Seit 2015 treibt das türkische AKP/MHP-Regime den Krieg gegen das kurdische Volk immer weiter voran. Zu diesem Krieg gehört auch ein kultureller Genozid – die Auslöschung der kurdischen Identität durch Zwangsassimilation auf allen Ebenen. Ab 2016 wurden die Kommunalverwaltungen der HDP und DBP eine nach der anderen zwangsaufgelöst und durch vom Innenministerium bestellte Regimebeamte ersetzt. Während in diesen Städten und Gemeinden kurdisches, assyrisches und armenisches Leben unter der HDP und ihrer Schwesterpartei DBP wieder aufgeblüht war, begann nun erneut eine knallharte Assimilationspolitik Einzug zu nehmen. Ursprünglich kurdische oder armenische Namen von Orten, Straßen und Einrichtungen wurden wieder in türkische umgewandelt, Schilder mit mehrsprachigen Beschriftungen heruntergenommen. Mehrsprachiges Informationsmaterial wurde umgehend entfernt und das Personal in den Städten und Gemeinden gegen AKP/MHP-Anhänger:innen ausgetauscht. Gleichzeitig fand ein massiver Angriff auf die Zivilgesellschaft statt. Kurdische Sprachinstitute, Frauenzentren und viele andere kommunale Einrichtungen wurden geschlossen. Insbesondere kurdische Sprachschulen und Kindergärten wurden zur Angriffsfläche und kulturelle Veranstaltungen durch Versammlungsverbote kriminalisiert.
Wan: Kurdische Metropole unter Zwangsverwaltung
Dieses Vorgehen traf auch die von mehr als 1,3 Millionen Menschen bewohnte Provinz Wan. 2016 wurde der zwei Jahre zuvor mit über 53 Prozent der Stimmen zum zweiten Mal zum Oberbürgermeister gewählte Bekir Kaya (DBP) verhaftet und, wie viele andere seiner Kolleginnen und Kollegen auch, unter konstruierten Terrorvorwürfen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. An seiner Stelle wurde ein Zwangsverwalter eingesetzt. Das gleiche geschah in den Kreisstädten der Provinz. Kurdischsprachige Schulen, Kindergärten und von den Kommunen organisierte kulturelle Aktivitäten wurden von den Treuhändern des Regimes abgeschafft. Dieser Putsch gegen die kurdische Kommunalpolitik wiederholte sich 2019.
Perpêrok: Ein praktisches Symbol der kurdischen Renaissance
Die Kindertagesstätte Perpêrok (Schmetterling), die in kurdischer Sprache arbeitete, war eine wichtige Einrichtung für muttersprachliche Bildung und Kultur. Sie wurde im Jahr 2015 eröffnete und bot 80 Plätze. Rund 20 Mitarbeitende betreuten die Kinder von früh morgens bis spät nachmittags in der Einrichtung, die über eine Fläche von 1.200 Quadratmetern an Innenräumen, einen fast halb so großen Spielplatz, einen Garten mit einem Hühnerstall, Räumlichkeiten für Theater, Kino, Musik, Tanz und Schach sowie ein Krankenzimmer verfügte. In jeder Gruppe gab es 18 Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren, denen auch Rechnen beigebracht wurde. Die Kita verfügte über eigene Busse, mit denen die Kinder von zu Hause abgeholt und wieder abgeliefert werden konnten.
Großer Ansturm auf Kindereinrichtung
Perpêrok stellte ein wichtiges Projekt der damaligen DBP-Stadtverwaltung dar. Noch vor der Eröffnung versuchte der türkische Staat das Projekt durch seinen Gouverneur zu behindern und den kurdischen Namen der Einrichtung zu verbieten. Trotz aller Widrigkeiten eröffnete die Kita. Sie erlebte von Anfang an einen großen Ansturm, denn mit ihrem auf der kurdischen Sprache basierenden Konzept stellte sie ein herausragendes Beispiel gegen die jahrzehntelange Assimilation und Diskriminierung dar, die die Region prägte. Die Familien, die ihre Kinder dorthin brachten, schenkten dem Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts große Beachtung. Gleichzeitig wurde die Forderung laut, dass auch in den anderen Kindergärten der Provinz eine Betreuung auf Kurdisch angeboten werden müsse.
