Mexmûr: Gefährliche Pläne für ein widerständiges Geflüchtetencamp

Baxtiyar Çelê, Mitglied des Volksrats der demokratischen Selbstverwaltung im südkurdischen Geflüchtetencamp Mexmûr, fasst für ANF die sicherheitspolitische Lage in der Region zusammen.

Das Geflüchtetencamp Mexmûr in Südkurdistan (Irak) gehört zu einem der permanenten Angriffsziele des türkischen Staates. Das Ziel ist seit jeher die Zerschlagung des Camps. Auch wenn Mexmûr zuletzt eher einen Nebenschauplatz auf der Agenda des AKP/MHP-Regimes darstellte, war das zivile Geflüchtetencamp doch regelmäßigen Angriffen der PDK (Demokratische Partei Kurdistans) ausgesetzt, die offen mit dem türkischen Regime kollaboriert. Auch die PDK verfolgt das Ziel, das Mexmûr-Camp aufzulösen und dessen Bewohner:innen auseinanderzutreiben. Um dies zu erreichen, hat sie vor rund zwei Jahren ein Embargo gegen das Lager verhängt und zuletzt noch einmal verschärft.

PDK fordert Reinstallation von Peschmerga

In jüngster Zeit wurde insbesondere von PDK-Kreisen innerhalb der kurdischen Regionalregierung wiederholt die Rückkehr von Peschmerga-Kräften in die Region Mexmûr gefordert. Die Peschmerga hatten Mexmûr am 16. Juli 2017 während der Angriffe der dschihadistischen Terrororganisation „Islamischer Staat” (IS) fluchtartig verlassen und der schiitischen Miliz Hashd al-Shaabi überlassen. Als Vorwand für die geplante Rückkehr wird auf die jüngsten IS-Angriffe in der Umgebung von Kerkûk und Mexmûr verwiesen. Der IS erwacht derzeit in der Region wieder zum Leben. Er griff in Kerkûk Peschmerga-Truppen an, attackierte irakische Soldaten in der Region um Mexmûr und treibt in einigen Gegenden Steuern von der lokalen Bevölkerung ein. All diese Entwicklungen gehen einher mit der nun offen formulierten Forderung, den Peschmerga die Rückkehr in die betroffenen Gebiete zu ermöglichen.

Ständige Bedrohung durch IS-Einheiten auf dem Qereçox

Dabei sind es die PDK und der türkische Staat selbst, die es dem IS durch ihre logistische Unterstützung erlauben, sich in der Region Mexmûr zu behaupten. Die IS-Söldner halten sich in Unterschlüpfen auf dem Berg Qereçox auf und damit nur wenige hundert Meter entfernt von den Stützpunkten der PDK-Peshmerga. Der Berg selbst liegt etwa drei bis vier Kilometer entfernt vom Geflüchtetencamp Mexmûr. In den Tiefen dieser Bergkette haben die Dschihadisten vom IS ihre Lager aufgeschlagen. Von dort aus griffen sie in den letzten Jahren immer wieder die Bevölkerung des Camps an. Sie stellen somit eine permanente Gefahr für die Menschen in Mexmûr dar und schweben wie ein Damoklesschwert über dem Camp.

Barzanî fordert Kampfverband aus Peschmerga, irakischem Militär und Koalition

Der jüngste IS-Angriff auf die südkurdischen Sicherheitskräfte in Kerkûk, bei dem drei Peschmerga starben und zwei verletzt wurden, und auf irakische Soldaten in dem bei Mexmûr gelegenen Dorf Mahmudiye lassen erahnen, dass derzeit neue Pläne für die Region geschmiedet werden. Der Präsident der Kurdistan Region Irak (KRI) Nêçîrvan Barzanî forderte kürzlich, gegen die IS-Angriffe in der Region eine gemeinsame Einheit aus irakischen Soldaten, Peschmerga und Kräften der internationalen Anti-IS-Koalition aufzubauen. Praktisch zeitgleich erklärte ein Sprecher der amerikanischen Truppen im Irak, man werde die US-Kräfte nicht aus dem Land abziehen. Die  internationale Koalition sprach voller Lob von der Zusammenarbeit mit den Peschmerga im Kampf gegen den IS.

