Hintergrund des Auslandsmandats für türkische Operationen

Die Europa-Vertretung der HDP fasst die Hintergründe der am Dienstag im türkischen Parlament verabschiedeten Verlängerung des Mandats für Auslandseinsätze in Syrien und dem Irak zusammen und geht dabei auf die Kriegsverbrechen der Türkei ein.

Erstmalig wurde 2007 im türkischen Parlament eine Resolution zur Entsendung von Truppen in den Irak verabschiedet. Sie wurde sechs Jahre in Folge verlängert. Ein Jahr nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 wurde erstmals ein Mandat zur Entsendung von Truppen nach Syrien beschlossen. Auch dieses Mandat wurde um ein weiteres Jahr verlängert. Im Jahr 2014 bestätigte eine neue Entschließung die Entsendung von Truppen nach Syrien und in den Irak. Dieses Mandat wurde zuletzt vom 7. Oktober 2020 bis zum 30. Oktober dieses Jahres verlängert.

Die Mandate galten bisher immer für ein Jahr. Am 26. Oktober 2021 wurde das Mandat zum ersten Mal auf zwei Jahre verlängert, bis zum Oktober 2023. Dafür stimmten die Abgeordneten der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) und der IYI-Partei (Gute Partei). Die HDP (Demokratische Partei der Völker), die CHP (Republikanische Volkspartei), die TIP (Arbeiterpartei der Türkei) und die DBP (Partei der Demokratischen Regionen) lehnten den Antrag ab. Auch politische Parteien außerhalb des Parlaments und Nichtregierungsorganisationen sprachen sich gegen das Mandat aus.

Die Ko-Vorsitzende der HDP, Pervin Buldan, nannte das Mandat eine „Verlängerung von Krieg und Besatzung". In der Fraktionssitzung der HDP bezeichnete sie das Mandat als gegen die Kurden gerichtetes Mittel, um islamistischen Gruppen wie IS und Al-Nusra-Front Luft zu verschaffen. Sie kommentierte: „Mit diesem Mandat will die Regierung verhindern, dass ein Friedensprozess in Syrien entsteht. Die Konflikte und die daraus resultierenden Flüchtlingsbewegungen sollen weitergehen, um davon zu profitieren. Das ist der Zweck dieses Mandats."

Sie wies auch darauf hin, dass die Ermächtigung für Auslandseinsätze in Syrien und im Irak bisher nur um ein Jahr verlängert worden sei, und erklärte: „Offenbar hat die Regierung Angst, dass es in einem Jahr keine AKP-Fraktion mehr geben könnte. Sie sieht selbst, dass ihr Abgang naht und will ihre Kriegspolitik bis 2023 absichern."

Im Vorfeld der Abstimmung hatte die HDP die Oppositionsparteien dazu aufgerufen, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kein weiteres Kriegsmandat zu erteilen und den „blutigen Kreislauf der Gewalt" zu beenden. Auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen hatten sich gegen den Antrag ausgesprochen.

Die HDP-Sprecherin Ebru Günay erklärte auf einer Pressekonferenz: „Das Mandat ist eine Taktik, um das Leben der AKP durch eine Politik des Krieges, des Chaos, der Feindseligkeit und der Polarisierung zu verlängern. Es ist die Anstrengung der Regierung, die das Land in Armut, Krisen und Zusammenbruch stürzt. Dies ist die Grundlage und der Inhalt des dem Parlament vorgelegten Gesetzentwurfs. Aus diesem Grund haben wir die Menschen in der Türkei vor diesem Spiel gewarnt und die demokratischen Kräfte und die Opposition dazu aufgerufen, nicht zum Instrument dieser schmutzigen Politik der Regierung zu werden."

Günay wies auf die demokratische Bedeutung der Stimmen der Oppositionsparteien gegen den Antrag hin und sagte: „Was wir ablehnen, ist nicht nur die Kriegspolitik der AKP, sondern auch ihre Vereinnahmung der Opposition durch den Krieg."

Europaparlament verurteilt türkische Invasionen

Die türkischen Invasionen und Besatzungen sind vom Europäischen Parlament verurteilt worden. In seiner Entschließung vom 11. März 2021 zum „Syrien-Konflikt - Zehn Jahre nach dem Aufstand" war sich das Parlament einig: „Die Türkei interveniert seit 2016 direkt in Syrien, um die nördlichen Teile des Landes, die überwiegend aus syrisch-kurdischen Enklaven bestehen, völkerrechtswidrig zu besetzen, unter anderem durch die Invasion von Gebieten, die von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) kontrolliert werden, im Oktober 2019.

