KCK: Die PKK hat die kurdische Gesellschaft verändert

Der Kampf um Freiheit und Demokratie ist unmöglich, solange reaktionäre Verhältnisse nicht überwunden werden. Gesellschaftliche, politische, kulturelle und sozio-psychologische Revolutionen anzustoßen, stehen für die PKK seit jeher an erster Stelle.

Das Onlineportal Libyajamahiriya hat die KCK-Vorsitzenden Besê Hozat und Cemil Bayık zu den elementaren Grundsätzen der kurdischen Befreiungsbewegung befragt. Im ersten Teil des Interviews ging es um den Unabhängigkeitsbegriff in der kapitalistischen Moderne, das überholte Nationalstaatsmodell und das von Abdullah Öcalan geprägte Verständnis einer demokratischen Autonomie in einem konföderalen System. Im zweiten Teil antworteten die Ko-Vorsitzenden des Exekutivrates der Dachorganisation KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) auf Fragen zu ihrem Wirtschaftsmodell und den sozioökonomischen Entwicklungen in Rojava. Im nun vorliegenden dritten Teil des Gesprächs werden die Erfolge der PKK in Kurdistan behandelt.

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist in vielen Gebieten Kurdistans präsent. Welche Errungenschaften hat sie für die Bevölkerung all dieser Gebiete erreicht?

Die PKK hat in allen vier Teilen Kurdistans enorme Entwicklungen angestoßen und riesige Errungenschaften erreicht. Alle Kämpfe in Kurdistan, die vor dem Entstehen der PKK stattfanden, waren stark von den herrschenden kurdischen Klassen geprägt und zugleich ausschließlich militärisch-politischer Natur. Da es all diesen Kämpfen nicht gelang im militärischen und politischen Bereich an Einfluss zu gewinnen, haben sie nur zu sehr geringen oder gar keinen gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Die PKK hingegen ist seit dem Aufbruch, der von Rêber Apo (gemeint ist Abdullah Öcalan, Anm. d. Red.) ausging, eine Bewegung, die in allen Bereichen revolutionäre Entwicklungen herbeiführt. Von der Denkweise bis zu den verschiedensten Bereichen des praktischen Lebens hat sie es sich stets zur Aufgabe gemacht, tiefgreifende Veränderungen anzustoßen. Sie ist somit seit jeher eine Bewegung, die einen Bruch mit allen Formen der Rückständigkeit vollzieht. Vom ersten Tag an hat Rêber Apo es sich zur wichtigsten Aufgabe gemacht, sowohl seine Freund:innen, als auch die Gesellschaft zu verändern. Er hat stets die verschiedenen Formen der Rückständigkeit und die bestehenden Fehler kritisiert. Auf diese Art und Weise hat er sich mit den gesellschaftlichen und politischen Begebenheiten auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang hat er stets betont, dass der Kampf für Freiheit und Demokratie unmöglich ist, solange die althergebrachten reaktionären Verhältnisse nicht überwunden und verändert werden. Daher hat die PKK in ihrem Kampf stets grundlegend darauf abgezielt, nationale, gesellschaftliche, politische, kulturelle und sozio-psychologische Revolutionen anzustoßen.

Die nationalen, gesellschaftlichen, demokratischen, kulturellen und politischen Revolutionen wurden stets aufs Engste miteinander verbunden und auf diese Art und Weise vorangetrieben. Am wichtigsten ist, dass mit der PKK zum ersten Mal in der Geschichte Kurdistans eine Bewegung der Armen, also eine Volksbewegung aufgebaut wurde. Zur Gründungszeit der apoistischen Bewegung waren all deren Mitglieder Kinder der armen Volksschichten. Das allein stellt eine Revolution, eine Entwicklung und Errungenschaft enormen Ausmaßes für ganz Kurdistan dar. Heute ist es das Volk selbst, das die nationalen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen in Kurdistan direkt aus eigener Kraft heraus bestimmt.

