Seit August 2019 fegt durch die kurdischen Rathäuser in der Türkei auf Anordnung der AKP-Regierung eine Repressionswelle gegen die Demokratische Partei der Völker (HDP). Von den 65 HDP-Bürgermeister*innen, die bei der Kommunalwahl am 31. März 2019 gewählt wurden, sind inzwischen 38 ihres Amtes enthoben und durch Zwangsverwalter ersetzt worden. Gegen 27 von ihnen ist Haftbefehl ergangen, 25 Bürgermeister*innen sitzen im Gefängnis. In sechs Kommunen hatten die gewählten Bürgermeister*innen ihr Amt gar nicht erst antreten können, weil der Wahlausschuss ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden die unterlegenen AKP-Kandidaten ins Amt gehievt.
Die Begründung geht auf eine altbewährte Strategie zurück: Den kurdischen Politiker*innen wird Terrorunterstützung unterstellt. Unter anderem werden sie beschuldigt, mit dem System der genderparitätischen Doppelspitze bei der HDP, wonach jeweils ein Mann und eine Frau das Bürgermeisteramt gemeinsam ausüben, auf Anordnung der Arbeiterpartei Kurdistans PKK eine nicht verfassungsmäßige politische Struktur eingeführt zu haben, die nicht mit den offiziellen politischen Regeln und Vorschriften zu vereinbaren sei.
HRW: Wahlrecht wird abgeschafft
Auf die Strategie der AKP-Regierung macht auch Human Rights Watch (HRW) aufmerksam. In einem am Freitag veröffentlichten Bericht prangert die Menschenrechtsorganisation das massive Vorgehen des türkischen Staates gegen die HDP an und bezeichnet die staatliche Repression als einen Versuch, die Opposition zu ersticken. „Die Amtsenthebungen, Inhaftierungen und Anklagen gegen lokale kurdische Politiker, denen ohne zwingenden Grund oder Beweise kriminelle Aktivitäten vorgeworfen werden, scheint der bevorzugte Weg der türkischen Regierung zu sein, um die politische Opposition auszulöschen“, sagte Hugh Williamson, Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. Das Vorgehen gegen die HDP stünde nicht im Zusammenhang mit legitimen Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung, sondern trete die Rechte der gewählten Bürgermeister*innen und der 1,8 Millionen Wähler*innen mit Füßen.
Anstieg der Repression gegen HDP seit Invasion in Rojava
HRW beklagt zudem, dass die türkische Regierung das Funktionieren der Kommunalpolitik in den kurdischen Regionen des Landes mit der Einsetzung von Zwangsverwaltern massiv torpediert. Außerdem werde das passive und aktive Wahlrecht de facto abgeschafft. „Die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 31. März in den bevölkerungsreichsten Städten im Südosten und in den östlichen Provinzen wurden mit der Absetzung der Bürgermeister praktisch annuliert.” Insbesondere seit Beginn der türkischen Invasion in Nordsyrien sei ein drastischer Anstieg der Repression gegen die HDP zu verzeichnen, heißt es außerdem.
HDP: Schrittweise Aufbau eines Regimes
Die HDP charakterisiert die Einsetzung von Zwangsverwaltern als „den schrittweisen Aufbau eines Regimes, in dem Mandatsträger nicht mehr gewählt, sondern ernannt werden.“ Damit werde der Willen der Bevölkerung missachtet und unterdrückt. Auch die Verfassung und die von der Türkei ratifizierten internationalen Abkommen werden somit verletzt.