In der Rubrik rbb Kultur erzählt die kurdische Künstlerin Zehra Doğan in einem achtminütigen Feature von ihrer Sicht auf die Ereignisse in Rojhilat (Ostkurdistan) und Iran nach dem Mord an Jina Mahsa Amini. „Die Proteste im Iran und die brutalen Reaktionen darauf bewegen auch die kurdische Künstlerin Zehra Doğan in Berlin. Mit einer spektakulären Aktion an der Iranischen Botschaft setzt sie ein Zeichen. Sie ist Kurdin, wie Jina Mahsa Amini, die von der iranischen Sittenpolizei ermordet wurde und mit der alles begann. Ihre Kunst ist Protest“, heißt es in der Ankündigung.
Thematisiert wird in dem Beitrag auch das tödliche Attentat auf die kurdische Journalistin und Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel, mit der Zehra Doğan viele Jahren zusammenarbeitete und befreundet war. Nagihan Akarsel wurde am 4. Oktober in Silêmanî von einem Attentäter des türkischen Geheimdienstes MIT erschossen.
Wer ist Zehra Doğan?
Zehra Doğan gehört zu den Gründerinnen der weltweit ersten feministischen Frauennachrichtenagentur JINHA, die im Zuge des Ausnahmezustands im Oktober 2016 per staatlichem Dekret geschlossen wurde. Als Künstlerin thematisiert sie die politischen Verhältnisse und das Leben von Frauen. Während des demokratischen Selbstverwaltungswiderstands in Nordkurdistan hatte die Journalistin aus Nisêbîn und Cizîr berichtet.
Aufgrund ihrer Berichterstattung und einem Bild, das die türkische Flagge über von Panzern zerschossenen Häusern zeigt, wurde Zehra Doğan im Juli 2016 in Untersuchungshaft genommen. Die Anklage lautete „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ und „Terrorpropaganda“. Fünf Monate später wurde Zehra Doğan vom ersten Vorwurf freigesprochen, aber ein Berufungsgericht bestätigte im Juni 2017 das erstinstanzliche Urteil über zwei Jahre, neun Monaten und 22 Tage Gefängnis wegen ihrer Aktivitäten in digitalen Netzwerken und der vermeintlichen Terrorpropaganda. Sie kam erneut ins Gefängnis, zunächst in Amed (Diyarbakir), später wurde sie mit zwanzig weiteren Frauen gegen ihren Willen nach Tarsus verlegt.
In Haft machte Zehra Doğan Reportagen mit ihren Mitgefangenen und schrieb unter anderem die verbotene pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem von Hand weiter. Diese Ausgaben wurden aus dem Gefängnis geschmuggelt. In ihrer Zelle hatte sie ein Atelier eingerichtet, aber weder Leinwand noch Pinsel oder Papier zur Verfügung. Farben stellte sie mit Essensresten, verfaultem Gemüse, Gewürzen, Medikamenten und sogar Menstruationsblut her, oder sie legte gemalte Postkarten, die ihr eine Freundin aus Frankreich schickte, in Wasser ein und siebte das gefärbte Wasser ab. Ihre Pinsel stellte sie aus Taubenfedern her, die in den Gefängnishof fielen, oder aus ihren eigenen Haaren, die sie an einen Bleistift klebte. Bei ihren wöchentlichen Besuchen brachte ihre Mutter weiße Kleider mit, die sie als Leinwand benutzte und mit der Schmutzwäsche wieder nach draußen schickte.
Aus dem Gefängnis entlassen wurde Zehra Doğan im Februar 2019. Weltweit bekannt wurde sie durch ein riesiges Wandbild, mit dem der britische Street-Art-Künstler Banksy in New York gegen ihre Inhaftierung protestierte. Das etwa 20 Meter breite Kunstwerk zeigte stellvertretend für die Tage ihrer Haftstrafe eine Strichliste, die an einer Stelle zugleich ein Gefängnisgitter darstellt.
Wer war Nagihan Akarsel?
Nagihan Akarsel war eine bekannte Persönlichkeit in der kurdischen Community und in der internationalen Jineolojî-Bewegung, sie war seit dreißig Jahren politisch aktiv. Sie studierte Journalismus in Ankara und arbeitete lange Zeit als Journalistin und Autorin, unter anderem in der Redaktion der Zeitschrift „Jineolojî“. Aufgrund ihres Engagements in der kurdischen Bewegung war sie jahrelang in der Türkei im Gefängnis und nach 1994 zeitweise mit der kurdischen Politikerin Leyla Zana in einer Zelle. In Rojava förderte sie die Bildungsarbeit im Bereich der Jineolojî und recherchierte zur Geschichte von Frauen in Efrîn. In Şengal betrieb sie Feldforschung zur Situation von Frauen nach dem vom „Islamischen Staat“ (IS) begangenen Genozid und Femizid. Zuletzt arbeitete sie mit Frauen aus Südkurdistan im Forschungszentrum für Jineolojî. Eines ihrer laufenden Projekte war die Einrichtung einer kurdischen Frauenbibliothek. Am 4. Oktober 2022 wurde Nagihan Akarsel auf dem Weg zu der Frauenbibliothek in Silêmanî vor ihrer Wohnung erschossen. Sie wurde von elf Kugeln aus der Waffe eines MIT-Attentäters getroffen.