Im Jahr 2000 entschied sich Zeliha in die verbotene Zone inmitten von Dersim zu ziehen. Auf den Grundmauern ihres Elternhauses errichtet die damals 42-jährige Frau einen Unterstand und beginnt hier zu leben. Nach und nach erfahren die Zuschauer*innen von diesem bedeutungsvollen Ort. Von Zelihas Großvater Seyit Riza, der als angesehener Stammesführer 1938 sein Volk erfolglos vor Tod und Vertreibung hatte bewahren wollen. Seither wird den Nachkommen das Leben in ihrer Heimat schwer gemacht.
Seit kurzem überträgt das Katasteramt willkürlich ganze Landstriche an Fremde. Auch Zeliha ist davon betroffen. Als sie aber einen alten Steuerbeleg ihres Großvaters findet, schöpft sie große Hoffnung, die drohende Landenteignung zu verhindern. Mit der Weigerung, ihre Heimat aufzugeben, erschafft sie sich die Selbstachtung, die sie für ihr Volk, ihre Familie und für sich als Mensch und Frau immer wieder erkämpfen muss. Dabei entwickelt sich ihre selbst gebaute Hütte zur Verkörperung dieser Mission.
Der Film „Zelihas Hütte“ von der Dokumentarfilmerin Gabriela Gyr zeigt, was es bedeutet, unaufhörlich von Vertreibung aus der Heimat bedroht zu sein: Den Verlust der Existenzgrundlage, der eignen Geschichte, der Zugehörigkeit, der Anerkennung und somit den Verlust der menschlichen Würde. Mit viel Mut, Leidenschaft und Ausdauer setzt sich Zeliha für ihre Grundrechte ein.
Die Protagonistin: Zeliha Polat
Zeliha Polat wurde 1956 in Agdat, einem Weiler in der Provinz Dersim geboren. Sie ist eine Enkelin von Seyit Riza, dem politischen Anführer des Dersim-Aufstands von 1937/38, bei dem sich zwölf der hier ansässigen Stämme gegen die Vertreibung aus ihrer Heimat zur Wehr setzten. Seyit Riza wird noch heute von den Kurden in der Türkei als wichtiger Held des Widerstands verehrt.
Zeliha hat nie geheiratet. Nach ihren Jugendjahren in der Provinz Dersim wurde sie, wie fast alle Menschen aus der Region, gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie lebte und arbeitete in Ankara, Izmir und Istanbul. Mit ihrer Arbeit unterstützte sie ihre Familie. Wann immer es möglich war, besuchte Zeliha ihre Heimat in den Bergen Dersims.
Im Jahr 2000 gab sie ihre Arbeit als Sekretärin auf und zog in die Hochebene Agdat, in ihr altes Stammesgebiet. Sie spannte eine Plastikplane zwischen den überwachsenen Ruinen des Hauses ihres Großvaters und entschied sich, von nun an hier zu leben. Dies kam einer Provokation gleich. Denn seit der blutigen Niederschlagung jenes Aufstandes von 1937/38 hat die türkische Regierung verboten, das Stammesgebiet von Seyit Riza wieder zu besiedeln. Also versuchte das Militär mit verschiedenen Mitteln Zeliha aus ihrem Stammesgebiet zu vertreiben. Zeliha ließ sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Sie blieb. Als Nachkommin Seyit Rizas sieht sie es als ihre Aufgabe, ihre Heimat vor der Übernahme durch die türkische Regierung zu beschützen. Damit führt sie den alten Widerstand ihres Großvaters gegen die Vertreibung weiter.
