Berufungsgericht hebt Freispruch für Hasan Birlik auf

Der Freispruch für Hasan Birlik wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung ist in der Revision einkassiert worden. Der 77-jährige Kurde wird damit erneut für die Teilnahme an der Beerdigung seines von Polizisten exekutierten Sohnes angeklagt.

Die 9. Kammer des regionalen Berufungsgerichts in der nordkurdischen Metropole Amed (türk. Diyarbakir) hat den Freispruch für Hasan Birlik in der Revision einkassiert und den Fall zur Neuverhandlung zurück an die 2. Strafkammer in Şirnex (Şırnak) verwiesen. Wann sich der 77-Jährige erneut wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda und Volksverhetzung wegen seiner Teilnahme an der Beerdigung seines Sohnes vor Gericht verantworten muss, ist noch unklar. Auch die Freisprüche von neun weiteren Personen, gegen die im Rahmen desselben Verfahrens Anklage erhoben worden war, wurden aufgehoben.

Die zehn Betroffenen waren Ende November mit Verweis auf die Meinungsfreiheit von der Kammer in Şirnex freigesprochen worden. Das sehen die Richter am Berufungsgericht in Amed anders - trotz einer Klarstellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach Haftstrafen aufgrund der Teilnahme an Beerdigungen gegen die Bestimmungen des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung verstoßen. Die der Terrorpropaganda und Volksverhetzung beschuldigten Männer waren im vergangenen Sommer angeklagt worden, weil sie knapp vier Jahre zuvor an der Beisetzung von Haci Lokman Birlik teilgenommen hatten. Der 24-jährige Schauspieler wurde im Herbst 2015 während der türkischen Militärbelagerung in Şirnex von sogenannten Sicherheitskräften exekutiert. Anschließend wurde seine Leiche an ein gepanzertes Polizeifahrzeug gebunden und über die Pflastersteine der Stadt gezogen.

Augenzeugen berichteten, dass Birlik am Straßenrand saß, als er aus dem plötzlich vorbeifahrenden Fahrzeug erschossen wurde. Die Polizisten hätten noch Schüsse auf ihn abgegeben, als er sich nicht mehr bewegte. Wie es im Obduktionsbericht hieß, waren 17 der insgesamt 28 Schüsse auf Birlik tödlich. Szenen davon verbreitete kurz danach der damalige Abteilungsleiter der Antiterroreinheit von Şırnak über den Kurznachrichtendienst Twitter mit dem Kommentar „Ich lasse meine Soldaten und Polizisten keine Kadaver transportieren“. Das Bild hat sich ins Gedächtnis der kurdischen Gesellschaft eingebrannt.

In dem neu aufzurollenden Verfahren geht es konkret um die Parole „Şehîd namirin“ (zu Deutsch: „Gefallene sterben nicht“ oder „Gefallene sind unsterblich“), die den Betroffenen vorgeworfen wird. Das Regionalgericht behauptet, bei Haci Lokman Birlik habe es sich um einen Guerillakämpfer – sprich „Terroristen“ gehandelt, auf dessen Beerdigung Tücher in den „Farben der Terroristen“, also grün-, rot- und gelbfarbene Schals, von Trauernden getragen worden seien. Somit liege ein „terroristischer Akt“ in gleich mehreren Fällen vor, der nicht vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit abgedeckt werden könnte. Die türkische Willkürjustiz arbeitet mal wieder auf Hochtouren.