Şengal: Drohnen-Opfer erliegt Verletzungen

Nach dem türkischen Drohnenangriff auf ein Fahrzeug in Şengal ist das Opfer gestorben. Es handelt sich um den Fahrer des Komitees für Angehörige von Gefallenen. Der Ezide war Vater von drei Kindern.

Nach dem türkischen Drohnenangriff vom Donnerstag auf ein Fahrzeug in Şengal ist das Opfer gestorben. Der Mann sei in den frühen Abendstunden seinen Verletzungen erlegen, teilte der Demokratische Autonomierat Şengal (MXDŞ) mit. Das Gremium verurteilte den Angriff und warf der Regierung in Bagdad vor, Verletzungen der territorialen Integrität und der Souveränität des Iraks sowie Kriegsverbrechen an Ezidinnen und Eziden durch die Türkei zu dulden.

Gegen 13:00 Uhr Ortszeit (11:00 Uhr MEZ) hatte eine Kampfdrohne des türkischen Staates am Donnerstag im Dorf Ziravik ein Auto des Selbstverwaltungskomitees für Angehörige von Gefallenen bombardiert. Das Auto bewegte sich nahe der Ortschaft Til Êzêr südwestlich von Şengal und ging sofort in Flammen auf. Am Steuer saß Sadun Mirza Ali. Der Ezide arbeitete als Fahrer für das Komitee für Gefallenenangehörige aus der Şengal-Region. Er hinterlässt drei Kinder.

Sadun Mirza Ali | Bildquelle: MXDŞ

Untätigkeit Bagdads gegenüber türkischen Kriegsverbrechen „erschütternd“

Am späten Abend versammelten sich Delegierte und Beauftragte des MXDŞ sowie Mitglieder politischer Gruppen sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen vor dem Sitz des Volksrates von Sinunê und gaben eine Presseerklärung ab. „Die Untätigkeit der irakischen Regierung gegenüber den türkischen Kriegsverbrechen an unserem Volk ist erschütternd“, beklagte Nemir Pûko vom Volksrat Zorava. Auch das Schweigen der internationalen Gemeinschaft zur Militärgewalt der Türkei in Şengal verurteilte er.

PADÊ: Ezidische Gemeinschaft wird fast täglich angegriffen

„Ist es mit den Werten der Demokratie vereinbar, Kriegsverbrechen an einem Volk, das noch immer mit den Folgen des Genozids durch den IS zu kämpfen hat, zu ignorieren?“, fragte Pûko und beantwortete die Frage mit einem entschiedenen „Nein“. Die Ko-Vorsitzende der ezidischen Partei PADÊ, Macide Dexîl ergänzte: „Unsere Gemeinschaft wird nahezu täglich angegriffen. Die Täter sind die Aggressoren, die versuchen, den vom IS an den Ezidinnen und Eziden begonnenen Völkermord zu vollenden. Der Täter ist der türkische Staat, Freund und Helfer des IS. Unsere Antwort darauf wird eine noch stärkere Selbstverteidigung sein“, betonte Dexîl.

Pressekonferenz in Sinunê

Türkische Aggression gegen Şengal

Das im südlichen Kurdistan beziehungsweise im Nordwesten des Iraks gelegene Şengal (dt. Sindschar) ist das letzte zusammenhängende Siedlungsgebiet der ezidischen Gemeinschaft. Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung kommt es dort seit 2017 vermehrt zu Luftschlägen durch türkische Kampfflugzeuge und Drohnen. Konkrete Ziele sind zumeist Einrichtungen der Autonomieverwaltung von Şengal, die Selbstverteidigungseinheiten YBŞ/YJŞ und Zivilpersonen. Bei den Todesopfern handelt es sich hauptsächlich um Überlebende des 2014 von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verübten Genozids in Şengal. Zuletzt wurden Ende Dezember fünf Arbeiter bei einem Drohnenangriff getötet.

Die türkische Regierung gibt vor, in Şengal ausschließlich gegen Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die das ezidische Volk gegen den IS verteidigt hatte und seit 2018 nicht mehr in der Region präsent ist, vorzugehen und beruft sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Zahlreiche Organisationen und Gremien, darunter auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, weisen dagegen auf Verstöße der Türkei gegen das Gewaltverbot hin, da es gar keine Selbstverteidigungssituation gebe.

Der Deutsche Bundestag hat den IS-Genozid von 2014 als Völkermord an den Ezid:innen anerkannt. Die Bundesregierung steht jedoch bei den Massakern an der kurdischen Bevölkerung, egal in welchem Teil Kurdistans, grundsätzlich, stillschweigend und praktisch auf der Seite der Türkei. So wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Ezidinnen und Eziden aus Deutschland in den Irak abgeschoben, obwohl die Ampel die Rückführungen von ezidischen Geflüchteten im vergangenen Jahr noch als „unzumutbar“ bezeichnet hatte. In einigen Bundesländern ist die Abschiebung ezidischer Frauen und Kinder vorübergehend ausgesetzt worden.