Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivrates der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), hat sich in einer Sondersendung bei Medya Haber über wichtige Neuigkeiten in Bezug auf die Isolierung von Abdullah Öcalan, den 24. Jahrestag seiner erzwungenen Ausreise aus Syrien, den anhaltenden Aufstand in Ostkurdistan und Iran, die Bedeutung des Krieges in Südkurdistan und die voraussichtlichen Entwicklungen nach dem jüngsten Guerillaangriff in Mersin in der Türkei geäußert. Wir veröffentlichen den dritten Teil des Interviews.
Die gegenwärtigen Veränderungen in Iran haben ein neues Identitätsbewusstsein hervorgebracht, das auch die Realität des Krieges veranschaulicht – wie sie aktuell in den Medya-Verteidigungsgebieten erlebt wird. Wie ist die derzeitige Lage in Zap, Metîna und Avaşîn?
Wir haben den Krieg, der sich auf Zap, Avaşîn und Metîna konzentriert, schon bewertet. Es ist nicht nötig, unsere Einschätzung zu wiederholen. Es findet ein brutaler Angriff statt. Mit allen Kriegsmitteln – darunter chemische Kampfstoffe und taktische Waffen – wird versucht, einen Völkermord an den Kurden zu verüben. Das Ziel ist die Zerstörung der freien kurdischen Identität. Und dagegen gibt es einen epischen Widerstand kurdischer Frauen und Männer. Dieser Widerstand ist wirklich übermenschlich, der immerzu gewürdigt werden muss. Und auch der selbstlosen Gefallenen sollte stets gedacht werden. Erst kürzlich sind Freundinnen und Freunde auf dem „Höllenhügel“ [Girê Cehennem] durch Chemiewaffen ums Leben gekommen. Ich möchte diesen Gefallenen, die unter dem Kommando von Genosse Zinar kämpften, mit Respekt und Dankbarkeit gedenken. Ich möchte auch allen anderen Gefallenen von Zap, Avaşîn und Metîna gedenken. Unser zentrales Hauptquartier hat kürzlich bekannt gegeben, dass der Krieg weiter eskaliert. Die an diesem Krieg beteiligten Parteien mobilisieren alle ihre Kräfte, um Ergebnisse zu erzielen. Die PKK und das kurdische Volk leisten auf dieser Grundlage Widerstand.
Es ist eine sehr intensive Situation und ein sehr kritischer Prozess. Wir haben in unseren früheren Einschätzungen immer gesagt, dass die politischen Ereignisse an verschiedenen Orten stattfinden, aber nicht entscheidend sind. Was entscheidend ist, ist der Krieg. Und dieser Krieg findet hauptsächlich in Zap, Avaşîn und Metîna statt. Diejenigen in Kurdistan und der Türkei, die sagen, politikbewusst leben zu wollen, müssen diese Realität anerkennen. Wenn sie dies nicht tun, werden ihre Worte nicht angemessen sein, ihre Pläne werden nicht richtig sein und ihre Arbeit wird nicht erfolgreich sein. Der Krieg in Zap, Avaşîn und Metîna ist auf seinem Höhepunkt. Jeden Tag werden dort Verbrechen begangen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Dies ist dokumentiert und veröffentlicht worden, aber es gab bisher keine Reaktion, weil sich all diese Verbrechen gegen Kurdinnen und Kurden richten. Alle machen sich mitschuldig an diesen Angriffen. Es werden verbotene Waffen eingesetzt. In der türkischen Presse wird derzeit darüber diskutiert, ob Russland taktische Atombomben einsetzen wird usw. Nun, die Türkei selbst setzt diese Waffen schon seit Jahren ein. Sie betrachten es als ihr Recht, dies zu tun.
Wir haben uns an die NATO und die USA gewandt und ihnen gesagt, dass das kurdische Volk eine Erklärung in dieser Angelegenheit verlangt. Wenn Russland diese Waffen an die Türkei liefert, sollen sie sagen, dass die Türkei sie von Russland bekommt. Aber die Türkei ist ein NATO-Mitglied und diese Waffen sind NATO-Waffen. Sie sollten erklären, ob sie Kenntnis haben über ihren Einsatz und ihn befürworten. Sie sind mitschuldig an den Verbrechen des AKP/MHP-Regimes. Sie gewähren jede Art von Unterstützung, und das ist aufgedeckt worden. Das zeigt, in was für einer Welt wir leben, wie die Beziehungen funktionieren und dass Staaten wie Netzwerke zur Pflege bestimmter Interessen handeln.