In Nordkurdistan gibt es keine einzige Stadt oder Kleinstadt, kein einziges Dorf, das sich nicht an Aufständen beteiligt hat. Die traditionellen Autoritäten wurden durch die Kraft des organisierten Volkes ersetzt. Dort hat eine im wahrsten Sinne des Wortes demokratische, soziale und kulturelle Revolution stattgefunden. Auf dieser Grundlage hat sich eine nationale kurdische Realität entwickelt, die sich durch ihren demokratischen Charakter auszeichnet. Das kurdische Volk, das noch vor wenigen Jahrzehnten kurz vor dem Tod stand, ist heute aufgestanden und führt einen Kampf für Freiheit und Demokratie. Zehntausende junge Frauen und Männer haben sich im Verlauf dieses Kampfes der Guerilla angeschlossen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde eine derart umfassende Frauenarmee aufgebaut. Das kurdische Volk hat eine eigene demokratisch-politische Willenskraft entwickelt und ist damit zu einem Akteur geworden, der heute für die Demokratisierung der Türkei und die Befreiung Kurdistans kämpft.

Befreiungskampf der Völker Kurdistans

Egal ob sunnitisch, alevitisch oder ezidisch, alle Kurd:innen haben sich am nationalen Befreiungskampf in Kurdistan beteiligt. Auch die in Kurdistan lebenden Araber:innen, Azeri, Turkmen:innen, Armenier:innen und Suryoye (Angehöre der aramäischen, assyrischen und chaldäischen Gemeinschaften, Anm. d. Red.) haben den Freiheitskampf in Kurdistan als ihren eigenen Kampf erkannt und sich ihm angeschlossen. Auf diese Weise ist die demokratische Nation in Kurdistan auf eine beeindruckende Art und Weise Realität geworden.

Im Bereich der kurdischen Kultur und Kunst wurde eine riesige Offensive eingeleitet, wodurch die kulturellen Werte der Kurd:innen zu neuem Leben erweckt wurden. Durch ihre Verbindung mit neuen Werten wurde eine neue gesellschaftliche Realität der Kurd:innen erschaffen. Der Aufstand der Frauen hat sich auf eine sehr beeindruckende Art und Weise entwickelt. Die auf der Frau basierende soziale Revolution hat den freiheitlichen und demokratischen Charakter der Revolution vertieft und zugleich vervielfältigt. In Kurdistan ist heute eine Revolution entstanden, die auf Grundlage der Frauenbefreiung unzählige Wenden innerhalb dieses Umgestaltungsprozesses ausgelöst hat. Durch diese Revolutionen, die auf der Freiheit der Frau basieren, sind die Kurd:innen zu einem Volk geworden, das über enorme Stärke verfügt.

In Kurdistan ist es zu den historisch betrachtet größten Veränderungen und Entwicklungen gekommen. Zugleich hat Kurdistan enorm an Stärke gewonnen. Es wäre falsch, diese kurdische Revolution als nur auf Nordkurdistan begrenzt zu betrachten. Die Revolution hat innerhalb kürzester Zeit ihre Wirkung in allen vier Teilen Kurdistans entwickelt. Sie hat dort überall zu nationalen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen geführt und auch die kurdische Politik stark beeinflusst. Die Französische Revolution hat zu einer Zeit, als es keinerlei moderne Kommunikationsmittel gab, die russische Gesellschaft, die sie selbst bekämpfte und als Feind betrachtete, entscheidend beeinflusst. Heute jedoch sind die Kommunikationsmittel weit vorangeschritten. In solch einer Epoche ist es selbstverständlich, dass die Kurdische Revolution alle Teile Kurdistans stark beeinflusst hat und dies auch in Zukunft weiter tun wird.

Tausende junge Menschen aus Rojava, Südkurdistan und dem Osten Kurdistans haben sich im Verlauf der Jahre der PKK angeschlossen. Natürlich haben sie dadurch auch ihre eigenen Familien und ihr soziales Umfeld entscheidend geprägt. Viele von ihnen haben sich der Karawane der Gefallenen angeschlossen. Hinzu kommt, dass die PKK-Kader und die Guerilla Beziehungen zu tausenden von Familien und hunderttausenden in Südkurdistan lebenden Menschen aufgebaut, sie beeinflusst und in ihrer Gedankenwelt und ihrem Leben Veränderungen angestoßen haben. Ohne diesen vielfältigen Einfluss unserer Revolution würde sich Südkurdistan heute in einer rückständigen gesellschaftspolitischen Lage befinden. Auch die patriotischen Gefühle der südkurdischen Bevölkerung wären nicht derart stark. Die PKK hat in Südkurdistan also enorme nationale, gesellschaftliche, kulturelle und mentale Veränderungen herbeigeführt.

