„Gelten Bücher und Musik in Deutschland als terroristisch?“
Duran Kalkan, Mitglied im Zentralkomitee der PKK, ruft die Bundesregierung dazu auf, ihr Fehlverhalten gegenüber der kurdischen Bevölkerung in Deutschland zu korrigieren.
Duran Kalkan, Mitglied im Zentralkomitee der PKK, ruft die Bundesregierung dazu auf, ihr Fehlverhalten gegenüber der kurdischen Bevölkerung in Deutschland zu korrigieren.
Im Gespräch mit dem Fernsehsender Medya Haber TV hat Duran Kalkan, Mitglied im Zentralkomitee der Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan, PKK) die jüngsten Angriffe der Bundesregierung gegen kurdische Einrichtungen und kurdische Aktivist*innen bewertet. Mit Verfügung vom 1. Februar hat das Bundesinnenministerium die auf die Verlegung und den Vertrieb von kurdischer Literatur und kurdischer Musik spezialisierten Unternehmen Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH sowie die MIR Multimedia GmbH als angebliche Teilorganisationen der PKK verboten. Am 12. Februar wurden daraufhin die Geschäftsräume der beiden Neusser Kunst- und Kulturvertriebe durchsucht und sämtliches Inventar auf Weisung des Bundesinnenministers Horst Seehofer beschlagnahmt. Etwa zeitgleich griff die Polizei in der Nähe von Karlsruhe einen Sternmarsch der kurdischen Jugendbewegung auf Straßburg an. Die Jugendlichen waren in Mannheim aufgebrochen, um gegen die Isolation des PKK-Gründers Abdullah Öcalan zu protestieren. Im Zuge des Angriffs wurden etliche Jugendliche unter Schlägen festgenommen. Ein an Epilepsie erkrankter Aktivist ist von zwei Polizisten bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt worden und musste in einem Karlsruher Krankenhaus stationär behandelt werden. Duran Kalkan erklärte dazu:
‚Möchte Bundesregierung Kurden in die Berge treiben?‘
„Die jüngsten Angriffe der deutschen Regierung gegen die Kurd*innen gilt es mit Vorsicht zu analysieren. Es handelt sich nämlich um Angriffe, die nur schwer nachvollziehbar sind. Die Bundesregierung handelt höchst widersprüchlich. Was bezweckt sie mit diesen Angriffen? Möchte sie, dass die Kurden keine Lieder mehr singen oder dass sie keine Bücher und Zeitschriften mehr herausbringen? Will sie denn die kurdische Bevölkerung in die Berge treiben? Dann soll sie das offen sagen. Dann soll sie erklären, dass sie auf Seiten des Krieges steht und außer dem Krieg keine Arbeiten der kurdischen Bevölkerung akzeptiert. Denn selbst wenn sie das nicht offen sagt, so drückt ihre Verbotspolitik doch genau das aus.
Wenn ein Musikvertrieb gegen das geltende Recht in Deutschland verstoßen hat, dann sollte die Bundesregierung gegen dieses Unternehmen mit rechtlichen Mitteln vorgehen. Doch was soll in diesem Zusammenhang ein Verbot bedeuten? Was heißt es, einen Buchverlag zu verbieten? Ist die Kunst jetzt in Deutschland verboten? Ist Kunst denn Terror? Wie kann man einen Verlag, der Bücher druckt und vertreibt, verbieten? Ist es verboten Bücher zu schreiben, seine Meinung auf Papier zu bringen? Handelt es sich dabei um Terror? Es fällt einem wirklich schwer, das nachzuvollziehen. Das ist nicht akzeptabel.
In Straßburg befinden sich Menschen seit zwei Monaten im Hungerstreik. Es handelt sich bei den Hungerstreikenden um anerkannte Persönlichkeiten der Kurden. Sie alle treten für Freiheit, Demokratie und Geschwisterlichkeit ein. Und die Jugendlichen veranstalten eine Demonstration, um ihre Verbundenheit mit diesen Menschen zum Ausdruck zu bringen. Wie kann das ein Verbrechen darstellen? Bei ihrem Protest tragen sie Bilder von Abdullah Öcalan, singen unterwegs Lieder und rufen Sprechchöre. Wie kann man so einen Protest verbieten? Haben sie denn randaliert oder etwas zerstört?
