YXK/JXK: Was tun gegen einen möglichen Großangriff auf Rojava?

Die Studierenden von YXK und JXK rufen dazu auf, gegen die Angriffe auf Kurdistan mit den demokratischen Kräften in den Städten zusammenzukommen und Aktionskomitees zu bilden.

Der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) und die Studierenden Frauen aus Kurdistan (JXK) rufen dazu auf, gegen einen möglichen Großangriff auf Rojava/Nordostsyrien jetzt in den Städten mit den Menschen zusammenzukommen, mit denen bereits 2018 bei der Invasion in Efrîn, 2019 bei der Großoffensive zwischen Girê Spî und Serekanîyê und so viele andere Male auf die Aggressionen des türkischen Faschismus reagiert wurde. Den antifaschistischen, antikolonialen, feministischen, ökologischen und demokratischen Kräfte schlagen sie vor, Vollversammlungen einzuberufen und Aktionskomitees in den Städten, Schulen und Hochschulen zu bilden. In ihrer Analyse zur aktuellen Lage in Kurdistans betonen sie, dass die Angriffe in allen Regionen bereits täglich stattfinden.

Türkische Giftgaseinsätze in kurdischen Bergen

„Seit dem 23. April führt die türkische Armee eine Großoffensive in den Medya-Verteidigungsgebieten in Südkurdistan (Nordirak) durch. Ziel dieser Offensive war es, innerhalb weniger Monate die Gebiete Zap, Avaşîn und Metîna zu besetzen und danach die Gebiete Gare und Qendîl anzugreifen und ebenfalls zu besetzen. Der Guerilla sollte so ein tödlicher Schlag versetzt werden. Nach mehr als einem halben Jahr dieser Operation ist die türkische Armee mit all ihren Methoden der Kriegsführung in den Bergen stecken geblieben. Neue Guerilla-Methoden wie die Tunnelkriegsführung und der Einsatz von hochprofessionellen Kleingruppen machen es der türkischen Armee unmöglich, weiter vorzurücken. Seit Monaten greift die türkische Armee deshalb auch auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen und Giftgasen zurück. Mehr als 300 Mal hat die türkische Armee schon Giftgas eingesetzt. Bisher fand keine Intervention oder Untersuchung durch die UN, Regierungen oder Nicht-Regierungs-Organisationen wie der OPCW statt. Einzig kurdische, linke und antifaschistische Parteien, Organisationen und Menschen haben begonnen, gegen die türkischen Giftgaseinsätze zu protestieren.

Verrat in Südkurdistan

Während die Guerilla mit der türkischen Armee kämpft und die Zukunft des kurdischen Volkes und der Völker des Mittleren Ostens verteidigt, geht die PDK einen anderen Weg. Sie hat sich entschieden, mit der Türkei gegen das kurdische Volk zu kämpfen. Während sich alle Parteien und Organisationen um eine Einheit gegen die türkische Invasion bemühen, versucht die PDK von der türkischen Invasion zu profitieren. Die PDK greift kurdische Guerillakämpfer:innen an, sie entführt kurdische Aktivist:innen, sie ist die Hauptursache für die Armut unter der kurdischen Gesellschaft und Jugend, sie verhindert die Rückkehr von ezidischen Familien und versucht, Friedensdelegationen zu verhindern. Mehr noch, die PDK unterstützt das türkische Agentennetzwerk in Südkurdistan, sie hilft bei der Ortung von kurdischen Kämpfer:innen, in ihrem Gebiet baut sich der IS wieder auf! Wir möchten an diesem Punkt an die aktiven und ehemaligen Peschmerga erinnern, die die Waffen niederlegten und es ablehnen, gegen die Guerilla zu kämpfen. Diese Haltung ist kurdisch, die Haltung der Führung der PDK ist nicht kurdisch.

Sêmalka – Zelt des kurdischen Volkes

Sêmalka ist ein Grenzübergang zwischen Rojava und Başûr [Südkurdistan]. Seit einigen Wochen steht dort ein Trauerzelt von Angehörigen der gefallenen Guerillakämpfer:innen Tolhildan Raman und Serdem Cûdî. Beide sind bei einem Hinterhalt der PDK ermordet und ihre Körper entführt worden. Die Mütter, Familien und solidarischen Menschen fordern nun ihre Herausgabe, um gemeinsam von ihren Kindern Abschied nehmen zu können. Da die PDK die leiblichen Überreste nicht übergeben möchte, ist aus dem Zelt nun ein Protestzelt geworden. Es ist eine Schande, dass die PDK die kurdischen Mütter und Familien so leiden lässt. Viele Menschen und Organisationen besuchen es zurzeit, um den Müttern und Angehörigen Beistand und Solidarität zu leisten. Das Zelt in Sêmalka ist das Zelt des kurdischen Volkes. Alle Kurdinnen und Kurden müssen sich in diesem Zelt versammeln.

