PKK-Verbot abhängig vom politischen Klima

Rechtsanwalt Berthold Fresenius verfolgt die repressive Politik gegen die kurdische Befreiungsbewegung in Deutschland seit Jahrzehnten. Die Umsetzung des PKK-Verbots unterliegt der jeweiligen politischen Konjunktur, sagt er.

Der Rechtsanwalt Berthold Fresenius, einer der Strafverteidiger im sogenannten Düsseldorfer PKK-Prozess von 1989 bis 1994, bei dem mit Hilfe der politischen Justiz in Deutschland die kurdische Befreiungsbewegung als terroristisch kriminalisiert werden sollte, hat sich im Gespräch mit Fehmi Katar von der Tageszeitung Yeni Özgür Politika über die Auswirkungen des PKK-Verbots auf die kurdische Bevölkerung und kurdische Vereine in Deutschland geäußert. Die Praxis der vor 25 Jahren ausgesprochenen Verbotsverfügung hat sich immer sehr unterschiedlich gestaltet, sagt Rechtsanwalt Fresenius: „Nicht, dass sich die Gesetze geändert haben oder die Verbotsverfügung geändert wurde, aber es war eigentlich immer abhängig vom politischen Klima.“

Sie waren damals Strafverteidiger im sogenannten Düsseldorfer PKK-Prozess von 1989 bis 1994. Können Sie die damalige Atmosphäre beschreiben? Was waren die Umstände, unter denen der Prozess stattgefunden hat und wie wurde er in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Es war damals eine Hauptverhandlung, die Ende 1989 vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf gegen zunächst 20 Angeklagte begann. Ihnen wurde vorgeworfen, als Mitglieder der PKK Straftaten begangen zu haben. Die Verfahrensakten bestanden auch damals schon zu großen Teilen aus Rechtshilfeunterlagen aus der Türkei. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden hatten intensiv mit den türkischen Behörden zusammengearbeitet und Akten und Unterlagen über die Angeklagten und die Organisation erhalten. Es war das erste große PKK-Verfahren in Deutschland. Die Atmosphäre und die Stimmung auch der Medien und der Presse war damals durchaus offen und auch kritisch gegenüber der Anklage. 1989 – man muss sich an die Geschichte erinnern – war für Kurden in der Türkei eine sehr, sehr schwere Zeit. Man kann sagen, es war ein offener Krieg in der Türkei. Hunderttausende wurden vertrieben, tausende Dörfer vernichtet. Über diesen Krieg, über diesen Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden wurde damals in den deutschen Medien recht breit berichtet und es gab sehr viele Presseberichte, die die Kurden als die Opfer, als die Geschädigten und nicht als Täter oder Terroristen ansahen. Das kann man sich heute, wo sich das Klima sehr verändert hat, gar nicht mehr so einfach vorstellen, aber es war völlig anders als heute. Dieses Verfahren dauerte über vier Jahre, endete zum Teil mit Einstellungen, mit Verfahrensbeendigungen, aber auch mit Verurteilungen.

Wie hat sich das PKK-Verbot seit der Verbotsverfügung vor 25 Jahren gestaltet?

Man kann sagen, dass sich die gesamte Geschichte des PKK-Verbots in der Praxis, in den Auswirkungen für Kurden und für Vereine sehr unterschiedlich gestaltet hat. Und zwar nicht, dass sich die Gesetze geändert haben oder die Verbotsverfügung geändert wurde, aber es war eigentlich immer abhängig vom politischen Klima. Es gab Phasen – meistens aufgrund des politischen Hintergrunds, der Zusammenarbeit der bundesdeutschen Regierung mit dem türkischen Staat – starker Verfolgungen, Vereinsverboten, Vereinsrazzien in sehr massiver Art und Weise, unzähligen Hausdurchsuchungen und Strafverfahren. Es gab aber auch langjährige Phasen relativer Ruhe, wo es sehr wenige Hausdurchsuchungen und Verfahren gab, obwohl die eigentliche juristische Grundlage immer dieselbe war. Das dokumentierte sehr deutlich, dass es sich um ein rein politisches Vorgehen handelt. Je nachdem wie die politische Lage war, wurde das Verbot praktisch massiv umgesetzt oder die Strafverfolgungsbehörden, die Politik und die Verwaltungsbehörden haben sich sehr zurückgehalten. Wir haben in den letzten ein bis anderthalb Jahren wieder eine massive Zunahme nach Phasen, in denen es relativ wenige staatliche Übergriffe gab. Fast alle Demonstrationen werden zunächst verboten, dazu gibt es unzählige Auflagen bei Demonstrationen. Es kam wieder zu zahlreichen Hausdurchsuchungen wegen Symbolen, gerade auch wegen PYD- und YPG-Symbolen. Das Zeigen von Bildnissen Abdullah Öcalans war lange Zeit nicht verboten, dann wiederum unter gewissen Auflagen verboten. Auch die blau-gelben Plakate wurden verboten. Jetzt ist eigentlich jedes Zeigen eines Abbildes von ihm verboten.