Was sagte der Oberkommandierende des HPG-Hauptquartiers [Murat Karayilan] kürzlich? Dass dieser Krieg alle angeht. Alle sollten sich beteiligen und dort kämpfen, wo sie sind. Der genozidale kolonialistische Feind führt alle Arten von Angriffen durch, um Ergebnisse zu erzielen, um die Guerilla zu zerschlagen. Er setzt verbotene und geächtete Mittel ein. Er will Unterstützung aus der ganzen Welt bekommen, indem er die Mittel und Ressourcen der Türkei veräußert.
Der Widerstand muss wachsen. Alle müssen Verantwortung übernehmen und kämpfen. Niemand kann sagen, das gehe ihn nichts an. Es darf auch niemand sagen, dass er nichts tun kann. Stattdessen müssen alle Stärke und Mut zeigen. Wenn sie es nicht alleine schaffen, sollten sie sich organisieren. Die Guerilla führt einen Krieg. Es gab Gefechte in der Botan-Region, im Zagros und in Amed. Ich gedenke der Gefallenen von Amed mit Respekt, Liebe und Dankbarkeit. Sie haben heldenhaft Widerstand geleistet und übermenschliche Anstrengungen unternommen, um den Feind am Durchlass zu hindern, Amed zu verteidigen, frei zu atmen und zu leben.
Gewiss, das Zentrum des Krieges liegt in den Medya-Verteidigungsgebieten, in Xakurke, Heftanîn, Zap, Avaşîn und Metîna, aber der Krieg breitet sich auch überall in Nordkurdistan, in der Türkei und in Südkurdistan aus. In manchen Orten dehnt er sich mehr aus als in anderen. Alle tragen die Verantwortung, die Lücken zu schließen. Darum geht es in unserem Aufruf. Wir sollten nicht sagen, dass wir es nicht schaffen können. Es gibt etwas, das alle tun können. Solange man danach sucht, etwas tun will, den Feind und die Ungerechtigkeit beim Namen nennt. Alle sollten die Absicht haben, etwas zu tun und eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Eine Methode und die nötigen Mittel lassen sich bestimmt finden. Gegenwärtig gibt es immer noch Menschen, die nicht vollständig und richtig sehen und verstehen, was vor sich geht. Es gibt Rückzug, Individualismus, Ängstlichkeit. All das muss überwunden werden. Der Kampf muss verstärkt werden. Die Guerilla leistet heldenhaften Widerstand mit all ihrer Kraft, um Ergebnisse zu erzielen. Und wenn wir uns um die Guerilla scharen, werden wir mit Sicherheit Erfolg haben. Eine andere Lösung gibt es ohnehin nicht. Deshalb schließe ich mich dem Aufruf unseres zentralen Hauptquartiers an und rufe alle auf, verantwortungsvoller zu handeln, sich intensiver zu organisieren und sich dem Kampf anzuschließen, um am Sturz des AKP/MHP-Faschismus teilzunehmen.
Die HPG haben kürzlich eine Aktion in der türkischen Stadt Mersin durchgeführt. Welche Bedeutung hat dieser Schlag in einer Zeit, in der es so viel Druck und Angriffe gibt?
Wie wir bereits gesagt haben, breitet sich der Krieg aus. Es ist sehr wichtig, die Aktion in Mersin richtig zu deuten. Ihr Platz im Krieg allgemein, aber auch die Auswirkungen auf den Krieg müssen gut verstanden werden. Das HPG-Pressezentrum und unser Hauptquartier haben sich hierzu geäußert. Es waren wichtige und aussagekräftige Erklärungen. Die türkische Regierung hat wiederholt behauptet, dass es keine Guerillakräfte mehr gäbe und dass sie die vollständige Kontrolle habe. Aber der Angriff in Mersin hat das widerlegt. So wie der Aufstand im Iran alles erschüttert hat, so hat auch die Aktion in Mersin alle aufgewühlt. Der Nationale Sicherheitsrat der Türkei war gezwungen, eine Sitzung abzuhalten. Jetzt ist diese Aktion in aller Munde. Im kurdischen Freiheitskampf gibt es eine Widerstandslinie, die ‚Zîlan-Linie‘. Den Kampf wie Zîlan zu führen bedeutet, auf der Linie des Sieges und des Erfolges zu gehen und die Realität des Vorsitzenden [Abdullah Öcalan] zu verteidigen. Ihr Widerstand war eine Reaktion auf das Attentat gegen Rêber Apo am 6. Mai 1996. Damit setzte Zîlan den ersten Strich einer Linie, die sich wie ein Faden bis zur Aktion in Mersin spannte. Es bedeutet, Rêber Apo auf eine Weise zu verteidigen, wie Zîlan es getan hat und den Kampf für Freiheit so zu führen, wie sie es tat. Nun, da wir dem 24. Jahrestag des internationalen Komplotts entgegenblicken, gilt die Mersin-Aktion als letzter Akt der Verteidigung Rêber Apos gegen das System aus Isolation und Völkermord. So sollten wir diesen Angriff verstehen. Es ist die Linie eines Befreiungskampfes auf höchster Ebene, mit höchstem Mut, aufopferungsvoll auf den Sieg ausgerichtet. Ich möchte daher mit Respekt, Liebe und Dankbarkeit der Freundinnen Sara und Rûken gedenken, die diese Aktion durchgeführt haben.
