Der Einfluss der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland lässt sich an vielen Kriterien festmachen. Ein Indikator ist die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema. Mit dem jetzt vorgelegten Buch von Monika Morres, Kerem Schamberger und Alexander Glasner-Hummel wird erstmals die bisher wenig beachtete staatliche Repression gegen Kurd:innen in Deutschland in all ihren Facetten dargestellt. „Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird“ richtet sich an eine breite Öffentlichkeit und erscheint Ende Oktober im Westend-Verlag.
Anhand vieler Fallbeispiele und leicht verständlich wird auf etwas mehr als 200 Seiten dokumentiert, was staatliche Verfolgung und mediale Diffamierung bewirken. Zu Wort kommen betroffene Kurd:innen aus verschiedenen Generationen und mit ganz unterschiedlichen Biographien, die von ihren teils erschütternden, teils absurden Erfahrungen mit Behörden, Polizei, Justiz und Medien erzählen. Man erfährt, was es heißt, anti-kurdischem Rassismus und dem Stigma des „Terrorismus“ ausgesetzt zu sein.
Das deutsche Staatsinteresse
Die Berichte von Ausgrenzung, Erniedrigung und Kriminalisierung werden jeweils in den historischen Kontext eingeordnet. Zur Sprache kommen deshalb auch die geopolitischen, ökonomischen und militärischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland. Sie hatten und haben stets unmittelbar Auswirkungen auf die Flucht- und Repressionsgeschichten. Präzise analysiert wird das deutsche Staatsinteresse, und wie es die juristische Beurteilung der kurdischen Freiheitsbewegung determiniert. Klar formulieren die Autor:innen die Mitverantwortung dieses Staates.
Die Kämpfe in Kurdistan
Zum Verständnis der anti-kurdischen Repression hierzulande gehört auch, auf die Kämpfe in Kurdistan einzugehen: die Entstehung der kurdischen Freiheitsbewegung, deren Wandel unter dem neuen Paradigma (Frauenbefreiung, demokratischer Konföderalimus und ökologische Transformation), die Abkehr von der Forderung eines eigenen kurdischen Staates, die aufgezwungene Notwendigkeit zur (auch militärischen) Selbstverteidigung nach der Unterbindung legaler politischer Aktivitäten, die wiederholten Angebote der PKK von Friedensverhandlungen zur Lösung der sogenannten „kurdischen Frage“, der Weg von der Kaderpartei hin zu einer omnipräsenten Massenbewegung unter dem Dach der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistands) und die damit verbundene Professionalisierung.
Dieser Hintergrund vermittelt einen Eindruck von der Wirkmächtigkeit der Ideen von Abdullah Öcalan. Sie sind handlungsleitend für die Bewegung und stellen für jeden Staat „eine ideologische Bedrohung“ (S. 110) dar, insbesondere, da mit dem „Projekt Rojava“ der Beleg für die Praxistauglichkeit erbracht wurde.
Eine Leseprobe von „Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird“ kann hier eingesehen werden © Westend-Verlag
Der „Düsseldorfer Prozess“ und das PKK-Verbot
Als Meilenstein der Kriminalisierung und zugleich „Sündenfall des deutschen Rechtsstaats vor seinen eigenen Grundsätzen“ (S. 55) gilt der 1989 begonnene „Düsseldorfer Prozess“ gegen 19 kurdische Aktivist:innen. Dieser größte Strafprozess in der deutschen Geschichte sollte ein Schlag gegen die kurdische Bewegung werden, geriet aber in eine Sackgasse, da keine Straftaten nachgewiesen werden konnten. Weil eine Verurteilung politisch gewollt war, wurde schließlich ein Vergleich angeboten. Duran Kalkan, einer der Angeklagten, Gründungsmitglied der PKK und heute Mitglied des Exekutivrats der KCK, erinnert sich in seinem Nachwort zum Buch:
„Sie [...] machten uns folgenden Vorschlag: ‚Jeder von euch findet ein für sich passendes Delikt, bekennt sich schuldig und wir werden dann ein angemessenes Strafmaß festlegen, das Verfahren beenden und euch aus dem Gefängnis entlassen!‘ Als wir das Angebot hörten, erkannten wir die wirkliche Situation, lehnten es natürlich ab und verlangten, dass unsere Unschuld festgestellt wird. […] Daraufhin übermittelte eine Gerichtsdelegation die Situation an die damalige Bundesregierung und erklärte, dass sie keine Strafe verhängen und das Verfahren in seiner jetzigen Form nicht abschließen könne. Für eine Verfolgung müsse also eine neue Grundlage her. Daraufhin erließ das Innenministerium am 26. November 1993 das PKK-Betätigungsverbot, das die Partei auf die Liste der in Deutschland verbotenen Organisationen setzte.“ (S. 205)
Mit diesem Trick galt nun jede pro-kurdische Aktivität als „PKK-Unterstützung“ und wurde in die Illegalität gezwungen. Bis heute berufen sich die Gerichte auf das Betätigungsverbot und ersparen sich eine eigenständige Bewertung der PKK.