„Ich kann sagen, ich bin alt geworden. Ich weiss nicht, wieviel Zeit mir noch bleibt. Aber dieses Haus möchte ich noch fertig bauen.“ Zeliha Polat | © FILMONAUTEN
Zelihas Hütte: ein Zeugnis der eigenen Geschichte
Inzwischen hat Zeliha auf dem alten Grundstück ihrer Familie eine kleine Hütte gebaut, die sie jedes Jahr etwas komfortabler ausbaut. In ihrem zweistöckigen kleinen Haus ist der Parterreraum für die zahlreichen Gäste vorgesehen, welche aus ihrer Diaspora den Heimatort von Seyit Riza besuchen wollen. Im oberen Stock hat sie einen kleinen Raum für sich. Die gedeckte Veranda mit dem großen Kamin dient als Küche und Wohnraum für alle. Von hier aus hat man einen weiten Blick über die Hochebene Agdats.
Für viele Kurden aus Dersim ist Zelihas Hütte in der Hochebene von Agdat ein letztes Zeugnis ihrer eigenen Geschichte, weshalb sie für viele von ihnen zur Pilgerstätte geworden ist. Obgleich Zeliha bei ihren Arbeiten rund ums Haus kräftig zupacken kann, hat sie die Ausstrahlung einer urban geprägten Frau: Gepflegt, mit aufrechter Körperhaltung und anmutigen Bewegungen. Sie ist gebildet und erfahren im Umgang mit den Behörden. Dieser Widerspruch macht Zeliha zu einer faszinierenden Erscheinung.
Trotz starken Überzeugungen und ihrem Engagement für ihr Volk, sind Zelihas eigene, unausgesprochene Verletzungen und ihr Ringen um Würde spürbar. Sie ist stolz darauf, sich alleine als unverheiratete Frau behaupten zu können. Sie hofft, mit ihrer Unabhängigkeit anderen Frauen Mut zu machen. Sie sagt, dass jede Frau die Möglichkeit haben muss, ihre Rolle im Leben frei wählen zu dürfen und sie habe ihre Rolle und ihren Platz hier in Agdat gefunden.
Zeliha streitet sich mit Eindringlingen in der verbotenen Zone | © FILMONAUTEN
Regierung verschenkt Grundstücke an Fremde
Nun hat die türkische Regierung damit begonnen, die Provinz Dersim neu zu parzellieren. Dabei verkauft oder verschenkt sie willkürlich Grundstücke an Fremde, ohne die alteingesessenen Familien zu informieren. Meist an Mitglieder der Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan. Da es bisher keine offiziellen Besitzurkunden über diese Landstriche in den Bergen Dersims gegeben hat, haben die Menschen hier kaum eine Möglichkeit, auf juristischem Weg zu beweisen, dass sie und ihre Vorfahren seit Jahrhunderten auf diesem Land gelebt und es bewirtschaftet haben.
Auch Zeliha ist von dieser Landenteignung betroffen. Ein Teil ihres Grundstücks wurde bereits an andere überschrieben. Weitere Teile drohen ebenfalls „vergeben“ zu werden. In den Unterlagen ihrer Familie fand Zeliha jedoch alte Steuerbelege, die beweisen, dass bereits ihr Großvater Seyit Riza als Großgrundbesitzer für die Hochebene von Agdat Steuern bezahlt hatte. Seit 2015 versucht sie nun auf juristischem Weg das Land für ihre Familie zurückzugewinnen. Das Verfahren ist noch immer nicht abgeschlossen.
Die Dokumentation der Filmemacherin Gabriela Gyr feiert am 21. Oktober Premiere in Luzern. Noch in derselben Woche ist Zeliha's Hütte in ausgewählten Kinos zu sehen. Eine Terminübersicht sieht wie folgt aus:
Luzern: Stadtkino Luzern
Sonntag, 25. Oktober, 11 Uhr
Sonntag, 1. November, 11 Uhr
anschließend Gespräch mit Regie, Produktion und Gast (Reservierung zwingend notwendig)
Basel: UNION
Freitag, 23. Oktober, 20 Uhr
anschließend Gespräch mit Regie, Produktion und Gast (Reservierung zwingend notwendig)
Zürich: KOSMOS
Samstag, 24. Oktober, 11 Uhr
anschließend Gespräch mit Regie, Produktion und Gast (Reservierung zwingend notwendig)
Weitere Informationen unter: https://www.zelihashuette.com/daten/