Tagung diskutiert Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in NRW

In Köln fand eine Tagung gegen die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in NRW statt. Expert:innen, Betroffene und Interessierte diskutierten das PKK-Verbot und das Terror-Stigma als grundlegende Probleme der gesamten kurdischen Gesellschaft.

Der Rechtshilfefonds AZADÎ, der Verein für Demokratie und Internationales Recht MAF-DAD und die Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in Nordrhein-Westfalen (FED-MED) hatten am Sonntag gemeinsam zu einer regionalen Tagung in Köln eingeladen. Ziel war es, Aktivist:innen, Betroffene von Repression, Rechtsanwält:innen und Interessierte zusammen zu bringen, zu analysieren und zu diskutieren. Dies war die dritte von AZADÎ initiierte Tagung dieser Art nach zwei ähnlichen Veranstaltungen 2019 in München und 2020 in Hannover.

Etwa 50 Teilnehmer:innen folgten der Einladung und diskutierten in drei Sitzungen mit verschiedenen Podien die Entwicklung der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in NRW seit den 1980er Jahren bis heute sowie aktuelle Herausforderungen. Dabei wurde deutlich, dass die Kriminalisierung über die Jahrzehnte zu einem gesellschaftlichen Problem angewachsen ist, das die gesamte kurdische Gesellschaft und die solidarische linke Bewegung in NRW trifft.

Zunächst begrüßten Monika Morres von AZADÎ und Yilmaz Gültekin, Sprecher für Öffentlichkeitsarbeit und Diplomatie bei FED-MED, die Anwesenden und stellten ihre Organisationen vor.

Morres: Die kurdische Frage ist mittlerweile eine internationale Frage

Monika Morres zeichnete die Entwicklungen der Kriminalisierung seit Erlass des PKK-Betätigungsverbots 1993 bis heute nach. Die Welt habe sich verändert, Regierungen seien gekommen und gegangen, aber das Verbot bleibe. Die kurdische Frage sei mittlerweile eine internationale Frage und auch die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP habe deutlich gemacht, wo sie in dieser Frage stehe, wie zuletzt der Besuch von Innenministerin Nancy Faeser in der Türkei gezeigt habe. Tayyip Erdoğan werde durch solch unterstützende Besuche ermutigt, seinen Kriegskurs gegen Kurdistan fortzusetzen. Das dürfe aber auf keinen Fall dazu führen, dass die Solidarität mit der kurdischen Bewegung nachlasse. Stattdessen sei es notwendig, die große Politik auf die konkrete Situation der Menschen herunterzubrechen, zuzuhören, zu verstehen und praktische Solidarität zu zeigen.

Gültekin: Repression richtet sich gegen Organisierung eines unterdrückten Volkes

Yilmaz Gültekin nutzte die Gelegenheit, die Strukturen und Arbeiten der landesweiten Föderation FED-MED mit Volksräten, Kommunen, Gesellschaftszentren, Kultur- und Sportvereinen vorzustellen. Öffentlichkeitsarbeit, Bildung, Kultur- und Sprachförderung, soziale Teilhabe sowie Integration gehörten zu ihren vordergründigen Anliegen. Auch FED-MED merke, dass die Repression in den letzten Jahren angezogen habe, was das Engagement der Vereine, aber auch der einzelnen Aktivist:innen erschwere. Die Repression ziele insbesondere auf die Verbote und Gängelung von Versammlungen, um die Teilnehmer:innen einzuschüchtern und von ihrem Einsatz abzubringen. Gültekin nannte mehrere Beispiele aus der alltäglichen Arbeit der lokalen Gesellschaftszentren, unter anderem der gescheiterte Versuch, einer fünffachen Mutter das Sorgerecht zu entziehen, weil sie ihre Kinder mit auf Versammlungen nahm, der erfolglose Entzug des Reisepasses einer jungen Kurdin mit deutscher Staatsbürgerschaft sowie die Ausreiseverbote und politischen Prozesse gegen Kurd:innen, die in Deutschland leben, aber nach Kurdistan oder in die Türkei gereist waren. Diese Repression richte sich gegen die Organisierung eines unterdrückten Volkes.