Politischer Status für Şengal

In Şengal geht der Aufbau ähnlich wie in Rojava mit voller Hingabe voran. Nach dem Rückzug der PDK und dem Einmarsch des sogenannten IS im Jahr 2014 verübte dieser einen Genozid an den Ezid:innen. Nachdem der IS von Gerillakräften und von Volksverteidigungseinheiten vertrieben wurde, begannen die Ezid:innen mit dem Aufbau einer Selbstverwaltung. Das ezidische Volk hat eine Geschichte, die Jahrtausende zurückreicht. Obwohl sie das Leben und die Geschichte des Mittleren Ostens so bereichern, haben sie zahlreiche Genozide erlebt. Dass sich das ezidische Volk nun unabhängig macht, sich selbst verwaltet und selbst verteidigt, ist sein natürliches, menschliches Recht. Alle Angriffe und Einflüsse wie die türkische Invasion oder Besatzungsoperationen der PDK und der irakischen Regierung sind zu verurteilen. Ein politischer Status für Şengal, d.h. die Anerkennung der Selbstverwaltung, ist ein zentrales Ziel.

Siuation in Rojhilat

Rojhilat gehört mit zum isoliertesten Teil Kurdistans. Unter iranischem Regime herrscht wenig Raum für eine demokratische Opposition. Besonders durch die Einheiten der PJAK, die als Verbindung Ostkurdistans zur restlichen Freiheitsbewegung Kurdistans dient, sieht sich das iranische Regime bedroht. Seit geraumer Zeit greift dieses kurdische Kräfte innerhalb und außerhalb der Staatsgrenzen an. Jede Opposition wird mundtot gemacht oder gar vernichtet. Es geht schon so weit, dass seit einigen Wochen immer wieder Luftangriffe auf die kurdischen Gebiete durchgeführt werden. Dabei setzt das Regime unbemannte Luftfahrzeuge ein, die die Grenze zu Südkurdistan brutal bombardieren. Wie bei den türkischen Angriffen wird auch hier die Umwelt massiv zerstört. Wie die Türkei steckt auch der Iran in einer tiefen Wirtschaftskrise und zeigt angesichts des wachsenden Widerstands in der kurdischen und iranischen Gesellschaft sein faschistisches Gesicht.

Faschistisch-islamistische Terrorherrschaft in Efrîn

Auch die Situation in Efrîn ist bezeichnend. Während vorher 90 Prozent der Bevölkerung kurdisch war, sind es in Folge der Besatzung durch den türkischen Staat und seine dschihadistischen Banden nur noch 15 bis 20 Prozent. Tagtäglich finden in den Besatzungsgebieten Vergewaltigungen, Entführungen, Plünderungen, Folter und Mord an Frauen, Jugendlichen und nicht-türkischen oder nicht-sunnitischen Bevölkerungsgruppen statt. Unter der Besatzung kann und wird für die Region keine Normalität möglich. Bis heute warten die vertriebenen Menschen auf die Möglichkeit, in ihre Städte und Dörfer zurückzukehren. Das geht nur durch ein Ende der türkischen Besatzung.

Zwangsverwaltung in Nordkurdistan

In Nordkurdistan herrscht seit 2016 eine Zwangsverwaltung in fast allen Städten und Dörfern. Demokratisch gewählte Bürgermeister:innen wurden vom türkischen Staat abgesetzt und durch von Ankara bestimmte Zwangsverwalter ersetzt, die loyal zum AKP/MHP-Regime stehen. Der türkische Staat versucht nun auch die HDP zu verbieten. Die Ermordung von Deniz Poyraz und das Massaker an der Familie Senyasar dienen zur Einschüchterung der kurdischen Gesellschaft. In kurdischen Städten versucht der Staat, die Jugend mit Prostitution und Drogen einzuschläfern. Es zeigt sich jedoch, dass die kurdische Gesellschaft nicht gebrochen wird. Auch wenn eine Zwangsverwaltung herrscht, darf die gesellschaftliche Kraft in Nordkurdistan nicht unterschätzt werden. Sie kann nur nicht so offen zur Entfaltung kommen wie in Rojava, Şengal, Mexmûr oder Lavrio.

Weitere Großoffensive auf Rojava geplant

Das AKP/MHP-Regime versucht in diesen Zeiten, in denen ihr Rückhalt in der Gesellschaft schwindet, mit nationalistischer und rassistischer Stimmungsmache ihr Klientel zurückzugewinnen. Dazu gehört neben dem aktuellen Säbelrasseln auch die Hetze der CHP gegen syrische und afghanische Geflüchtete, die Pogromstimmung gegen Kurd:innen, wie sie sich in Konya im Sommer diesen Jahres auf tödliche Art und Weise gezeigt hat, das Spielen mit diplomatischen Muskeln gegenüber Botschafter:innen sowie die Verlängerung des Parlamentsmandats für Militäroperationen in Irak und Syrien.

