Demokratische Zivilgesellschaft organisiert sich in Deir ez-Zor

Seit der Befreiung von Deir ez-Zor im Jahr 2019 befindet sich die Zivilgesellschaft im Aufbau. Es wurden Strukturen von Fraueneinrichtungen bis hin zu Gemeindeverwaltungen, Kommunen, Räten und zivilgesellschaftlichen Organisationen geschaffen.

Saja al-Huweydi (TEV-DEM)

Die Region Deir ez-Zor gehört zu den Gebieten Syriens, die am längsten unter der Herrschaft des IS standen. Die Terrorherrschaft dauerte von 2014 bis 2019 an. Obwohl Deir ez-Zor im März 2019 von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) befreit werden konnte, ist diese Region bis heute wegen der vielen von IS hinterlassenen Schläferzellen gefährlich. Diese Zellen erhalten aus den von der Türkei besetzten Gebieten Unterstützung durch den Geheimdienst MIT. Das Gebiet wird von mehreren Fronten angegriffen. Neben den von der Türkei unterstützten IS-Zellen attackiert auch das syrische Regime immer wieder die Region und versucht, Unfrieden unter der von Stämmen geprägten Bevölkerung zu stiften.

Trotz der Versuche, die Region zu destabilisieren, bauen die Selbstverwaltung und die Bevölkerung weiterhin ihr eigenes System im Rahmen des radikaldemokratischen Projekts der demokratischen Nation auf. Es wurden zahlreiche Strukturen geschaffen, vom Verteidigungssystem bis zu den Kräften der inneren Sicherheit, von Fraueneinrichtungen bis zu Gemeinden, von Kommunen bis zu Räten. Die Initiativkraft der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) ist dabei eine wichtige Unterstützung. Mithilfe von TEV-DEM konnte eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen geschaffen werden.


Saja al-Huweydi, Mitglied bei TEV-DEM, äußerte sich im ANF-Gespräch zum Aufbau der Zivilgesellschaft in Deir ez-Zor. Sie berichtete, dass die Gründung erster zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Region im Jahr 2021 begonnen habe, und erklärte: „Dieser Prozess wurde von TEV-DEM angeleitet. Natürlich gab es in der Aufbauphase einige Schwierigkeiten, weil die Gesellschaft diese Einrichtungen aufgrund der vom IS aufgezwungenen Mentalität anfangs nicht akzeptieren konnte. Als erste Frage kam auf: ‚Warum gibt es diese Einrichtungen, wem dienen sie?‘ Die größte Schwierigkeit stellten jedoch die in der Region organisierten IS-Zellen dar. Trotz all dieser Hindernisse bauten wir allmählich organisierte Strukturen auf.

Wir begannen mit Berufsorganisationen und gründeten Vereinigungen von Ärzten, Fahrern, Landwirten, Anwälten, Veterinären und Fischern. Es wurden Berufskammern gebildet, und jeder Beruf hat in diesen Kammern eigene Vertreterinnen und Vertreter. Ziel dieser Organisierung war es, dass die einzelnen Berufsgruppen Lösungen für ihre Probleme finden, ihre Arbeit weiterentwickeln und ihre Berufe innerhalb eines gesetzlichen Rahmens ausüben können. Alle Organisationen kommen unter dem Dach von TEV-DEM zusammen und arbeiten im Rahmen der von der autonomen Selbstverwaltung festgelegten Gesetze.

Im Jahr 2023 wurden auf einer TEV-DEM-Konferenz die Ko-Vorsitzenden der zivilgesellschaftlichen Organisationen gewählt. Auf diese Weise wurden alle Organisationen in Nord- und Ostsyrien gegründet. Sie sind unter dem Dach des Konföderalismus der Demokratischen Gesellschaft zusammengeschlossen. Der 2023 gegründete Demokratische Gesellschaftskonföderalismus hat das Ziel, das Arbeitsfeld und die Arbeitsebene zu erweitern. Es gab auch viele Organisationen der Zivilgesellschaft, die unabhängig voneinander arbeiteten. Es war wichtig, sie unter dem Dach einer besser organisierten Struktur zu versammeln. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollen auch im politischen Bereich eine Rolle spielen. Sie sollen ein Mitspracherecht bei den Entwicklungen in der Region haben und mit den politischen Parteien im Austausch stehen.“

