Ronahî Serhad, Mitglied der Koordination der Partei der freien Frauen Kurdistans (Partiya Azadiya Jinên Kurdistanê, PAJK), erklärt zum Hintergrund der vor einer Woche gestarteten Invasion des türkischen Staates in Südkurdistan:
Die Gefangenschaft und Isolation von Abdullah Öcalan auf Imrali basieren nicht nur auf der kurdenfeindlichen Politik der AKP/MHP-Regierung. Sie stehen im Zusammenhang mit der Politik der USA und der anderen hegemonialen Mächte, die den im Mittleren Osten mit Zentrum in Kurdistan stattfindenden dritten imperialistischen Aufteilungsweltkrieg anführen. Auf eine Lösung der kurdischen Frage und der Problematik im Mittleren Osten zu warten, während zur Gefangenschaft von Abdullah Öcalan Grabesstille herrscht, bedeutet, sich der eigenen Vernichtung preiszugeben.
Mit dem dritten Weltkrieg sind die Kurdistan- und die Mittelostfrage zu Resultanten geworden, die sich gegenseitig noch stärker als zuvor beeinflussen. Dass die USA auf der einen Seite erstmalig den armenischen Genozid anerkannt haben und auf der anderen Seite nach der Veröffentlichung eines Vernichtungsbeschlusses gegen drei führende Mitglieder unserer Bewegung der faschistischen AKP/MHP-Regierung die Genehmigung für eine breit angelegte Operation im Guerillagebiet erteilen, zeigt ihr Beharren auf Vernichtung. Die PDK beteiligt sich offen an den Besatzungsoperationen in Südkurdistan. Diese Operationen werden seit 2010 mit größerer Intensität geführt und Stück für Stück ausgeweitet. Mit der Vernichtung der Guerilla soll die PDK gestärkt und zur einzigen Ansprechpartnerin gemacht gemacht, um sie in dem regionalen Krieg effektiv benutzen zu können.
Neben der Ausschaltung der PKK-Bewegung bei der Besatzung Südkurdistans ist ein weiterer Zweck der etappenweise angelegten Planung die Vorbereitung auf eine militärische Intervention gegen Iran. Die Türkei bereitet sich im Auftrag der NATO auf eine solche Intervention vor. Die Stationierung von Truppen der türkischen Armee und der Ausbau von Stellungen entlang der iranisch-irakischen Grenze richtet sich nicht nur gegen unsere Befreiungsbewegung. Es geht auch um den Status Südkurdistans und die Autonomie von Nord- und Ostsyrien.
Mit dem dritten Weltkrieg wird die Landkarte der Region neu gestaltet. Die faschistische Erdogan-Regierung hat das erkannt und will diese Gelegenheit nicht verpassen. Er öffnet die Türkei der Nutzung durch die imperialistische Politik und versucht sich an der Macht zu halten, indem er sich beim Völkermord an den Kurdinnen und Kurden unterstützen lässt. Gleichzeitig versucht er von der Krise des kapitalistischen Systems und dem Chaos in der Region zu profitieren, um zur Hegemonialmacht aufzusteigen. Dass er jahrhundertealte internationale Abkommen wie den Vertrag von Lausanne und das Abkommen von Montreux zum Bosporus zur Debatte stellt, ist kein politischer Ausfall, keine Anbiederung an nationalistische Kreise und kein außenpolitisches Druckmittel. Er will die nach dem ersten Weltkrieg festgelegten Grenzen der Türkei ausweiten, neue Gebiete annektieren und den kurdischen Genozid vollenden.
Das benennt Erdogan als sein Ziel für 2023. Damit in den Balancen des 21. Jahrhunderts die Kurden kein Gewicht finden, setzt er mit seiner Politik der Vernichtung und Verleugnung einen Genozid-Plan in allen vier Teilen Kurdistans um. Als die Landkarten nach dem ersten Weltkrieg neu gestaltet wurden, sind die Kurdinnen und Kurden übergangen worden. Danach wurden alle kurdischen Aufstände für Freiheit blutig niedergeschlagen. Mit der Entstehung der PKK hat sich das Schicksal gewendet. Im Gedenken an Haki Karer, der von der Agentenorganisation Sterka Sor am 18. Mai in Dîlok ermordet wurde, hat Abdullah Öcalan mit der Parteigründung und einem entsprechenden Programm eine Grundlage und Möglichkeiten für den Kampf kurdischer Frauen, der Jugend Kurdistans und des kurdischen Volkes geschaffen. Er hat die Frauenrevolution als größte soziale Revolution innerhalb der PKK vorangetrieben.
Mit der Gründung der PAJK als Frauenpartei hat eine Revolution in der patriarchalen Mentalität stattgefunden, gleichzeitig ist mit den Gewohnheiten des Realsozialismus gebrochen worden. In gesellschaftlicher Hinsicht ist das unsichtbare Gesicht der Geschichte zum Vorschein gekommen, weil die Wurzel der Menschheit wieder über die Frau definiert worden ist. Abdullah Öcalan hat den Völkern des Mittleren Ostens mit seiner These der demokratischen Nation ein Projekt des Zusammenlebens vorgelegt und das auf einer herrschenden Nation basierende Palaver von einer einzigen Nation, einem einzigen Staat und einem einzigen Vaterland dem Erdboden gleichgemacht. Mit seinem System des demokratischen Konföderalismus hat er konkretisiert, wie ein wirklich demokratisches Leben auf politischer, kultureller und sozialer Ebene gestaltet werden kann. Er hat sich damit im dritten Weltkrieg zum Fürsprecher der Völker, der Frauen und aller Unterdrückten gemacht und den Weg zur Freiheit aufgezeigt.
In dem Ausmaß, in dem die kurdische Befreiungsbewegung der nationalstaatlichen Struktur der Türkei eine Demokratisierung aufgedrängt hat, ist auch die Isolation von Abdullah Öcalan verschärft worden. Heute ist die gesamte Bevölkerung von Isolation, Attentaten und Massakern betroffen. Das Komplott gegen Abdullah Öcalan richtet sich nicht nur gegen das kurdische Volk und die kurdischen Frauen, sondern ebenso sehr gegen die Bevölkerung der Türkei.
Durch Erdogan sind wir mit einem Ein-Mann-Regime, einer Ein-Mann-Partei und einem Ein-Mann-Staat konfrontiert. Erdogan ist zum Staat geworden und der Staat zu Erdogan. Abdullah Öcalan hat die von Deniz Gezmiş und seinen Weggefährten am Galgen ausgerufene Maxime ‚Es lebe die Geschwisterlichkeit des kurdischen und türkischen Volkes‘ zur revolutionären Linie der Freiheitsbewegung Kurdistans gemacht. Das zu verstehen heißt, den Faschismus mit dem gemeinsamen Kampf der revolutionären Bewegungen und der Völker der Türkei und Kurdistans zu zerschlagen. Die Beendigung der Isolation, die unseren Völkern zusammen mit Abdullah Öcalan auferlegt wird, bedeutet den Sieg des Befreiungskampfes. Daher fällt der erfolgreiche Verlauf der Offensive ,Schluss mit Faschismus und Isolation, Zeit für Freiheit' auch in die Verantwortung der revolutionären Bewegungen und Völker der Türkei.