Das EP fordert die Türkei auf, ihre Truppen aus Nordsyrien abzuziehen, das sie außerhalb eines UN-Mandats illegal besetzt hält; verurteilt die illegalen Überstellungen kurdischer Syrer aus dem besetzten Nordsyrien in die Türkei zur Inhaftierung und Strafverfolgung, die gegen die internationalen Verpflichtungen der Türkei im Rahmen der Genfer Konventionen verstoßen; fordert nachdrücklich, dass alle syrischen Gefangenen, die in die Türkei überstellt wurden, unverzüglich in die besetzten Gebiete in Syrien zurückgeführt werden; ist besorgt, dass die anhaltenden Vertreibungen durch die Türkei einer ,ethnischen Säuberung' gegen die syrische kurdische Bevölkerung gleichkommen könnten; betont, dass die illegale Invasion und Besetzung durch die Türkei den Frieden in Syrien gefährdet hat."

Chemiewaffeneinsätze in Südkurdistan

Im Rahmen der laufenden Invasion im Nordirak hat die Türkei Berichten zufolge chemische Waffen eingesetzt. Der Einsatz von Chemiewaffen ist ein Kriegsverbrechen und ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Am 20. Juni 2021 stellte Malin Björk (MdEP von der schwedischen Partei Die Linke) eine schriftliche Anfrage an das Europäische Parlament über die Reaktionen der EU auf die gemeldeten Angriffe. Im Oktober antwortete der Hohe Vertreter/Vizepräsident Josep Borrell: „Es wurden jedoch keine Berichte über bestätigte chemische Angriffe vorgelegt."

Die internationalen Behörden verlangen unabhängige Beweise, aber sie sind es, die in der Lage sind, diese Beweise zu beschaffen. Die Rufe nach einer Untersuchung durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) werden immer lauter - von internationalen Frauen, von Intellektuellen aus Südkurdistan und von arabischen Intellektuellen. In einem Aufruf von über hundert Abgeordneten, Schriftstellern und Aktivisten aus Südkurdistan heißt es:

„Als irakische Kurden waren wir schon einmal Opfer von Chemiewaffen. In der Zeit von 1986 bis 1990 haben wir fast 10.000 unserer Leute verloren. Unser Volk leidet noch immer unter den Folgen dieser Waffen. Jetzt begeht die Türkei die gleichen Gräueltaten in unserem Land.“

Am 22. Oktober stellte Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete für Die Linke, eine parlamentarische Anfrage zu den Erkenntnissen der deutschen Regierung über einen Einsatz chemischer Waffen durch die Türkei in Irakisch-Kurdistan. Sie fragte, wie die Waffen an sie geliefert werden konnten.

Auch der italienische Abgeordnete Erasmo Palazzotto stellte eine parlamentarische Anfrage zum Einsatz von Chemiewaffen gegen Kurden durch den türkischen Staat. Palazzotto erklärte, dass bei den seit dem 23. April 2021 andauernden Invasionsangriffen in Südkurdistan in Metîna, Zap und Avaşîn in großem Umfang chemische Waffen eingesetzt worden seien und dies „die Gefahr eines unhaltbaren Szenarios" in Kurdistan unterstreiche.

Die HDP-Abgeordnete Feleknas Uca hat das Thema ins türkische Parlament eingebracht und gefragt: „Ist der Einsatz von Chemiewaffen durch die Türkei auf dem Gebiet der Regionalregierung Kurdistans, wie in den Medienberichten behauptet, wahr? Gibt es einschlägige Untersuchungen zu diesen Behauptungen, die nach internationalem Recht Kriegsverbrechen darstellen? Denn das Genfer Protokoll von 1925 verbietet den Einsatz von chemischen und biologischen Waffen im Krieg."

EU-Kommission bezeichnet die Türkei als Besatzungsmacht

Der Bericht der EU-Kommission zur Türkei bezeichnet die Türkei erstmals als „Besatzungsmacht" in Nordostsyrien (Rojava) und Nordirak (Südkurdistan). Die Türkei hält sich in Syrien und im Irak unter Missachtung des Völkerrechts und der Menschenrechte auf und begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das verabschiedete Militärmandat unterstützt den Fortbestand der Türkei als „Besatzungsmacht" und damit auch die Fortsetzung der Verbrechen der türkischen Regierung gegen die Menschlichkeit. Das Völkerrecht verlangt, dass es überall eingehalten wird und dass diejenigen, die sich nicht daran halten, zur Verantwortung gezogen werden. Alle internationalen Institutionen müssen dafür sorgen, dass dies geschieht.

Das Eintreten für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ist genau das, was die HDP tut - trotz aller Repressalien und Angriffe.

Der Text ist am 28. Oktober 2021 auf der Internetseite HDP Europe erschienen.