Bauernverband mit 60.000 Mitgliedern

Al-Huweydi fuhr fort: „Unser ursprüngliches Ziel war es, kleine Gewerkschaften zusammenzubringen. Aber heute haben einige Gewerkschaften mehr als tausend Mitglieder. Der Bauernverband ist die größte unter diesen Gruppen, denn hier wird Landwirtschaft intensiv betrieben. Der Bauernverband hat 60.000 Mitglieder. Eine solche Organisierung von 60.000 Menschen in einer Region wie Deir ez-Zor stellt eine große Leistung dar. Der Handelsverband wiederum hat tausend Mitglieder, und wir haben einen Plan für künftige Projekte ausgearbeitet.

Das zivilgesellschaftliche System beruht auf demokratischen Grundsätzen. Bevor eine Entscheidung getroffen wird, finden Konferenzen oder große Versammlungen statt, an denen alle Mitglieder teilnehmen. Hier werden Diskussionen geführt und es wird abgestimmt. Diese Konferenzen und Versammlungen gelten für alle Organisationen. Die Beschlüsse und Pläne werden den allgemeinen Organisationen in Nord- und Ostsyrien mitgeteilt, und wir stellen fest, dass sie sich in der Praxis sehr positiv auswirken.

Konfliktprävention und Selbstverteidigung durch Selbstorganisierung

Vor der Schaffung einer demokratischen Organisierung der Zivilgesellschaft gab es an vielen Stellen Schwierigkeiten und Streitigkeiten. Mit der Entwicklung dieser Struktur wurde jedoch ein System zwischen den Institutionen geschaffen, das eine wirksame Rolle bei der Aufklärung und Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft spielt. In den Sitzungen, Workshops und Bildungen, die seit der Gründung dieser Organisationen stattgefunden haben, wurden das Selbstverwaltungssystem und das Projekt der demokratischen Nation umfassend diskutiert und der Öffentlichkeit erläutert. Wir sehen, dass diese Aktivitäten zu sehr positiven Entwicklungen in der Bevölkerung geführt haben. Das konkreteste Beispiel dafür sind die Reaktionen der Bevölkerung auf die Angriffe in Deir ez-Zor.

Stämme unterstützen das Modell

Die soziale Struktur unserer Gesellschaft basiert größtenteils auf dem Stammesdenken, und die Stammesführer haben einen großen Einfluss auf die Menschen. Die am Projekt der demokratischen Nation beteiligten Stammesältesten haben die Menschen motiviert und ermutigt, sich gegen die Angriffe zu wehren. Bei jeder Gelegenheit haben sie zum Ausdruck gebracht, dass sie keine andere Wahl sehen als das autonome Verwaltungssystem und das Projekt der demokratischen Nation. Sie standen bei allen Demonstrationen gegen die Angriffe an vorderster Front. Darüber hinaus haben sich die Dörfer am Euphrat auch direkt mit den Verteidigungskräften zu ihrer eigenen Verteidigung zusammengeschlossen. Die demokratischen Zivilorganisationen fungieren als eine Art Verbindungsglied zwischen der Selbstverwaltung und der Bevölkerung. Dank dieser Institutionen kann die Bevölkerung ihre Forderungen direkt an die Verwaltung herantragen. Eine weitere Aufgabe der demokratischen zivilen Institutionen besteht darin, die Menschen zu bilden und sicherzustellen, dass sie ihre Rolle und Aufgabe im bestehenden System begreifen. Diese Institutionen spielen auch eine wichtige Rolle beim Aufbau von Vertrauen zwischen der Bevölkerung und den Regionalräten. Die Zahl der in den demokratischen Bürgerorganisationen engagierten Personen liegt, ohne den Bauernverband mit 60.000 Mitgliedern, bei über 20.000. In diesem Sinne können wir sagen, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft die Stimme des Volkes sind.