In Belgien hat 2017 ein Gericht entschieden, dass es sich bei der PKK nicht um eine Terrororganisation handelt, da es in der Türkei einen bewaffneten Konflikt gebe, in dem die PKK eine Kriegspartei sei. Wie argumentieren Staatsanwälte und Richter in Deutschland?

Wir haben hier natürlich einen großen Unterschied. Auf der einen Seite haben wir die Strafverfahren wegen des Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ nach Paragraph 129b. Diese Verfahren finden vor den Oberlandesgerichten statt und der Vorwurf lautet jeweils, die PKK begehe in der Türkei Straftaten, d.h. Angriffe auf den türkischen Staat bzw. das türkische Militär. Das sei Terrorismus und wird deswegen hier verfolgt. Diese Strafverfahren gibt es mit unterschiedlichen juristischen Hintergründen, aber im Prinzip seit dem Düsseldorfer Verfahren. Seit es die 129b-Anklagen mit Tatort Türkei gibt, argumentiert die Verteidigung damit, dass es sich um eine militärische Auseinandersetzung handelt und das dementsprechend nach Völkerrecht zu entscheiden ist, und nicht nach nationalem deutschen Recht. Von daher sind die Anklagen juristisch fehlerhaft. Die Gerichte und auch der Bundesgerichtshof haben das abgelehnt und behandeln die Fälle als normales Strafrecht bzw. normale Straftaten, die in der Türkei begangen werden.

Dann haben wir das PKK-Verbot seit 25 Jahren, was Vereinsrecht ist. Die PKK gilt als ein verbotener Verein, der verfolgt wird. Verfahren nach dem Vereinsgesetz finden entweder vor den Staatsschutzkammern der Landgerichte statt oder je nach Vorwurf auch nur vor dem Amtsgericht, da es in diesem einschlägigen Paragraphen auch Alternativen gibt. Es gab Zeiten mit unzähligen Verhandlungen deutschlandweit. Im Moment gibt es wieder mehr Verfahren im Wesentlichen bezogen auf PYD- und YPG/YPJ-Symbole, also das Zeigen der Fahnen und Symbole dieser Organisationen. Die Verteidigung kann da nur argumentieren, dass es völlig absurd und abstrus ist, sich auf der einen Seite bei der PYD oder auch der YPG als dem entscheidenden und militärischen Gegner des IS quasi im Namen der westlichen Staaten zu bedanken und eine Bewaffnung der Amerikaner nicht zu kritisieren, aber auf der anderen Seite als reines Entgegenkommen der Türkei gegenüber zu sagen: ‚Das sind Terroristen, wir verfolgen die‘. Es ist politisch rational gesehen völlig absurd. Man kann dies nur so bewerten, dass es hier um die Zusammenarbeit, die es zwischen der Bundesregierung und der Türkei seit Jahrzehnten gibt, geht. Man ist sich im Prinzip ja sehr einig. Es sind atmosphärische Störungen, die auftauchen, und der Wunsch der Türkei, die ja die PYD seit einiger Zeit immer als „Gülen/PKK/PYD“ verfolgt, wird hier übernommen.

Hat die deutsche Regierung eine Kurdenpolitik?