Neue Kommission befasst sich mit umstrittenen Gebieten

Es ist auffällig, dass sich diese Erklärungen zeitlich mit den oben erwähnten jüngsten Entwicklungen in der Region überschneiden. All das lässt immer wahrscheinlicher werden, dass sehr bald die Umsetzung neuer Pläne in Angriff genommen wird. Die PDK fordert nicht erst seit gestern im Namen der KRI die Unterstützung der USA und der internationalen Koalition ein, um in die von Artikel 140 der irakischen Verfassung festgelegten umstrittenen Gebiete wie Kerkûk und Mexmûr zurückzukehren. Um dieses Ziel zu erreichen, hat es zahlreiche Treffen mit der irakischen Zentralregierung und dem Militär des Landes und intensive Verhandlungen gegeben. Doch bis jetzt ist es der PDK nicht gelungen, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen und ihre Truppen in den umstrittenen Gebieten zu stationieren. Die politisch-militärischen Kräfte der schitischen Hashd al-Shaabi haben sich der PDK stets in den Weg gestellt. Viele Orte in diesen Gebieten werden von Beamten der KRI verwaltet, die direkt von der PDK sowie YNK (Patriotische Union Kurdistans) benannt werden. Mit Unterstützung aus Washington und Koalitionskräften wurde zuletzt ein Treffen zwischen den Peschmerga und dem irakischen Militär unter Leitung des irakischen Premierministers Mustafa al-Kadhimi arrangiert, bei dem es um Sicherheitsfragen ging. Als Ergebnis dieser Zusammenkunft wurde eine gemeinsame Kommission ins Leben gerufen, die sich mit der Lage in den umstrittenen Gebieten befassen soll. Als umstritten wurden die Gebiete Diyala, Kerkûk, Mexmûr, Mosul und Hewlêr benannt. Zudem wurde erklärt, man werde in diesen Gebieten in Zukunft gemeinsame Operationen gegen den IS durchführen.

Repression direkte Folge der türkischen Kurdistan-Politik

Die zunehmenden IS-Angriffe in den umstrittenen Gebieten, die jüngsten sicherheitspolitischen Entwicklungen vor Ort und das Pochen der PDK darauf, die eigenen militärischen Truppen in einigen Gegenden zu reinstallieren, weisen deutlich darauf hin, dass die Region um das Camp Mexmûr in naher Zukunft wieder an Stabilität verlieren wird. Die Lagerbevölkerung betrachtet die nahende Rückkehr der PDK-Peschmerga dementsprechend als besorgniserregende Entwicklung. Das Geflüchtetencamp befindet sich seit mehr als 20 Jahren unter dem massiven militärischen, politischen, psychologischen und logistischen Druck der PDK. Die jüngsten Entwicklungen werden diesen Druck noch einmal erhöhen. Aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit wissen wir, dass diese Repression eine direkte Folge der Politik der faschistischen türkischen Regierung ist. Die aktuellen Entwicklungen werden es der Türkei und PDK ermöglichen, ihre Pläne zur Zerschlagung des Camps noch direkter und aus nächster Nähe zu verfolgen.

UN stellt Hilfe nach Druck aus Ankara ein

Camp Mexmûr befindet sich offiziell im Verantwortungsbereich der irakischen Zentralregierung. Doch erhält es keinerlei Unterstützung aus Bagdad. Auch der von den Vereinten Nationen (UN) den Bewohner:innen zugesprochene Flüchtlingsstatus führt aktuell nicht dazu, dass das Camp Unterstützung aus dem Irak erfährt. Seit Mai 2018 hat die UN aufgrund des Drucks der Türkei und PDK jegliche Hilfe für das Camp eingestellt. Seither ist Mexmûr faktisch auf sich allein gestellt. Die Bevölkerung wurde somit widrigsten Bedingungen ausgesetzt. Sie hat sich daher darauf besonnen, ihr Überleben aus eigener Kraft zu gewährleisten. Viele Bewohner:innen Maxmurs gehen in verschiedensten Gebieten des Iraks einer Arbeit nach und bestreiten so ihre Lebenshaltungskosten. 

Trotz der schwierigen Zeiten, die der Bevölkerung Mexmûrs nun bevorstehen, verfolgen die Menschen des Camps weiterhin ihren eigenen Weg. Mit den schützenden Bergen Kurdistans im Rücken und ihrem von Widerstand geprägten Leben hat die Gesellschaft Mexmûrs in der Vergangenheit immer wieder Geschichte geschrieben. Sie wird daher auch in Zukunft auf Grundlage ihres autonomen und emanzipierten Lebensmodells eine wegbereitende Rolle für die Völker der Region spielen.