Von einer Einrichtung der Emanzipation zur Assimilation
Während die Stadtverwaltung den kurdischen Namen der Kita immer verteidigte, wurde dieser sofort nach der Ernennung des Zwangsverwalters ausgetauscht. Die Einrichtung erhielt einen türkischen Namen, es wurde verboten, Kurdisch zu unterrichten. Stattdessen wurden die Kinder dazu genötigt, Türkisch zu lernen und nur diese Sprache zu sprechen. Aus einer Einrichtung der Emanzipation wurde eine Einrichtung der Assimilationspolitik gemacht.
Çiftçi: „Ein Zeichen dafür, wie sehr man diese Sprache fürchtet“
Es dauerte nicht lange, bis nahezu alle ursprünglichen Angestellten von Perpêrok entlassen wurden. Eine von ihnen ist die Erzieherin Hamdiye Çiftçi. „Ich unterrichtete damals Kurdisch“, berichtet sie rückblickend über ihre Arbeit in der Kita. „Mit der Ernennung des Zwangsverwalters wurde das kurdische Schild des Kindergartens abgenommen und die Bildungssprache Kurdisch auf Türkisch umgestellt. Die Erzieherinnen, die gut Kurdisch sprachen, wurden als erste entlassen. Das war ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr diese Sprache gefürchtet wird.“
Ein Kindergarten auf der Grundlage der Bedürfnisse der Menschen
Çiftçi erinnert daran, dass die Kindereinrichtung am 15. Mai 2015, am Welttag der Muttersprache, eröffnet wurde. „Es handelte sich um einen Kindergarten mit anfangs fünf Gruppen und insgesamt 80 Kindern in der Altersgruppe von 0 bis 6 Jahren. In diesen Gruppen wurde ausschließlich Kurdisch gesprochen. Der Kindergarten wurde im Sinne der Bedürfnisse der Menschen hier in der Region eröffnet. Er wurde jedoch mit der Ernennung des Zwangsverwalters geschlossen. Als wir die Einrichtung des Kindergartens vorbereiteten, führten wir zunächst Besuche bei der Bevölkerung durch, um den Bedarf festzustellen. Anschließend ergriffen wir die daraus resultierenden Maßnahmen und begannen mit der Vorbereitung. Nachdem die notwendige Infrastruktur geschaffen war, wurde die Kindertagesstätte Perpêrok, der erste kurdische Kindergarten in der Region, mit großer Begeisterung eröffnet. Die erste kurdische Kindertagesstätte in der Region entsprach wirklich den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung. Kurdische Kinderreime, Lieder, Geschichten und Fingerspiele aus der Vergangenheit wurden mit neuem Leben erfüllt, weitervermittelt und zu einem Teil des Alltags gemacht.“
„Alles wurde türkisiert“
Das änderte sich mit der Zwangsverwaltung schlagartig. Çiftçi erinnert sich: „Obwohl wir bereits 80 Kinder in der Tagesstätte hatten, befanden sich 80 weitere auf der Warteliste. Es gab ein großes Interesse. Während wir planten, weitere Kindereinrichtungen zu eröffnen und an den konkreten Vorbereitungen arbeiteten, wurde der Zwangsverwalter ernannt. Sofort wurde der Name Pêrperok entfernt und die Einrichtung auf Türkisch mit dem Namen ‚Kindertagesstätte der Stadtverwaltung von Van‘ ersetzt. Im nächsten Schritt wurde die Sprache im Kindergarten geändert, bevor alle kurdischen Aufschriften abgenommen und die Namen der Fahrdienste geändert wurden. Danach wurden die Anmeldungen aller kurdischen Kinder gelöscht. Zu guter Letzt wurde ausnahmslos allen pädagogischen Kräften, deren Ideal es ist, die kurdische Sprache zu stärken, gekündigt. Die vollkommene Türkisierung von Perpêrok war ein Paradebeispiel dafür, wie tief die Furcht sitzt. Selbst vor Kurdisch sprechenden Kindern haben sie Angst.“