Session 1: Rechtliche und politische Einordnung der Kriminalisierung

Die erste Sitzung war der rechtlichen und politischen Einordnung der Kriminalisierung gewidmet. Edith Lunnebach, Rechtsanwältin aus Köln, berichtete von ihrer Verteidigung im ersten großen PKK-Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland, dem Düsseldorfer Prozess Ende der 80er Jahre. Sie erinnerte daran, dass bereits zuvor die kurdische Bewegung juristisch verfolgt worden sei – auch in der BRD. Mit dem Düsseldorfer Prozess ging es aber plötzlich um Terrorismus. Gemeinhin würde dabei an Aktionen wie die Anschläge vom 11. September 2001 gedacht, aber im Zuge der internationalen Politik der NATO galt es in den 1980er Jahren – bis heute – die PKK zu bekämpfen. „Als Jurist:innen können wir im Grunde alles konstruieren. Es war ein politischer Wille, der umgesetzt wurde“, hielt Lunnebach fest. Ebenso sei der Prozess zwar nicht wie von der Bundesanwaltschaft geplant umgesetzt worden, was vor allem den Angeklagten, der Verteidigung sowie der überwältigenden Solidarität und Öffentlichkeit zu verdanken gewesen sei. Aber ehrlicherweise müsse gesagt werden, dass sich langfristig die Gegenseite mit ihren Repressionsinstrumenten, die im Nachhinein nachgebessert wurden, durchgesetzt habe.

Der Rechtsanwalt Frank Jasenski aus Gelsenkirchen, der zurzeit den Aktivisten Ali Ö. in einem Verfahren nach § 129b StGB verteidigt, stellte zunächst die Bedingungen dar, unter denen die aktuell neun kurdischen Aktivist:innen in deutschen Gefängnissen inhaftiert sind. Er betonte die Wichtigkeit, die solidarische Prozessbegleitungen für die Angeklagten hätten und dass die Öffentlichkeit dazu führe, dass die Gerichte nicht bloß ihr Programm abspulten und auf die bereits 34 OLG-Urteile verwiesen, die die PKK als terroristisch bezeichneten. Das verband er mit dem Aufruf, die derzeit laufenden Prozesse in Frankfurt, Stuttgart und Koblenz unbedingt zu besuchen. Anschließend zeichnete Jasenski die Entwicklung der Verfolgung der PKK nach zunächst § 129a StGB, später nach § 129b StGB und ordnete diese Repression anschließend politisch ein.

Cansu Özdemir, Ko-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, bewertete die Außen- und Innenpolitik der Ampel-Koalition hinsichtlich der kurdischen Bewegung. Dabei betonte sie, dass die kurdische Gesellschaft auch in der BRD zu einem Faktor geworden sei, den die Politik nicht länger ignorieren könne, wie noch in den 1990er Jahren. Die Regierungskoalition habe daher eine politische Linie entwickelt, auf der sie die Bewegung verfolge, aber ihre Werte vereinnahme und inhaltlich aushöhle, wie Özdemir am Beispiel des Slogans „Jin Jiyan Azadî“ herausarbeitete. Dabei würde die Regierung nicht müde, die Eskalation auch im Inneren voranzutreiben und das PKK-Verbot weiterhin festzuklopfen, auch wenn inhaltliche Argumente fehlen würden.

Session 2: „Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir alle“

Die zweite Sitzung widmete sich unter dem Titel „Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir alle“ der Perspektive der von der Kriminalisierung Betroffenen.

Ayten Kaplan ist ehemaliges Vorstandsmitglied der Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland (YEK-KOM). Sie konnte somit aus erster Hand über das grenzenlose Ausufern der Repression nach dem Erlass des PKK-Betätigungsverbots berichten. Dem stellte sie in ihrem Vortrag aber auch die praktische Solidarität entgegen, die die kurdische Bewegung von der Linken in der BRD erfuhr. So wurden deutsche Genoss:innen beispielsweise gezielt Mitglieder in den Vorständen der kurdischen Vereine, damit diese nicht länger als sogenannte „Ausländervereine“ stigmatisiert und gegängelt werden konnten. Des Weiteren berichtete sie von den andauernden Schikanen, der Willkür der Polizei und auch dem Rassismus, der nicht nur von weißen Polizist:innen ausgehe, sondern explizit auch von türkischstämmigen Beamt:innen innerhalb der deutschen Polizei.

