Vertreibung, Tod und Inhaftierung auch psychische Auswirkungen. So tief wie die psychologische Kriegsführung und der schmutzige Krieg Einfluss auf die Gesellschaft hatten, so sehr hat sich auch der Widerstand verfestigt. Die Präsenz von Polizei und Militär in kurdischen Städten und die Tatsache, dass Panzer durch Straßen fahren, wirkt sich insbesondere auf die Psyche von Kindern aus. Im ANF-Gespräch beschreibt der Psychologe Şiyar Güldiken diese Folgen.


Güldiken sieht insbesondere nach der Zerstörung kurdischer Städte 2015/2016, bei der türkische Soldaten auf den Trümmern der Häuser ihre Fahnen hissten, eine Verschärfung der psychischen Folgen des Krieges bei Kindern.

Die Erwachsenen geben ihre Furcht an die Kinder weiter

Er weist aber auch auf die Rolle von Eltern hin, die Polizei und Militär in der Region immer wieder als Mittel der Einschüchterung verwenden. Der Psychologe erläutert: „Erinnern wir uns daran, dass Kinder, die weinen oder sich schlecht benehmen, geängstigt werden, indem ihnen gesagt wird: ‚Pass auf, ich rufe die Polizei‘. Diese Praxis hat sich auf alle gesellschaftlichen Prozesse ausgeweitet. So etwas kann niemals unabhängig von den Praktiken des Staates betrachtet werden. Ein weiterer Aspekt ist, dass bei Besuchen in der Westtürkei nur wenige Soldaten oder Polizisten sichtbar sind. Bei der Rückkehr in die kurdischen Provinzen sehen die Menschen, dass überall Sicherheitskräfte sind. Dies stellt ein großes Problem dar, denn die Menschen spüren, dass sie in einer ganz anderen Region leben. All das richtet sogar bei Erwachsenen verheerende Schäden an und erreicht bei Kindern ein erschreckendes Niveau.“

Die Sprache der Politik spiegelt sich auch in den Kindern wider

Güldiken stellt fest, dass es für ein Kind fast unmöglich ist, sich eine positive Zukunft vorzustellen, wenn es sieht, was Erwachsenen in der eigenen Familie angetan wird. Er führt aus: „Alle Menschen werden mit gutem und bösem Potential geboren. Welches auch immer man füttert, wird stärker. Die Politik der Straflosigkeit ist bereits so weit fortgeschritten, dass eine Basis für jedes Unrecht geschaffen wurde. Wir haben das letzte Beispiel dafür in Konya erlebt. Wir wissen, dass dies nicht unabhängig von der allgemein vorherrschenden Gewalt und Rhetorik ist. Die Sprache der Politik ist so übel, dass der Präsident sich offen hinstellen und die Vorsitzenden einer Oppositionspartei beleidigen und ihnen mit dem Tod drohen kann. Wenn Menschen, die eigentlich Rollenmodelle darstellen, andere so schlecht behandeln, spiegelt sich das zwangsläufig auch bei den Kindern wider. Wenn ein Mensch keine Sanktionen für die Übel erfährt, die er einem anderen antut, dann kann das Übel und die Gewalt ein schreckliches Ausmaß erreichen.“

Kinderspiele als Vorbereitung für den Krieg

Güldiken thematisiert auch Kinderspiele: „Wenn ein Land in ein anderes einfällt, dann macht es das nicht nur mit Panzern und Artillerie. Vor der Invasion werden das Ziel und die Bedingungen der Invasion normalisiert. Es werden Kriegsspiele inszeniert und damit wird die Fantasie von Kindern assimiliert. Schauen Sie sich die Internetcafés an, Kinder spielen die ganze Zeit Kriegsspiele. Sie spielen diese gewalttätigen Spiele auf Tablets und Computern auch die ganze Zeit zuhause. Zuerst wird also der Kriegszustand normalisiert. Und wenn dann das echte Spiel gestartet wird, protestieren die Menschen nicht. Denn irgendwann sind sie nicht mehr in der Lage, zwischen Spiel und Realität zu unterscheiden. Deshalb können wir als Erwachsene Kinder nicht von der Gewalt fernhalten, wenn wir nicht selbst dem Übel und der Gewalt fern sind.“