Rechtsanwalt Baran: Es herrscht ein Regime der Angst

In der Türkei herrscht ein Regime der Angst, erklärt Rechtsanwalt Devrim Barış Baran und weist auf den Zusammenhang zwischen dem rechtslosen Zustand auf Imrali und der allgemeinen Politik der türkischen Regierung hin.

Der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan wird seit 21 Jahren auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali festgehalten. Am 27. April konnte er erstmalig sein Recht auf telefonische Kommunikation wahrnehmen. Seitdem ist jeder Kontakt zu Öcalan wieder abgebrochen, es gibt kein Lebenszeichen von ihm und seinen drei Mitgefangenen. Rechtsanwalt Devrim Barış Baran hat sich gegenüber ANF in Amed (türk. Diyarbakir) zu dem rechtslosen Zustand auf Imrali und dem Zusammenhang mit der allgemeinen Politik der türkischen Regierung geäußert.

Der Anwalt verweist darauf, dass das Rechtssystem auf Imrali keine Anwendung findet, sondern politischen Entscheidungen unterliegt. Die AKP-Regierung halte sich nicht an die Gesetze und unterbinde Besuche des Verteidigerteams und der Angehörigen der Gefangenen: „Besuche werden nur erlaubt, wenn der Staat es will. Dafür gibt es in der Vergangenheit viele Beispiele. Ein Parteivorsitzender, Abgeordnete, Delegationen, der MIT, Verantwortliche des Staates und Akademiker konnten auf Imrali Gespräche führen, wenn der Staat die Genehmigung erteilte. Wie gesagt, das Rechtssystem findet keine Anwendung. Dabei müssten nur das Gesetz angewandt werden. Das Vorgehen auf Imrali ist weder juristisch noch hinsichtlich der Erwartungen der internationalen Öffentlichkeit gerechtfertigt. Der Staat benutzt seine Macht dafür. Herr Öcalan hat jedoch nicht nur gesetzlich verankerte Rechte, er ist gleichzeitig eine politische Persönlichkeit. In der Friedensphase, auf die er einen großen Einfluss hatte, ist das Land aufgeblüht, es wurde Frühling. Die Menschen starben nicht und die Wirtschaft erholte sich. Das war natürlich eine vollständig politische Entscheidung.“

Demokratie wird abgeschafft

Die für Imrali getroffenen Entscheidungen sind nicht unabhängig von der Syrien-Politik der türkischen Regierung, fügt Rechtsanwalt Baran hinzu: „Die Regierung will keine kurdischen Organisationsstrukturen in Rojava und stellt sich gegen das bestehende System der demokratischen Selbstverwaltung. Dabei würde ein Bündnis mit den Kurden zur Entwicklung des Landes beitragen. Leider kann sich der Staat nicht aus der festgefahrenen Situation befreien. Und das hat sehr negative Auswirkungen auf die Gesellschaft. Alles soll unter staatlicher Kontrolle sein. Die Demokratie wird immer mehr abgeschafft, die Sicherheitspolitik steht im Vordergrund und das Land verliert in der internationalen Öffentlichkeit zunehmend an Ansehen, aber die Regierung beharrt weiter auf ihrer Politik. Natürlich ist nicht zu erwarten, dass es immer so weitergeht. Irgendwann muss eine Lösung gefunden werden. Weder die Wirtschaft noch die Gesellschaft kann dieser Kriegspolitik standhalten.“

Oppositionelle Stimmen werden nicht toleriert

Baran erinnert daran, dass aufgrund der Corona-Pandemie auch Gesetzesänderungen bezüglich der Gefängnisse vollzogen worden sind. Dazu sagt er: „Ich bin davon ausgegangen, dass auch politische Gefangene von dem veränderten Vollzugsgesetz profitieren würde, aber das war leider nicht so. Freigelassen wurden Diebe und Gewalttäter, aber die Gefangenen, die wegen ihrer Meinung einsitzen, werden weiter festgehalten. Das ist ein Zustand, der für die Gesellschaft nicht hinnehmbar ist. Diese Entscheidung verletzt das Gewissen und den Gleichheitsgrundsatz. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben dagegen protestiert, aber im Großen und Ganzen ist die Stimme der Zivilgesellschaft verstummt. Es herrscht ein Regime der Angst. Wir erleben eine sehr schwierige Zeit, in der keine oppositionelle Stimme toleriert wird. Jeden Tag begegnen wir einer neuen Situation. Man muss daran glauben, dass alle vor dem Gesetz gleich sind, und diese Überzeugung muss verteidigt werden. Leider wird ein anderes Regime angewendet. Wie ich gesagt habe, alles hängt an der Macht des Staates. Er öffnet und schließt die Kanäle nach eigenem Belieben.“