Welche Haltung vertritt die kurdische Befreiungsbewegung gegenüber dem Nordatlantikpakt? Um diese Frage dreht sich der abschließende Teil des Interviews mit den Ko-Vorsitzenden der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), Besê Hozat und Cemil Bayık, das für das Onlineportal Libyajamahiriya geführt wurde.
Zum Abschluss möchte ich gerne noch einmal auf die internationale Ebene zurückkehren. Wie betrachtet die kurdische Freiheitsbewegung die globalen Großmächte, insbesondere die NATO? Die Türkei ist Mitglied der NATO. Versteht Ihre Befreiungsbewegung dementsprechend den Kampf gegen den türkischen Faschismus als Teil des allgemeinen Kampfes gegen den NATO-Imperialismus?
Unsere Freiheitsbewegung entstand zur Zeit des Kalten Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt. Die Türkei fungierte damals als militärischer Vorposten, der die Sowjetunion vom Süden her umzingelte. Es existierten damals also eine NATO und USA, die nicht die geringste Toleranz für innenpolitische Veränderungen, also für die Demokratisierung der Türkei hatten. Das galt umso mehr für die Veränderung der Grenzen des Landes. Aus diesem Grund führten türkische Generäle – die NATO und USA bezeichneten sie als „unsere Jungs” – einen Militärputsch aus, als sich in der Türkei revolutionär-demokratische Bewegungen und die kurdische Freiheitsbewegung entwickelten. Von Anfang an war unser Kampf also mit der NATO konfrontiert. Die NATO schätzte unsere Bewegung als sehr gefährlich ein. So kam es 1978 dazu, dass das für Kurdistan zuständige US-Konsulat in Adana einen Bericht an das in der Teheraner Botschaft ansässige Mittelostzentrum der CIA schickte, in dem betont wurde, was für eine gefährliche Organisation die PKK (die Apoisten) sei. Entsprechend wurde der Militärputsch vom 12. September 1980 organisiert, um den Zusammenbruch der Türkei zu verhindern – der militärische Vorposten der NATO im Kampf gegen die Sowjetunion.
Als unsere Freiheitsbewegung mit der Offensive vom 15. August 1984 den Beginn des Guerillakampfes einleitete, bezog zuallererst die NATO dagegen Stellung. Sie sicherte der Türkei ihre uneingeschränkte Unterstützung für die Zerschlagung der Guerilla zu. Es war die NATO, die den Angriffen der Türkei Legitimität verlieh, indem sie die PKK als Terrororganisation einstufte. Sie ging so weit, 1986 den Mord am damaligen Ministerpräsidenten von Schweden, Olof Palme, der offensichtlich von Gladio begangen worden ist, der PKK zuzuschreiben, um eine weitere Grundlage für ihre Vernichtung zu schaffen. Denn damals verschärfte sich der Kalte Krieg zunehmend und die NATO wollte diesen Krieg in ihrem Sinne zu Ende bringen. In der damaligen Phase hatte sich innerhalb der NATO großer Unmut gegenüber Olof Palme entwickelt. Durch den Mord entledigten sie sich Palme und versuchten zugleich, die PKK loszuwerden.
Die NATO ist eine militärische Organisation, die die Interessen der kapitalistisch-imperialistischen Mächte verteidigt. Für diese Interessen werden ganze Völker und Gesellschaften geopfert. Weil die Türkei ein NATO-Mitglied ist, verschließen die USA und Europa gegenüber dem Völkermord, den die der türkische Staat an den Kurdinnen und Kurden verübt, ihre Augen. Sie unterstützen diese Politik sogar. Der Kalte Krieg ist vorbei, doch die NATO-Unterstützung für die Türkei geht weiter. Genauso wie die Türkei gegen Länder wie Russland eingesetzt werden soll, wird sie auch für den Kampf gegen die demokratisch-revolutionären Kräfte des Mittleren Ostens benutzt. Es wird zwar behauptet, man kämpfe gegen Al-Qaida und den IS. Doch unterstützt die NATO aktiv den türkischen Staat im Kampf gegen die Rojava-Revolution und die PKK – die beiden Kräfte, die am stärksten gegen den IS gekämpft haben. Das verdeutlicht, was für eine Organisation die NATO wirklich ist.
Vor diesem Hintergrund stellt der Kampf unserer Freiheitsbewegung auch einen indirekten Kampf gegen die schmutzigen Interessen und Pläne der NATO dar. Indem sie die PKK weiterhin als Terrororganisation listet, macht sich die NATO zur Unterstützerin und Partnerin des vom türkischen Staat geführten Krieges und Völkermordes. Die Behauptung der NATO, sie führe einen Kampf gegen den Terrorismus und verteidige Demokratie und Freiheit, ist reine Demagogie. Damit wird versucht, den wahren Charakter dieses Bündnisses zu verschleiern. Der türkische Staat ist der Feind von Demokratie und Freiheit im Mittleren Osten. Er genießt bei seinem Handeln die uneingeschränkte Unterstützung der USA, Europas und der NATO. Die PKK und die Kurd:innen hingegen sind die führende Kraft, die sich für Demokratie und Freiheit in der Region einsetzen. Das Paradigma Rêber Apos (Abdullah Öcalan), das auf Frauenbefreiung und einer demokratisch-ökologischen Gesellschaft basiert, ist der Schlüssel für die Demokratisierung des Mittleren Ostens. Aufgrund ihres demokratischen Charakters sind die Kurd:innen heute die führende Kraft für die Demokratisierung der gesamten Region. Rojava ist eine Oase der Demokratie inmitten dieses Mittleren Ostens. Doch die Türkei greift diese Oase mit Ermächtigung durch ihre NATO-Parnter an. Der türkische Staat ist nicht nur im eigenen Land, sondern im gesamten Mittleren Osten der größte Feind der Demokratie. Gegen genau diese Türkei kämpft die PKK. Für die Demokratisierung des Mittleren Ostens und für die demokratische Revolution stellt die PKK die wichtigste Kraft dar. Wird sie dennoch mit dem Segen der NATO von der Türkei angegriffen, bedeutet das, dass das Bündnis nicht an der Seite demokratischer und freiheitlicher Kräfte steht, sondern im Einvernehmen mit faschistischen Akteuren in der Region steht. Der wichtigste Partner von Organisationen wie dem IS oder Al-Qaida im Mittleren Osten ist der türkische Staat. Zerfällt der türkische Staat oder wird er demokratisiert, wird es im Mittleren Osten auch den IS oder die Al-Qaida nicht mehr geben. Auch deren Ableger wie etwa Al-Nusra und etliche andere werden dann innerhalb kürzester Zeit aufgeben. In diesem Sinne ist unser Kampf auch der Kampf aller demokratischen Kräfte gegen die NATO, die aktiv faschistische Kräfte unterstützt.
Zusammengefasst: Es ist offensichtlich, dass die NATO eine Institution ist, die keinerlei Legitimität hat und im Interesse des Kapitalismus in andere Länder interveniert. Sie ist ein Relikt des Kalten Krieges, das abgeschafft gehört.
Titelfoto: Aktionsbündnis gegen die Münchner Sicherheitskonferenz