Durch Verlagsverbot droht Verlust wichtiger Kultur

Anschließend sprach der ehemalige Geschäftsführer des mittlerweile verbotenen Buchverlags Mesopotamien, Ali Kaya, über das Verbotsverfahren gegen das Unternehmen. Seit seiner Gründung sei der Verlag andauernder Repression ausgesetzt gewesen, die alle paar Jahre zu Durchsuchungen und umfangreichen Beschlagnahmungen geführt hätte. Dies nicht nur im Hinblick auf Bücher mit politischem Bezug zur kurdischen Frage, sondern auch zu Weltliteratur und Klassikern in Übersetzung. Diese Repression habe nicht nur den Verlag und seine Mitarbeiter:innen betroffen, sondern auch ihre Familien sowie kurdische Kulturschaffende und Schriftsteller:innen. Nach den letzten Durchsuchungen 2018 und 2019, die dem endgültigen Verbot vorangegangen waren, wäre das größte Archiv kurdischer Musik und Literatur beschlagnahmt worden. Sein Verbleib sei immer noch ungewiss und es drohe der Verlust wichtiger Kultur, die ohnehin schon seit Jahrzehnten systematischen Angriffen ausgesetzt sei.

Ehemaliger 129b-Gefangener: Rechtsstaatlichkeit für Kurd:innen ausgesetzt

Aus eigener Erfahrung berichtete Mustafa Tuzak, ehemaliger Angeklagter in einem § 129b StGB-Verfahren und politischer Gefangener. Heute ginge es ihm darum, die menschliche Seite der Repression aufzuzeigen und darzustellen, was es tatsächlich bedeute, dass die Rechtsstaatlichkeit in der BRD für Kurd:innen schlichtweg ausgesetzt sei. Während seiner gesamten Haftzeit, auf den Transporten zum Gericht, bei Arzt- und Krankenhausbesuchen, sei er immer wieder an Händen und/oder Füßen gefesselt und überwacht worden, berichtete Tuzak. Man habe einen „Terroristen“ verurteilen wollen, deshalb sei er so behandelt worden.

Geisweid: Repression muss kollektiv beantwortet werden

Als letzte Rednerin der zweiten Sitzung stellte die Rechtsanwältin Heike Geisweid, die auch Vorstandsmitglied von MAF-DAD ist, verschiedene Maßnahmen insbesondere der Ausländerbehörden jenseits des Strafrechts dar. Sie skizzierte grob, was eine Ausweisung, Meldeauflagen, die Nichterteilung oder -verlängerung von Aufenthaltstiteln und die Ablehnung oder Rücknahme von Einbürgerungen, aber auch der Entzug des Reisepasses für deutsche Staatsangehörige oder die Aberkennung des Rechts auf Freizügigkeit für EU-Bürger:innen im Einzelnen bedeuten. Sie hob hervor, wie wichtig es sei, sich gegen solche Maßnahmen, die allesamt keine Strafen sein sollten, aber natürlich wie Strafen wirken würden, zu wehren. Dafür sei es enorm wichtig, bereits in einem frühen Stadium des jeweiligen Verfahrens anwaltliche Vertretung zu organisieren. Zweiten müssten die rechtlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden, beispielsweise indem zeitnah Untätigkeitsklagen erhoben würden, damit Ausländerbehörden Betroffene nicht über Jahre in unsicherem Aufenthaltsstatus beließen. Drittens bedürfe es auch vor den Verwaltungsgerichten und in den Behörden eine Solidarität wie in Strafverfahren. Auch in diesem Rechtsgebiet sei Repression kein individuelles Problem und müsse kollektiv beantwortet werden.

Terror-Stigma und PKK-Verbot überwinden

Den Abschluss der Tagung bildete ein Gespräch der Moderatorin Besra Güler mit Henning von Stoltzenberg von der Roten Hilfe sowie Monika Morres von AZADÎ. Sie fragte die beiden nach der konkreten Arbeit ihrer Organisationen, den Erfahrungen der Organisationen mit Repression gegen die eigenen Strukturen und persönlichen Einschätzungen.

Gegen Ende der Tagung waren sich die Anwesenden einig darüber, dass das PKK-Verbot und das Terror-Stigma, das nach wie vor auf der gesamten kurdischen Bewegung lastet, endlich überwunden werden müssen. Dazu wollten sie ihre Bemühungen um eine engere Zusammenarbeit und die weitere Förderung von Bewusstsein für das Themenfeld der Repression insbesondere im kommenden Jahr, in dem sich der Erlass des Betätigungsverbots zum 30. Mal jährt, intensivieren.