Den Homogenisierungsbestrebungen der Türkei fielen Anfang des 20. Jahrhunderts viele ethnische und religiöse Minderheiten zum Opfer. 1915 begann Aghet – der Völkermord an den Armeniern. Es war ein Verbrechen von ungeheuerlichen Dimensionen, befohlen von der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches, und forderte mehr als 1,5 Million Opfer. 22 Jahre später, die türkische Republik war bereits gegründet worden, folgte in Dersim Tertele – der Untergang. Zwischen 1937 und 1938 tötete die türkische Armee in Dersim etwa 70.000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, auf grausame Weise. Menschen, die in Berghöhlen Zuflucht suchten, wurden eingemauert, ausgeräuchert oder verbrannt. Viele Opfer, vor allem Frauen, stürzten sich aus Verzweiflung von den Bergklippen in den Fluss Munzur, um nicht gefangen genommen zu werden. Mehr als 100.000 Menschen wurden zur Deportation gezwungen. Unzählige Mädchen und Jungen wurden verschleppt.
Der Regisseur Çayan Demirel hat 2006 einen Dokumentarfilm über Dersim 37-38 gedreht. In diesem Film kommen Überlebende des Genozids zur Sprache und überliefern ihre Gewalterfahrungen. Die exilierten und zwangsadoptierten Kinder aus Dersim erzählen in der Dokumentation ihre Erinnerungen an die Jahre nach 1938.
Neben den Augenzeugenberichten aus der Opferperspektive kommen zahlreiche etablierte Wissenschaftler zur Sprache und versuchen die Ereignisse in Dersim historisch einzuordnen. Im Internet ist die Dokumentation nun frei zugänglich. Untertitel für den zweisprachigen Film gibt es allerdings nur auf Türkisch.
Wer ist Çayan Demirel?
Çayan Demirel genießt nicht nur innerhalb der kurdischen Community, sondern auch international einen hohen Bekanntheitsgrad. 1977 in Istanbul geboren, begann der aus Dersim stammende Demirel nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaft sich ab 2000 mit Filmen im Sinne der Oral-History zu beschäftigen. 2006 beendete er seine Dokumentation „Dersim 38“ über die Ereignisse während dem Völkermord an den alevitischen Kurden Dersims in den Jahren 1937 bis 1938. Zwei Jahre später gründete er mit der Produzentin Ayşe Çetinbaş die Produktionsfirma Sürela-Film.
2009 räumte Demirel für sein Werk „Das Gefängnis Nr. 5 in Diyarbakir” gleich auf mehreren Festivals den Preis für den besten Dokumentarfilm ab. Im selben Jahr feierte sein Film „Dr. Şivan“ über das Leben von Dr. Sait Kırmızıtoprak, einem kurdischen Intellektuellen, der den Genozid in Dersim überlebte und Gründer der ersten linksgerichteten kurdischen Guerillabewegung war, Premiere. Danach drehte Demirel gemeinsam mit dem Journalisten Ertuğrul Mavioğlu die Guerilladokumentation „Bakur“ (Norden). Der Film dokumentiert den Alltag und das politische Leben der kurdischen Guerilla und beschäftigt sich mit der Rückzugsentscheidung der PKK aus Nordkurdistan im Rahmen des Friedensprozesses zwischen 2013 und 2015. Wegen des Films wurden Demirel und Mavioğlu im Juli vergangenen Jahres in einem Terrorverfahren zu einer Haftstrafe von jeweils viereinhalb Jahren verurteilt. Solange das Berufungsverfahren noch anhängig ist, befinden sie sich allerdings auf freiem Fuß.
Vor vier Jahren erlitt Demirel eine Hirnblutung, sein Leben veränderte sich schlagartig. Von den Folgeschäden, die sich durch neurologische Ausfälle wie beispielsweise Lähmungen, Sprach- oder Bewegungsstörungen bemerkbar machen, hat er sich noch immer nicht erholt. Demirel kämpft sich durch den Einschnitt in sein altes Leben, auch wenn es eine riesige Herausforderung und ein langwieriger Prozess ist. Der Dokumentarfilm „Unser Freund Çayan“, den Freundinnen und Freunde des Filmemachers drehten, gibt einen Einblick in das jetzige Leben Demirels.