Vom NSU in Nürnberg ermordet
Am 13. Juni 2001 wurde Abdurrahim Özüdoğru in Nürnberg vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) mit zwei Kopfschüssen aus nächster Nähe ermordet. Der Täter lauerte ihm in seiner Schneiderei auf. Özüdoğru war das zweite bekannte Opfer dieser rechtsterroristischen Mordserie, die zwischen 2000 und 2007 zehn Menschenleben forderte – neun von ihnen hatten Migrationsgeschichte.
Özüdoğru war 49 Jahre alt, Kurde, gelernter Textilarbeiter, Vater und Ehemann. In den 1970er Jahren war er aus der Türkei nach Deutschland gekommen – wie viele andere Arbeitsmigrant:innen, die in deutschen Städten den sozialen und wirtschaftlichen Alltag mittrugen. Seine Geschichte hätte eine von vielen sein können, wäre sie nicht jäh durch rassistischen Terror beendet worden.
Ermittlungen gegen die Familie
Doch was danach geschah, offenbart ein mindestens ebenso alarmierendes Kapitel: Statt die Tat als politisch motiviert zu untersuchen, richteten sich die Ermittlungen gegen die Familie des Opfers. Die Polizei spekulierte über Drogenhandel, familiäre Konflikte, Schulden. Rassistische Motive? Fehlanzeige. Erst 2011, mit der Selbstenttarnung des NSU, wurde das ganze Ausmaß sichtbar: geschredderte Akten, geschützte V-Leute, stigmatisierte Angehörige.
Unsichtbar gemacht – in zweifacher Hinsicht
Was dabei bis heute häufig übersehen wird: Abdurrahim Özüdoğru war Kurde – und damit Teil einer Gemeinschaft, deren Identität in Deutschland oft unsichtbar gemacht wird. In der öffentlichen Wahrnehmung wird er wie viele andere pauschal als „türkischstämmig“ eingeordnet. Diese Gleichsetzung blendet aus, dass Kurd:innen in der Türkei systematisch unterdrückt wurden – kulturell, politisch, sprachlich. Auch im deutschen Exil bleibt kurdische Identität häufig marginalisiert. Die Folge: Erfahrungen von Mehrfachdiskriminierung, Exil und Repression verschwinden aus dem Fokus.
Die Geschichte von Abdurrahim Özüdoğru steht exemplarisch für das Versagen deutscher Behörden, rechten Terror als solchen zu erkennen – und für eine Erinnerungspolitik, die migrantische Opfer lange ignorierte. Laut der Amadeu Antonio Stiftung sind seit 1990 mindestens 220 Menschen durch rechte, rassistische oder antisemitische Gewalt in Deutschland getötet worden. Die offizielle Zahl liegt deutlich darunter.
Erinnern heißt: Beim Namen nennen
Was Abdurrahim Özüdoğru widerfuhr, war kein Einzelfall. Es ist Teil einer deutschen Realität, in der Betroffene rechter Gewalt oft zuerst verdächtigt, dann vergessen und nur selten geschützt werden. In der das Schweigen der Institutionen lauter war als der Protest. In der Gedenken nicht Kür, sondern Pflicht ist.
Deshalb muss Erinnerung auch konkret sein: Es war rassistischer Terror. Es war Mord. Es war staatliches Versagen. Und es war das Unsichtbarmachen einer kurdischen Identität, die auch in Deutschland keinen selbstverständlichen Platz hat.
Erinnern heißt: Seine Geschichte erzählen. Seine Würde verteidigen. Und nicht zuletzt: All jenen eine Stimme geben, die nicht ins Raster offizieller Erinnerungspolitik passen – aber Teil dieser Gesellschaft sind. Mehr denn je braucht es Stimmen, die sagen: Wir waren hier. Wir sind hier. Wir bleiben hier.