Zellen versuchen, Chaos zu stiften

In Deir ez-Zor haben viele Seiten ihre eigenen Organisationen und Zellen gebildet, um in der Region Unruhe zu stiften. Es handelt sich um Gruppen, die mit der Regierung in Damaskus verbunden sind und alle möglichen Machenschaften betreiben, um Konflikte zu schüren. Darüber hinaus versucht auch der IS, in der Region für Chaos zu sorgen. Das hat natürlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesellschaft. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, dies zu verhindern und die Menschen gegenüber diesen Angriffen und der Spezialkriegspolitik zu sensibilisieren und zu organisieren."

Organisierung der Frauen, beschwerlich, aber erfolgreich

Saja al-Huweydi sagte, dass das größte Problem in der konservativen Region sei, Frauen die Partizipation an organisierten Strukturen zu ermöglichen bzw. sie davon zu überzeugen: „Seit drei Jahren formieren sich hier demokratische zivilgesellschaftliche Organisationen. Vor allem die Beteiligung von Frauen in diesen Institutionen war problematisch. Es ist nicht einfach, Frauen, die jahrelang großer Unterdrückung und negativer Mentalität ausgesetzt waren, an einem Tag zu organisieren und sie dazu zu bringen, in solchen Institutionen mitzuarbeiten. Das größte Hindernis waren die Stämme. Solche Einrichtungen hatte es in der Region noch nie zuvor gegeben. Es war das erste Mal, und die Stämme nutzten dies meist als Rechtfertigung. Sie behaupteten, dass es solche Einrichtungen in der Region noch nicht gegeben habe und sie deshalb nicht wollten, dass sich Frauen diesen Institutionen organisieren. Frauen sollten nicht so oft das Haus verlassen, das sei nicht angemessen. Um dies zu ändern, organisierten wir viele Versammlungen und Bildungen. Es kostete uns viel Mühe und Zeit, diese Situation zu verändern. Wir hielten Treffen mit Stammesführern ab und besuchten viele Familien. Dieser Prozess dauerte lange, aber allmählich gewannen wir Akzeptanz. Nach und nach nahmen sie die Einrichtungen an und begannen, dem Projekt zu vertrauen. Sie begannen auch, sich selbst als Teil dieses Systems zu sehen.

Gegenwärtig sind die Frauen in den Institutionen sehr gut vertreten. Sie arbeiten auch auf der Entscheidungsebene, und an einigen Orten übersteigt ihre Zahl die der Männer. Diese Entwicklungen geben uns natürlich Kraft. Denn lange Zeit wurde ein großer und schmerzhafter Kampf geführt, großes Leid wurde ertragen, und der heute erreichte Punkt ist eine enorme Triebfeder für uns. Natürlich können wir nicht sagen, dass wir alle Probleme und Schwierigkeiten vollständig überwunden haben. Aber ich kann sagen, dass in einem Ort wie Deir ez-Zor nun alle Räte und Institutionen, von der Bildung bis zu allen Lebensbereichen, mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt sind und Frauen so selbst über ihr Leben entscheiden können. Allein 4.000 Frauen arbeiten in der Region als Lehrerinnen.

10.000 Frauen in Bauerngewerkschaft

Auch in der Bauerngewerkschaft gibt es 10.000 Frauen. Dies ist das Ergebnis unseres Kampfes und gibt uns große Moral. Die Unterstützung der Frauen untereinander und ihre Stärke nimmt immer mehr zu. Die Frauen in diesen Einrichtungen sind nicht auf ihre jeweiligen Institutionen beschränkt; wir haben auch eine Organisation, die sie alle zusammenbringt. Manchmal arbeiten wir zusammen. Wir führen gemeinsame Diskussionen und Projekte mit anderen Frauenorganisationen und -verbänden durch, um mehr Frauen für diese Arbeit zu gewinnen. Für die Zukunft haben wir weitere Projekte, an deren Umsetzung wir arbeiten. Unser Hauptziel ist es, das Projekt der demokratischen Nation im Sinne der Philosophie von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] weiterzuverbreiten und mit Leben zu erfüllen.“