Der kurdische Aktivist Özgür A. wird seit seiner Festnahme am 29. April in Bremen unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK in der JVA Koblenz in Isolationshaft gehalten. Angeklagt ist der 38-Jährige nach Paragraph 129a/b, Prozessauftakt vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts Koblenz war am 28. November. Am Freitag fand der dritte Verhandlungstermin statt, bei dem ein Beamter des Bundeskriminalamts gegen ihn aussagte.
Auch diesmal wurde Özgür A. von solidarischen Menschen bei der Verhandlung unterstützt. „Das gibt ihm sichtbar Kraft und er zeigt sich erfreut“, berichtete ein Prozessbeobachter gegenüber ANF.
Der eigentlich für den 16. Januar geladene Zeuge wurde kurzerhand vorgezogen, da zwei weitere Zeugen an Corona erkrankt waren. Dabei stand bei dieser Zeugenbefragung weniger Özgür A. selbst im Mittelpunkt, stattdessen wurde die Art und Weise, wie das BKA seine Erkenntnisse gewinnt, genauer untersucht. Die Vernehmung des Beamten zeigte die Oberflächlichkeit der „Recherchen“ des Bundeskriminalamts in Bezug auf die Volksverteidigungskräfte (HPG), die Verteidigung der Guerilla gegen den türkischen Angriffskrieg und die vom BKA „ermittelten“ Zusammenhänge zwischen HPG und PKK.
BKA-Ermittlungen: „Argumentationshilfe statt Erkenntnisgewinn“
„Es ist erkennbar, wie Verfassungsschutz, BKA und LKA zusammenarbeiten. Dabei drängt sich das subjektive Gefühl auf, dass diese Behörden die PKK als tatsächliche Bedrohung wahrnehmen. Geradezu erschreckend ist vor diesem Hintergrund die mangelnde Sorgfalt, mit der die Behörden ihre Erkenntnisse gewinnen. Das BKA stützt seine Ermittlungen lediglich auf eine Art Presseschau, die weniger dem Erkenntnisgewinn zum Thema dient, sondern eher als Argumentationshilfe, um die kurdische Arbeiterpartei und ihre Unterstützer zu diskreditieren“, so der von ANF befragte Prozessbeobachter.
Türkische Regierungsquellen als Faktencheck?
Wie bereits beim Verhandlungstermin am 9. Dezember von einem anderen Zeugen berichtet wurde, gab der Beamte zu, dass das BKA keine Quellen- und Faktenchecks durchführt, sondern lediglich zugetragene Berichte aus von ihm als „HPG-nah“ eingestuften Medien mit einer beliebig ausgewählten Quelle regierungstreuer türkischer Medien abgleicht. Ähneln oder decken sich die Berichte nach Auffassung der Beamten, würden die Ereignisse in eine Chronologie der „PKK-Tätigkeiten“ übernommen, ohne dass eine Überprüfung auf Art und Zuverlässigkeit der Quelle, der Fakten- oder Motivlage stattfindet. Auch auf Übersetzungsfehler würden die Materialien nicht kontrolliert. Eigene Ermittlungen werden nicht angestellt.
Ungereimtheiten und logische Fehlschlüsse
Die Verteidigung von Özgür A. stellte diese Fahrlässigkeit in der Befragung des Zeugen deutlich heraus und wies immer wieder Ungereimtheiten und logische Fehlschlüsse nach. So konnte der befragte Beamte nicht zweifelsfrei zwischen den Bezeichnungen der unterschiedlichen Sicherheitskräfte und Behörden, in denen diese normalerweise eingesetzt sind, unterscheiden, sondern verlor sich immer wieder in Spekulationen und Mutmaßungen. Nach einer etwa neunzigminütigen Befragung wurde der Zeuge entlassen.
Einlassung zur Person des Angeklagten angekündigt
Zum nächsten Verhandlungstermin, der für den 5. Januar 2023 angesetzt ist, sollen zwei weitere Bundes- bzw. Landeskriminalbeamte geladen und angehört werden. Außerdem wurde von der Verteidigung eine Einlassung zur Person von Özgür A. für Anfang nächsten Jahres angekündigt.
Am Ende der Verhandlung wünschte das Gericht allen Anwesenden „Frohe Weihnachten“. „Für Özgür wird dies wohl mehr als zynisch gewesen sein, wenn man bedenkt, unter welchen verbrecherischen Bedingungen er inhaftiert ist“, kommentiert unser Prozessbeobachter. Zum Abschied gab es unterstützende Zurufe und freundschaftliche Gesten in Richtung des Angeklagten. „Wir werden auch im nächsten Jahr den Prozess gegen Özgür solidarisch begleiten“, versprechen die Prozessbeobachter:innen.
Der erste Verhandlungstag im neuen Jahr findet am 5. Januar um 9.30 Uhr vor dem OLG Koblenz in Saal 10 EG in der Regierungsstraße 7 statt.