Verleihung von Weimarer Menschenrechtspreis wird live gestreamt

Der Festakt zur Verleihung des Weimarer Menschenrechtspreises, der in diesem Jahr an Selahattin Demirtaş geht, fällt pandemiebedingt aus. Interessierte können die Preisübergabe über einen Livestream aus dem Rathaus verfolgen.

Der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş wird am morgigen Freitag mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar 2021 ausgezeichnet. Der Preis wird stellvertretend von Süleyman Demirtaş, dem Bruder des seit fünf Jahren inhaftierten Oppositionellen, entgegengenommen. Der Festakt zur Preisverleihung, der ursprünglich mit geladenen Gästen geplant war, musste aufgrund der Corona-Pandemie allerdings ausfallen. Für alle Interessierten und zur Präsenzveranstaltung bereits Eingeladenen gibt es ab 17 Uhr eine Übertragung der Verleihung über einen Link auf der Internet-Startseite der Stadt Weimar.

Die Laudatio auf Selahattin Demirtaş halten die frühere Justizministerin von Niedersachsen, Heidrun Merk, und der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg. Beide kennen Demirtaş sehr gut und waren als Prozessbeobachtende bei diversen Gerichtsverhandlungen in der Türkei. Sie engagieren sich in etlichen Vereinen und unterstützen die Menschen in Kurdistan und darüber hinaus seit vielen Jahren. Vorgeschlagen worden für den Preis war Demirtaş von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen.

Interessierte können die Verleihung auch über einen Livestream bei YouTube verfolgen:

 

Über Selahattin Demirtaş

Selahattin Demirtaş wurde 1973 in Palo in der kurdischen Provinz Xarpêt (tr. Elazığ) geboren. Mit 18 Jahren nahm er in Amed (Diyarbakir) an der Trauerfeier des kurdischen HEP-Politikers und Leiters der örtlichen Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD, Vedat Aydın, der nach seiner Festnahme von der Polizei gefoltert und extralegal hingerichtet worden war, teil. Aydıns Begräbnis wurde von staatlichen Todesschwadronen in ein Blutbad verwandelt – 23 Menschen wurden getötet, über 2.000 verletzt. Dieses Erlebnis prägte Demirtaş und er fasste den Entschluss, Jura zu studieren.

Nach seinem Studium arbeitete er lange Jahre als Menschenrechtsanwalt und leitete wie bereits Vedat Aydın die Zweigstelle des IHD-Amed. Politisch, aber vor allem als Mensch steht Selahattin Demirtaş für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, für eine echte Demokratisierung der Türkei, für die Glaubensfreiheit christlicher, alevitischer und ezidischer Glaubensgemeinschaften. Er setzt sich für die sprachliche, politische aber auch kulturelle Gleichberechtigung der kurdischen, assyro-aramäischen, armenischen und griechischen Volksgruppen in der Türkei ein.

Seit fast fünf Jahren unschuldig im Gefängnis

Seit seiner Inhaftierung im November 2016 sitzt Selahattin Demirtaş im Hochsicherheitsgefängnis Edirne im Westen der Türkei. Im Hauptverfahren drohen ihm wegen Terrorvorwürfen bis zu 142 Jahre Gefängnis. Die Anklage baut auf 31 Ermittlungsberichten auf, die dem türkischen Parlament während seiner Zeit als Abgeordneter der Demokratischen Partei der Völker (HDP), die er zusammen mit Figen Yüksekdağ genderparitätisch leitete, zur Aufhebung der Immunität vorgelegt worden waren. Am 20. November 2018 hatte der EGMR die Dauer seiner Untersuchungshaft für unzulässig erklärt und geurteilt, dass Demirtaş aus politischen Gründen verhaftet wurde und freigelassen werden muss. Der türkische Staat solle alles tun, um möglichst bald die Freilassung des Politikers zu ermöglichen. Die Entscheidung wurde von der Regierung in Ankara ignoriert.

Erster Haftbefehl überraschend aufgehoben

Anfang September 2019 wurde der Haftbefehl im Hauptverfahren gegen Demirtaş überraschend aufgehoben. Daraufhin hatte sein Rechtsbeistand bei einem Istanbuler Gericht, das den Politiker kurz zuvor in einem anderen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hatte, einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt. Um das zu verhindern, rollte die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara das Verfahren um die Kobanê-Proteste im Oktober 2014 wegen „neuen Ermittlungserkenntnissen“ wieder auf und erwirkte einen zweiten Haftbefehl. Im „Kobanê-Verfahren” wird Demirtaş unter anderem 37-facher Mord vorgeworfen. Ihm und auch Figen Yüksekdağ sowie weiteren 106 mitangeklagten Politikerinnen und Politikern drohen bei einer Verurteilung erschwerte lebenslange Haftstrafen. Allein für Demirtaş fordert die Generalstaatsanwaltschaft bis zu 15.000 Jahre Haft.

Ankara ignoriert auch Entscheidung der Großen Kammer

Am 22. Dezember 2020 hat der europäische Menschengerichtshof erneut entschieden, dass die Inhaftierung von Demirtaş politisch motiviert war und er sofort freigelassen werden muss. Zudem wurde Ankara zur Zahlung von insgesamt 60.400 Euro für Vermögensschäden, immaterielle Schäden sowie Ausgleich für Kosten und Ausgaben verurteilt. Das Urteil wurde von der Großen Kammer des EGMR gesprochen und ist rechtskräftig. Doch auch diese Entscheidung wird von der türkischen Regierung ignoriert.