Sie haben einen großen Erfolg erzielt und eine Antwort auf das internationale Komplott gegeben. Sie haben allen gezeigt, wie wir kämpfen müssen und wie die Jugend und die Frauen des kurdischen Volkes von nun an kämpfen werden. Alle sollten sich den Anschlag von Mersin anschauen und sich auf dieser Grundlage kritisieren und hinterfragen. Diese Diskussionen haben bereits begonnen. Rêber Apo hatte gesagt: „Zîlan ist die Kommandantin, wir folgen ihren Befehlen.“ Sara und Rûken sind unsere Befehlshaberinnen und wir sind ihre Kämpfer. Das ist die richtige Einstellung. Alle Kurden, Patrioten, Frauen, Türken, Arbeiter und Werktätige werden ihre aktuelle Situation entsprechend bewerten. Natürlich werden sich auch der Staat und die Machthaber selbst hinterfragen. Erdogan und seine Gefolgsleute geben nur billige Phrasen ab. Was habt ihr diesen kurdischen Frauen angetan, dass sie sich gezwungen sehen, solche Aktionen zu organisieren und sich entschließen, diesen Kampf aufzunehmen? Ihr habt das zu verantworten. Ihr kollaboriert mit jedem, richtet Massaker an, ihr steckt Menschen in Gefängnisse: Führungspersonen, Arbeiter, Werktätige. Es gibt keine Grausamkeit mehr, die ihr in Nordkurdistan, Südkurdistan, Westkurdistan und Ostkurdistan nicht begangen habt. Diese Frauen sind die Seele der freien Menschheit, die bedeutendsten Vertreterinnen des freien Lebens. Sie tun alles auf der Grundlage von Wissen und Verstand. Aber wer hat sie gezwungen, eine solche Aktion umzusetzen? Derjenige, der sie dazu gezwungen hat, redet immer noch, anstatt zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie haben sich mit allen verbündet, um die Kurden auszurotten. Wer ist der Verräter, wer ist der Terrorist, wer übt den Terror aus, gibt es einen größeren Verräter als dich?
Von nun an werden die kurdische Jugend, die Frauen, einfach alle so handeln. 30 Jahre lang haben wir alle wie Zîlan gekämpft und von nun an werden alle wie Sara und Rûken kämpfen. Diejenigen, die an der Macht sind, haben es verdient, mit solchen Angriffen konfrontiert zu werden. Glauben sie wirklich, dass sie nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden? Rêber Apo und unser Vorstand haben schon oft gewarnt: Die Kurdinnen und Kurden sind nicht mehr die Kurden von früher. Sie sind bewusster geworden. Sie kennen die Welt und haben gelernt zu kämpfen. Kommt zur Vernunft, sonst werden ihr die Konsequenzen tragen. Aber wir haben es immer noch mit einer sadistischen faschistischen Aggression und mit einem rassistischen, chauvinistischen Nationalismus zu tun. Die türkischen Machthaber müssen die Wahrheit erkennen. Wenn sie die aktuelle Situation neu bewerten, können sie die Botschaft der Aktion von Mersin verstehen.
Für die revolutionären demokratischen Kräfte, das kurdische Volk, die Frauen, die Jugend und die Patrioten ist dies die Hauptlinie des Widerstands. Dies ist die richtige Linie, die Widerstandslinie der Avantgarde. Also, wenn ihr könnt, seid wie sie. Und wenn ihr es nicht könnt, betet für diejenigen, die es tun, und stellt euch nicht gegen sie. Niemand hat das Recht, arrogant zu sein, die Kurdinnen und Kurden sind in einer Situation, in der es um Leben und Tod geht. Als der Zap-Krieg begann, erklärte unser Vorstand, dass dies ein Krieg der Vernichtung und Zerstörung sei. Nur wenn wir kämpfen und diese Angriffe zurückschlagen, können wir frei leben. Die mutigste Art, dies zu tun, ist die Aktion in Mersin. Ich möchte die verantwortlichen Kommandierenden beglückwünschen und grüßen. Und ich möchte ihnen weiterhin viel Erfolg wünschen. Ich möchte auch den Freundinnen Sara und Rûken noch einmal mit Respekt und Dankbarkeit gedenken. Sie sind diejenigen, die uns immer den richtigen Weg zeigen werden. Wir werden ihren Weg gehen und damit auf jeden Fall gewinnen.