Die offene Ankündigung einer weiteren Operation in Rojava ist allerdings mehr als nur Propaganda. Wir wissen, dass es Gespräche zwischen der Türkei und Russland auf der einen und den USA auf der anderen Seite gibt. Die Türkei versucht, grünes Licht für eine weitere Operation zu bekommen. Und beide haben schon vorher einen Angriffskrieg ermöglicht: Russland, als sie 2018 den Luftraum über Efrîn für die türkische Luftwaffe öffneten, und die USA, als sie 2019 ihre Kräfte zurückzogen und so der türkischen Armee und islamistischen Söldnern den Weg frei machten. In diese Phase der Gespräche und Verhandlungen hinter verschlossenen Türen treten nun unzählige Vermutungen, Analysen der aktuellen Situation, Falschmeldungen, ob vorsätzlich gestreut oder versehentlich verbreitet, Video- und Bildmaterial vergangener Operationen und Truppenbewegungen, falsche Ankündigungen bevorstehender Operationen und ähnlichem. Mit all diesen Informationen wird aktuell, gerade auf Social-Media-Plattformen, täglich hantiert und so Beobachter:innen eine wirkliche Analyse der Situation erschwert.

Trotz aller Angriffe, die im Moment auf Rojava stattfinden, geht auch hier der Aufbau des Demokratischen Konföderalismus mit unglaublichen Kräften voran. Eine tragende Rolle in diesem Aufbau spielt der seit mehr als 20 Jahren gefangene Serok APO (Abdullah Öcalan), welcher dem kurdischen Volk als ideologischer Vorreiter, Identifikationsperson und Repräsentant dient. In der Isolationshaft auf der Insel Imralı wird Serok APO kein Kontakt zur Außenwelt, zu Familie oder zu Anwält:innen gewährt, und es werden regelmäßig Gerüchte über seinen gesundheitlichen Zustand verbreitet. Die im Text besprochene Unklarheit und psychologische Kriegsführung spiegelt sich also auch hier wider.

Täglich erhalten wir Nachrichten von Erfolgen der Selbstverwaltung, die weltweit die Sehnsüchte und Hoffnungen der Völker, Frauen und Jugendlichen auf ein gutes Leben stärken. Diese Erfolge zu verteidigen, ist die Aufgabe aller kurdischen Jugendlichen, jungen Frauen, Schüler:innen und Studierenden. Vergessen wir nicht, dass von Nordkurdistan bis nach Europa ein Aufstand ging, als Kobanê fast vom IS eingenommen wurde. Vergessen wir nicht, wie wir alle weltweit auf den Straßen feierten, als Kobanê den Faschismus besiegte. Jetzt ist das Ziel die Freiheit von Efrîn, von Başûr und Şengal, von Rojhilat und Bakur, von Serok APO und allen politischen Gefangenen! Unabhängig davon, wie sich die Großmächte beraten und einigen, ob sie eine weitere türkische Invasion billigen oder nicht, die letzte Entscheidungen haben die Völker, Frauen und Jugendlichen. Wir sind ein Teil von ihnen, wir dürfen nicht warten, sondern müssen uns organisieren. Auf jeden faschistischen Angriff muss eine entsprechende antifaschistische Antwort folgen. Das ist nur durch Organisierung möglich.

Wie aktiv werden?

Wir rufen daher alle kurdischen Jugendlichen und Studierenden, antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen, sowie Internationalist:innen und Freiheitsliebenden auf, sich erneut zusammenzufinden und zu handeln. Kommt in euren Städten zusammen mit den Menschen, mit denen ihr bereits 2018 bei Efrîn, 2019 bei der Großoffensive zwischen Girê Spî und Serekanîyê und so viele andere Male auf die Aggressionen des türkischen Faschismus reagiert habt. Kommt mit den kurdischen Vereinen in euren Städten zusammen, koordiniert und handelt gemeinsam.

– An die antifaschistischen, antikolonialen, feministischen, ökologischen und demokratischen Kräfte: beruft in euren Städten VOLLVERSAMMLUNGEN ein

– An kurdische Jugendliche, Schüler:innen und Studierende, die ihre Heimat lieben: organisiert euch in den lokalen Strukturen oder gründet neue AKTIONSKOMITEES in euren Städten, Schulen und Hochschulen

Bereitet euch vor, recherchiert, diskutiert und bildet euch, sammelt eure Materialien und Ressourcen, informiert die Öffentlichkeit, plant Aktionen, seid kreativ und wartet nicht – tretet umgehend in Aktion!“