Frauen sind die treibende Kraft

In Rojava wurden die Veränderungen und Errungenschaften auf direkte Art und Weise erreicht. Rêber Apo hat 20 Jahre lang gemeinsam mit dem Volk Rojavas, den dortigen Jugendlichen und Frauen gelebt und sie gebildet. Tausende junge Frauen und Männer haben sich von dort aus der Guerilla angeschlossen, viele sind im Widerstand gefallen. Die Rojava-Revolution hat auf der Grundlage der Ideen und des Einflusses Rêber Apos stattgefunden. Die Bevölkerung Rojavas ist zum überwältigenden Teil stark mit Rêber Apo verbunden. Die Frauen Rojavas sind die treibende Kraft hinter dieser starken Verbundenheit. Die Revolution in Rojava hat sich auf Basis des Paradigmas von Rêber Apo entwickelt. Es ist offensichtlich, dass sie nicht nur für Kurdistan, sondern für den gesamten Mittleren Osten eine sehr wichtige Revolution darstellt.

Auch in Ostkurdistan ist die Bevölkerung von einer großen Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie erfüllt. An dieser Sehnsucht tragen die Ideen Rêber Apos einen sehr großen Anteil. Trotz des massiven staatlichen Drucks bringt die Bevölkerung Ostkurdistans ihren Freiheitswunsch bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck. Das ist das Ergebnis des Einflusses, über den die PKK heute in allen vier Teilen Kurdistans verfügt.

Auch in Europa und vielen anderen Teilen der Welt organisieren sich die Kurd:innen auf Basis der Ideen Rêber Apos. Dadurch ist es ihnen gelungen, als nationale Gemeinschaft ihre Existenz spürbar zum Ausdruck zu bringen. Das kurdische Volk ist heute einem permanenten Genozid ausgesetzt. Zudem wurde der politischer Wille dieses Volkes gebrochen. Es stellt daher eine sehr wichtige Entwicklung und Errungenschaft dar, dass dieses Volk sich an von der Heimat weit entfernten Orten organisiert und seine Existenz als Nation dort aktiv unter Beweis stellt. Die Organisierung der im Ausland lebenden Kurd:innen stellt eine sehr wichtige Quelle von Motivation und moralischer Unterstützung für die Bevölkerung aller vier Teile Kurdistans dar. Durch ihre starke Organisierung im europäischen Exil sind die dort lebenden Kurd:innen für Kurdistan eine Art Fenster nach Europa und zum Rest der Welt. Diese Organisierung und der darauf basierende Einfluss der Kurd:innen in allen Teilen der Welt stellt eine große Errungenschaft für die vier Teile Kurdistans dar.

Der Kampf der PKK hat in allen vier Teilen Kurdistans zu sehr großen Errungenschaften geführt. Trotzdem betreiben Vertreter:innen der PDK (Demokratische Partei Kurdistans), die seit der Gründung einer Föderation in Südkurdistan die Regierung stellen, bzw. ihnen nahestehende Kreise Propaganda und behaupten, die PKK habe mit ihrem Kampf nichts erreicht. Sie haben somit deutlich zur Schau gestellt, wie engstirnig und oberflächlig ihr soziologischer, politischer, kultureller und nationaler Blick auf die Welt und Kurdistan beschaffen ist. Kurdistan wurde in vier Teile aufgeteilt. Dort findet ein Völkermord statt, für den die hegemonialen Staaten ihre eigene Position benutzen und Unterstützung von auswärtigen Kräften beziehen. Es ist daher nicht einfach auch nur in einem der vier Teile Kurdistans Errungenschaften zu erreichen. Errungenschaften können nur erreicht werden, wenn nicht nur ein, sondern vier Staaten und deren Unterstützer überwunden werden. Das wiederum hängt von der gesellschaftlichen, politischen, militärischen und diplomatischen Stärke der Kurd:innen ab. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie oberflächliche die Perspektive gewisser politischer Kräfte Südkurdistans ist, die die erreichten Errungenschaften sich selbst zurechnen und behaupten, die PKK habe nichts erreicht.