Ich befürchte nein. Ich denke, dass die deutsche Politik, wenn es um Kurden geht, eigentlich nur an den Nordirak denkt. Dort gibt es kurdische Strukturen, die KDP zum Beispiel, die politisch nicht sehr fern sind von den Vorstellungen, die die deutsche Regierung hat. Es ist ein feudalistisch-reaktionäres Regime, das vom Westen unterstützt wird. Hier geht es mehr um die Symbolik ‚Kurden‘. Kurden in der Türkei werden als Problem gesehen, das man nach Annahme der Bundesregierung lösen könnte, indem man gewisse kulturelle Rechte gewährt. Die Politik hier vertritt die Auffassung, dass den Kurden ihre Rechte im Wesentlichen gewährt worden sind, sprich die strikten Sprachverbote sind entfallen. Man appelliert vielleicht noch daran, was die Frage Sprachunterricht, Ausbildung, Schulen etc. angeht, aber damit hat sich das auch. Ein Kurdenproblem, das mit der Türkei im Kontext gebracht wird, wird eigentlich kaum anerkannt.

Zu einer Zeit, in der der türkische Staat die Justiz ad acta gelegt hat, Erdoğans Legitimität in Frage gestellt wird und der Bundesregierung Nazi-Methoden vorgeworfen werden, ist der türkische Präsident zum Staatsbesuch nach Berlin eingeladen worden. Gleichzeitig wurde das Ausmaß der Repression gegenüber den Kurden in Deutschland deutlich massiver. Warum?

Zum einen sind das mehr atmosphärische Probleme. Erdoğan hat schon aus Gründen des Wahlkampfes, um nationalistisch gesinnte türkische Staatsangehörige, die in Europa leben – es ist ja nicht nur Deutschland – mit einer völlig abstrusen, nationalistischen Politik zu gewinnen, Beschimpfungen geäußert. Mit dem Hinweis, die deutschen Regierungen wendeten Nazi-Methoden an und seien rassistisch, wurden auch gegen Angela Merkel Beschimpfungen geäußert. Ich denke, die deutsche Politik hat das selbst nicht so ganz ernst genommen. Man bucht das unter Wahlkampf. Man kann im politischen Spiel nachvollziehen, dass die Rhetorik etwas härter wird. Man findet das nicht nett, aber man kann es nachvollziehen und es führt nicht zu einem Zwist oder zu einem Bruch in den politischen Beziehungen oder in den grundsätzlichen Übereinstimmungen. Es kommt dann immer wieder der Hinweis, die Türkei ist unser NATO-Verbündeter, ein ganz wichtiger Verbündeter auch von der geostrategischen Lage her. Also diese Grundzüge der Zusammenarbeit waren nie in Frage gestellt.

Dass gerade in dieser Phase, in der Erdoğan rhetorisch sehr massiv war mit Nazivorwürfen , die Verfolgung hier sehr zugenommen hat, das erkläre ich mir folgendermaßen: Es kostet der deutschen Regierung politisch leider so gut wie nichts, die Kurden hier zum Abschuss freizugeben und zu verfolgen. Innenpolitisch kann man sagen, ist das kostenfrei. Es gibt keine großen Proteste dagegen. Man kann also auf einer Ebene, die fiskalisch von Bedeutung ist – es kostet den Staat finanziell, materiell und politisch sehr, sehr wenig – sagen: ‚Herr Erdoğan, sehen Sie, wir sind ja eigentlich Ihre Partner, wir verfolgen Ihre Feinde, wir verfolgen die Kurden auch hier.‘ Damit signalisiert man seinem NATO-Verbündeten, dass man eigentlich auf derselben Grundlage steht.

Was sollte man Ihrer Meinung nach politisch und rechtlich gegen das PKK-Verbot unternehmen?

Das entscheidende hier ist die politische Ebene, so wie ich es vorhin auch angedeutet habe. Das zeigt auch die ganze Verfolgungsgeschichte der letzten 25 Jahre und da ist die kurdische Bewegung politisch in Deutschland leider doch sehr isoliert. Es fehlen die großen Bündnispartner, es fehlt die gesellschaftliche Stärke innerhalb der Bundesrepublik. Es wird auch leider nach wie vor von großen liberalen oder fortschrittlichen Kräften in Deutschland übersehen, dass diese Repressionswelle, die die Kurden trifft, weit über sie hinausgehen kann und auch massive Angriffe auf die Freiheit der politischen Betätigung, der Meinungsäußerung ist. Um hier ein politisches Kräftefeld zu verhindern, bedarf es leider sehr viel.