‚Deutsche Verbotspolitik bietet der AKP fast schon Paroli‘
Die deutsche Regierung hat von Zeit zu Zeit Äußerungen von sich gegeben, bei denen sie klarmachte, keine Gewalt zuzulassen. Das ist verständlich. Auch wir haben die kurdischen Jugendlichen dazu aufgerufen, keine gewalttätigen Aktionen durchzuführen. Doch was sollen wir der Jugend sagen, wenn die Regierung ihnen verbietet, Bilder ihres Repräsentanten zu zeigen? Was sollen wir sagen, wenn selbst ihre Sprechchöre verboten werden? Was bezweckt die deutsche Regierung damit? Sollen wir nun der Jugend sagen, dass sie all ihre Werte aufgeben soll? Mit ihrer Verbotspolitik bietet die Bundesregierung der AKP-Diktatur fast schon Paroli. Das können wir nicht dulden. Auf der einen Seite verbietet die AKP-MHP Regierung in der Türkei und Nordkurdistan alles, schließt Vereine und Zeitungen, lässt keine Demonstrationen zu und nimmt die Teilnehmer*innen von Protesten fest. Auf der anderen Seite macht Deutschland dasselbe. Ist Deutschland dem wirklich würdig? Was sagen die Intellektuellen, die Politiker*innen, die Künstler*innen aus Deutschland dazu? Stimmen sie etwa einer solchen Geisteshaltung zu? Wenn dem so ist, dann sollen sie das offen verkünden. Wenn nicht, dann sollen sie klar Stellung dagegen beziehen.
Es gibt nichts an dieser Situation, das akzeptabel wäre. Wir richten als Bewegung von Zeit zu Zeit Appelle an unsere Bevölkerung und an unsere Jugend in Europa. Sie treten in keinster Weise radikal auf. Doch wir sehen, dass sich die Regierung in Berlin in keinster Weise verhältnismäßig gegen die Kurden verhält. Weil es sich um Kurden handelt, wird gegen die kurdische Jugend härter vorgegangen. Sie werden geradezu beschimpft, zu Boden geschmissen, ihre Hände gebunden. Als ob die kurdische Jugend sich dazu aufgemacht hätte, alles zu zerstören, wird sie mit gewalttätiger Härte angegangen. Das ist nicht nur Unrecht, das ist erbarmungslos.
‚Bundesregierung sollte von diesen Fehlern ablassen‘
Diese Haltung bedeutet, dass der deutsche Staat den Genozid der türkischen Regierung unterstützt. Das ist falsch und wir verurteilen das. Die deutsche Regierung macht einen großen Fehler. Sie sollte das stoppen und diesen Fehler korrigieren. Ich will hierzu nicht allzu viel sagen, aber ich glaube, dass sich diese Fehlpolitik korrigieren lässt. Die Kurden nehmen keine politische Haltung an, die gegenüber der deutschen Öffentlichkeit oder Gesellschaft schädlich ist. Wir appellieren auch an die kurdische Öffentlichkeit, innerhalb des rechtstaatlichen Rahmens zu agieren und zu protestieren. Doch wenn ein Kurde protestiert, dabei das Bild seines Repräsentanten Öcalan zeigt und aus diesem Grund attackiert und zu Boden geworfen wird, dann ist es doch legitim, dass der Betroffene darauf reagieren? Das ist etwas, was offensichtlich mit der menschlichen Psychologie zu tun hat. Was können wir denn anderes von einem kurdischen Jugendlichen erwarten?
‚Erwarten einen respektvollen Umgang mit Werten der Kurden‘
Deshalb richten wir unseren Appell an die deutschen Verantwortlichen, nicht auf diese Weise zu handeln. Was ist denn dabei, wenn das Bild des Repräsentanten Öcalan auf einer Demonstration gezeigt wird? Diese Menschen tragen das Bild einer Persönlichkeit, die seit 20 Jahren auf Imrali einem Folter- und Isolationssystem ausgesetzt ist. Es handelt sich um den politischen Repräsentanten dieser Menschen. Hinter wem, wenn nicht hinter ihm, sollten sie denn stehen? Die Kurden haben ihre Werte wie jede andere Bevölkerungsgruppe auch. Und jede Gruppe wird eine Reaktion zeigen, wenn ihre Werte angegriffen werden. Für die kurdische Bevölkerung repräsentiert Abdullah Öcalan einen solchen Wert.
Das Abbild Öcalans auf einer Fahne zu zeigen, fügt rein niemandem einen Schaden zu. Auch deshalb sind diese Angriffe nicht zu dulden. Gerade in einer solch kritischen politischen Phase, wie die gegenwärtige eine ist, reagieren die Kurden sehr sensibel auf solche Angriffe. Das sollte verstanden werden. Auch die kurdische Gemeinschaft in Deutschland nimmt Rücksicht auf die gesellschaftlichen Werte in der Bundesrepublik. Sie agiert und demonstriert innerhalb des rechtlichen Rahmens. Darauf sollte sie auch weiterhin Acht geben. Die Kurden wollen die Gesellschaft in Europa, die demokratischen Kreise aufklären und für die politischen Entwicklungen in Kurdistan sensibilisieren. Das liegt auch in ihrer Verantwortung, daher werden sie es in Zukunft auch noch intensiver tun. Ich lade die kurdische Jugend dazu ein, innerhalb des demokratischen Rahmens aktiver zu werden. Und die politischen Verantwortlichen in Deutschland rufe ich dazu auf, ihre Verbots- und Kriminalisierungspolitik zu stoppen und ihre Fehler zu korrigieren.“