Rolle der PKK bei den Erfolgen in Südkurdistan

Wir haben oben beschrieben, welche Veränderungen die PKK in der kurdischen Gesellschaft und in Kurdistan angestoßen hat. Auch für die Errungenschaften Südkurdistans hat die PKK eine unverzichtbare Rolle gespielt. Am wichtigsten ist es zu erwähnen, dass die PKK zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als in Südkurdistan eine schwere Niederlage stattfand. Damals hatten nicht nur die PDK und Südkurdistan, sondern die kurdische Politik an sich eine schwere Niederlage erlitten. Es ist sehr bedeutend, dass die PKK in genau solch einer historischen Phase aktiv wurde. Zudem hat die PKK mit dem Kampf in dem Teil Kurdistans begonnen, der geographisch und von der Bevölkerungszahl her am größten ist. Außerdem ist der türkische Staat die Kraft, deren Kurdenfeindlichkeit am stärksten ausgeprägt ist. Er betrachtet noch den kleinsten kurdischen Aufstand als Gefahr für sich. Es ist eine allseits bekannte Tatsache, dass die PDK, die enge Beziehungen zu den USA und zur NATO unterhält, im Gegenzug dafür, dass sie die Entstehung anderer kurdischer Bewegungen in Nordkurdistan strikt unterbindet, vom türkischen Staat toleriert wird. Im Kalten Krieg stellte die Türkei ein wichtiges Land für die USA und NATO dar. Die grundlegende nationale Politik der Türkei bestand damals in ihrer Kurdenfeindlichkeit und dem Ziel, einen Völkermord an den Kurd:innen zu verüben. Indem die PKK begann gegen diese Art von Staat zu kämpfen, hat sie allen Teilen und allen politischen Kräften Kurdistans Luft zum Atmen verschafft.

Tatsachen beim Namen nennen

Das Parlament Südkurdistans wurde zeitgleich mit den Angriffen der PDK und YNK (Patriotische Union Kurdistans) gegen die PKK, die am 2. Oktober 1992 begannen, eröffnet. Weil der türkische Staat einen Krieg gegen die PKK führte, akzeptierte er die damaligen Entwicklungen in Südkurdistan. Mit dem Ziel, die PKK zu zerschlagen, entwickelte der türkische Staat Beziehungen zu den politischen Parteien Südkurdistans. Kurz nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 entstand die Föderation Südkurdistans. Dies geschah im Kontext des von der PKK in allen vier Teilen Kurdistans geführten Kampfes. Der türkische Staat bezeichnete seine Anerkennung der Föderation in Südkurdistan später als historischen Fehler. Er hatte sich nur zu diesem Schritt der offiziellen Anerkennung bereit erklärt, da im Gegenzug die USA und PDK im Jahr 2007 ganz offen Stellung gegen die PKK bezogen. Als der damalige US-Präsident George Bush die PKK als Feind der USA bezeichnete, vollzog der türkische Staat die offizielle Anerkennung Südkurdistans. Im Gegenzug lieferte die PDK der Türkei umfassende Hilfe für deren Versuch die PKK zu zerschlagen und wurde damit ganz offen zu einem Teil der Völkermordpolitik in Nordkurdistan. Hätte die PDK dem türkischen Staat keine Unterstützung zukommen lassen, wäre dieser mittlerweile dazu gezwungen gewesen, die Existenz der Kurd:innen in Nordkurdistan und deren demokratische Autonomie anzuerkennen. Doch aufgrund seiner Beziehungen zur PDK kann der türkische Staat behaupten, nicht gegen die Kurd:innen, sondern nur gegen die PKK und den Terrorismus zu kämpfen und ist somit in der Lage seine Völkermordpolitik in Nordkurdistan fortzusetzen.

Die PKK hat einen entscheidenden Beitrag zu den Errungenschaften Südkurdistans geleistet. Zweifelsfrei haben auch das südkurdische Volk und die dortigen politischen Kräfte wichtige Kämpfe geführt. Doch wäre die PKK nicht entstanden, hätte sie nicht mit ihrem Kampf begonnen und Kurdistan und den Mittleren Osten nicht entscheidend geprägt, wäre es nicht zu all den Errungenschaften in Südkurdistan gekommen. Wenn wir also feststellen, dass der Kampf der PKK in allen vier Teilen Kurdistans enorme Errungenschaften mit sich gebracht hat, tun wir nichts anderes, als Tatsachen beim Namen zu nennen.

Nächster Teil: Welche Beziehungen unterhält die kurdische Befreiungsbewegung zu den ethnischen Minderheiten wie Armenier:innen oder Suryoye in Kurdistan? Und wie arbeitet sie mit ihnen zusammen?