Ausweitung der Kriminalisierung
Besonderes Augenmerk richten die Autor:innen auf den „Terrorparagraphen“ 129 StGB und dessen Ausweitung und erklären, was es mit der „Verfolgungsermächtigung“ auf sich hat. Angeklagte in §129a/b-Verfahren können nun für Taten im Ausland verurteilt werden, die im Namen der Organisation, der sie mutmaßlich angehören, begangen wurden. Die Exekutive entscheidet, wer aufgrund von außenpolitischen Erwägungen als „Staatsfeind“ gilt.
Beschränkt sich Verfolgung durch §§129a/b hauptsächlich auf die Führungsebene der PKK, trifft das Betätigungsverbot praktisch alle Aktivist:innen und wird zunehmend ausgedehnt und in anderen Rechtsbereichen wirksam. In ihrem Gastbeitrag führt Heike Geisweid, Anwältin für Migrationsrecht und Asyl, aus, wie mithilfe des Asyl- und Ausländerrechts politisch aktive Kurd:innen eingeschüchtert und sanktioniert werden – auch wenn deren „Aktivismus“ nur darin besteht, am Leben in legalen kurdischen Vereinen teilzunehmen. Auch dies kann als „Terrorismus“-Unterstützung gewertet werden. Es drohen Entzug des Aufenthaltsrechts, Ausweisung, Verweigerung von Einbürgerung oder Ablehnung im Asylverfahren. „Das Migrationsrecht ist wie kaum ein anderes Recht von der jeweiligen politischen Agenda des Innen- und Außenministeriums beeinflusst und geprägt“ (S. 136), so die Anwältin.
Aller Repression zum Trotz wuchs die Freiheitsbewegung im Lauf der Jahre, wie die Autor:innen feststellen. Und je mehr sie sich verbreiterte und ausdifferenzierte, je kreativer ihre Aktionsformen wurden, desto findiger reagierten staatliche Behörden mit ihren Instrumenten der Repression. Wer über die Jahre hinweg die vielen Einzelfälle verfolgt hat, verharrt in zorniger Sprachlosigkeit angesichts der in Gang gesetzten Spirale der Eskalation.
Kurdischer Widerstand lässt sich nicht verbieten!
Hoch anzurechnen ist es den Autor:innen, dass sie es nicht dabei bewenden lassen, die vielschichtigen Formen der Repression auszubuchstabieren ohne die Widerständigkeit und Resilienz der kurdischen Strukturen zu benennen und auf ihre Gegenwehr hinzuweisen. „Eine derartig vielfältige und kreative Bewegung lässt sich nicht einfach verbieten – sie gehört zu Deutschland und ist gekommen, um zu bleiben.“ (S. 183)
Eine der vielen Antworten, mit der Verfolgung umzugehen und sich zu schützen, ist AZADÎ e.V., der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, der schon vor 27 Jahren gegründet wurde. Verantwortliche Leiterin ist Monika Morres, eine Mitautorin dieses Buches. Mit Unterstützung der politischen Gefangenen leistet der Verein wertvolle Antirepressionsarbeit, ist bestens vernetzt mit Jurist:innen, gibt regelmäßig den AZADÎ-Infodienst heraus und organisiert Konferenzen für Aufklärung und Austausch.
Doch auch diplomatisch (mit Civaka Azad – dem Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.) und juristisch mit einem Antrag auf Aufhebung des PKK-Verbots setzt sich die Bewegung zur Wehr gegen das wie zäher Schleim anhaftende Narrativ Kurde = PKK = Terrorismus.
PKK-Verbot als Demokratiedefizit
Im Schlusskapitel schließlich wird zusammengefasst, warum das Verbot der PKK ein deutsches „Demokratiedefizit“ darstellt und auch für die Gesellschaft einen Angriff auf die Grundrechte bedeutet.
Es ist den Autor:innen gelungen, ihre Empathie und ihren „radikal solidarischen Standpunkt gegenüber der kurdischen Freiheitsbewegung“ (S. 30) durchscheinen zu lassen ohne in „Propaganda“ zu verfallen. Sie bleiben wissenschaftlichen Standards treu und berichten, was ist.
Man wünscht dem neuen Buch viele Leser:innen. Und dass sie vehement eine überfällige politische Auseinandersetzung mit der kurdischen Bewegung einfordern – nicht nur aus Solidarität und um Kurd:innen aus der Isolation zu holen, sondern auch, um ein Zeichen zu setzen gegen den Umgang des Staates mit emanzipatorischen Bewegungen.
Wenn noch ein letzter Wunsch frei bliebe: Das Buch sollte Pflichtlektüre werden für alle in den Amtsstuben und Gerichtssälen, die mit Kurd:innen zu tun haben. Sie sollen verstehen, was es heißt, seiner Identität beraubt, geflohen, verfolgt und ausgeschlossen zu sein.
Buchvorstellungen mit allen drei Autor:innen:
Montag, 30.10., um 19:00 Uhr im Medico-Haus, Lindleystraße 15 in Frankfurt am Main,
Dienstag, 31.10., um 19:00 Uhr in der Alten Feuerwache in Köln.
Termine der Buchvorstellungen in anderen Städten: https://www.verbot-aufheben.org/2023/10/25/lesungen-zu-geflohen-verboten-ausgeschlossen/