Sadun Mirza Ali ist unter großer Anteilnahme auf dem Gefallenenfriedhof „Şehîd Dilgeş û Şehîd Berxwedan“ in Şengal beigesetzt worden. Der Vater von drei Kindern ist Todesopfer des vom türkischen Staat fortgeführten Völkermords an der ezidischen Gemeinschaft. Er arbeitete als Fahrer für das Komitee der Gefallenenfamilien in Şengal und wurde am Donnerstag bei einem gezielten Drohnenangriff im Dorf Ziravik nahe der Ortschaft Til Êzêr südwestlich von Şengal ermordet.
Sein Leichnam wurde heute mit einem Konvoi über Xanesor zum Gefallenenfriedhof gebracht. Dort fand eine Gedenkzeremonie statt, an der neben der Familie Vertreter:innen des Demokratischen Autonomierats Şengal (MXDŞ) und der Sicherheitskräfte sowie Hunderte weitere Personen teilnahmen. Nach einer Gedenkminute hielt Pakîze Celal vom Komitee der Gefallenenfamilien eine Ansprache, in der sie erklärte, dass die Wunden der ezidischen Gemeinschaft mit jedem neuen Todesopfer erneut aufgerissen werden: „Wir vergessen unsere Gefallenen nicht und wir werden uns mit Morden nicht in die Knie zwingen lassen.“
Nayif Şemo, Ko-Vorsitzender des Autonomierats von Şengal, sagte in einer Rede: „Wir sind stolz auf unsere Gefallenen und beugen uns nicht. Unsere Arbeit und unseren Kampf setzen wir im Gedenken an die Gefallenen fort.“
Nach den Reden wurde der Leichnam von Sadun Mirza Ali begraben, Hunderte Menschen riefen dabei „Şehîd Namirin“ (Gefallene sterben nicht).
Türkische Aggression gegen Şengal
Das im südlichen Kurdistan beziehungsweise im Nordwesten des Iraks gelegene Şengal (dt. Sindschar) ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft. Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung kommt es dort seit 2017 vermehrt zu Luftschlägen durch türkische Kampfflugzeuge und Drohnen. Konkrete Ziele sind zumeist Einrichtungen der Autonomieverwaltung von Şengal, die Selbstverteidigungseinheiten YBŞ/YJŞ und Zivilpersonen. Bei den Todesopfern handelt es sich hauptsächlich um Überlebende des 2014 von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verübten Genozids in Şengal. Zuletzt wurden Ende Dezember fünf Arbeiter bei einem Drohnenangriff getötet.
Die türkische Regierung gibt vor, in Şengal ausschließlich gegen Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die das ezidische Volk gegen den IS verteidigt hatte und seit 2018 nicht mehr in der Region präsent ist, vorzugehen und beruft sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Zahlreiche Organisationen und Gremien, darunter auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, weisen dagegen auf Verstöße der Türkei gegen das Gewaltverbot hin, da es gar keine Selbstverteidigungssituation gebe.
Der Deutsche Bundestag hat den IS-Genozid von 2014 als Völkermord an den Ezid:innen anerkannt. Die Bundesregierung steht jedoch bei den Massakern an der kurdischen Bevölkerung, egal in welchem Teil Kurdistans, grundsätzlich, stillschweigend und praktisch auf der Seite der Türkei. So wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Ezidinnen und Eziden aus Deutschland in den Irak abgeschoben, obwohl die Ampel die Rückführungen von ezidischen Geflüchteten im vergangenen Jahr noch als „unzumutbar“ bezeichnet hatte. In einigen Bundesländern ist die Abschiebung ezidischer Frauen und Kinder vorübergehend ausgesetzt worden.