„Ich habe nur meinen Sohn beerdigt“
Der Prozess gegen den Vater des grausam von der türkischen Polizei ermordeten und durch die Stadt Şirnex geschleiften Haci Lokman Birlik wurde nach der ersten Sitzung vertagt.
Der Prozess gegen den Vater des grausam von der türkischen Polizei ermordeten und durch die Stadt Şirnex geschleiften Haci Lokman Birlik wurde nach der ersten Sitzung vertagt.
In der nordkurdischen Provinzhauptstadt Şirnex (Şırnak) hat am Freitag der erste Verhandlungstag im Prozess gegen Hasan Birlik stattgefunden. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 77-jährigen Vater des Schauspielers Hacı Lokman Birlik, der im Oktober 2015 von türkischen Polizisten mit 28 Kugeln erschossen wurde, „Propaganda für eine terroristische Vereinigung” und „Volksverhetzung” vor. Grund für die Anklage ist ein Bild von Hacı Lokman Birlik mit der Abbildung einer PKK-Fahne im Hintergrund, das Hasan Birlik während der Beisetzungszeremonie seines Sohnes in den Händen hielt.
Auch gegen neun Verwandte des Getöteten leitete der Generalstaatsanwalt ein Verfahren ein. Abbas Özbey, Abdulhalik Özcan, Bayram Erkan, Ramazan Baysal, Sadık Güngen, Sait Talay, Serhat Uğur (ehemaliger Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Eğitim-Sen in Şirnex), Uğur Kaya und Halit Güngen wird aufgrund ihrer Teilnahme an der Beerdigung Hacı Lokman Birliks ebenfalls Terrorpropaganda vorgeworfen. Halit Güngen ist zudem der „Volksverhetzung” angeklagt.
Was war geschehen?
„Ich lasse meine Soldaten und Polizisten keine Kadaver transportieren“. So lautete der Kommentar eines türkischen Polizisten, der am 3. Oktober 2015 über den Kurznachrichtendienst Twitter ein Bild des Leichnams von Hacı Lokman Birlik verbreitete. Auf dem Bild war ein gepanzertes Polizeifahrzeug zu sehen, das die Leiche des 24-Jährigen an einem um dessen Hals gebundenen Seil über die Pflastersteine im Zentrum von Şirnex zog. Zu der Zeit herrschte in Şirnex eine staatlich verhängte Ausgangssperre, die Stadt wurde vom Militär faktisch belagert. Später wurde auch ein Video von der Szene veröffentlicht, in der Birliks Leiche durch die Straßen geschleift wird.
Augenzeugen berichteten, dass sich Birlik zuvor am Straßenrand eine Verletzung am Fuß verbinden wollte, als er aus dem vorbeifahrenden Fahrzeug „exekutiert“ wurde. Die Polizisten hätten noch auf ihn geschossen, als er sich nicht mehr bewegte. Wie es in dem Obduktionsbericht heißt, waren 17 der insgesamt 28 auf Birlik abgegebenen Schüsse tödlich.
„Ich habe nur meinen Sohn beerdigt”
Der Prozess gegen Hacı Lokman Birliks Angehörige wurde gestern vor der 3. Strafkammer von Şirnex eröffnet. Alle Beschuldigten wiesen die Anklage zurück, sein Vater Hasan Birlik erklärte: „Ich habe nur meinen Sohn beerdigt. Mir war nicht bewusst, dass dies ein Verbrechen darstellt. Wie kann ich denn eine Straftat begangen haben?”, sagte der Renter zu den Vorwürfen gegen ihn.
„Wir konnten nicht schweigen“
Der damalige Sektionsvorsitzende der Lehrergewerkschaft Eğitim-Sen, Serhat Uğur, erklärte dem Gericht: „Wie Hacı Lokman durch die Stadt geschleift wurde, stellte eine tiefe Verletzung der Gefühle der Menschen hier dar und löste große Trauer aus. Alle, Freund*innen, Verwandte, wer auch immer, strömte zur Beerdigung. Wir konnten nicht schweigen. Niemand auf der Welt könnte da ruhig bleiben. Es gibt kein anderes Land, in dem ein Vater dafür verurteilt wird, dass er an der Beerdigung seines Sohnes teilgenommen hat. Das ist ebenfalls sehr traurig.“
Das Verfahren wird am 22. November fortgesetzt.