Lukas Theune: Kein juristischer, ein politischer Kampf

Seit 25 Jahren gibt es ein Betätigungsverbot für die PKK in Deutschland. Der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune hat sich im Interview zu den Hintergründen geäußert.

Vor 25 Jahren, am 26. November 1993, hat der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther ein Betätigungsverbot für die PKK in Deutschland ausgesprochen. Am 1. Dezember findet in Berlin unter dem Motto „Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten - Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus” eine bundesweite Großdemonstration statt.

Gegenüber dem Fernsehsender Medya Haber hat sich der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune zur aktuellen Verbotspraxis in der Bundesrepublik und der politischen Dimension des PKK-Verbots geäußert. Da das PKK-Verbot politisch begründet ist, kann es auch nur politisch fallen, erklärte der Rechtsanwalt im Fernsehinterview. Der nächste juristische Schritt ist laut Theune eine Klärung vor dem Europäischen Gerichtshof, damit der Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Armee nach internationalem Völkerrecht behandelt wird.

Sie verteidigen seit Jahren Kurdinnen und Kurden vor Gericht. Worum geht es in diesen Verfahren?

Tatsächlich habe ich in mehreren Verfahren kurdische Aktivistinnen und Aktivisten verteidigt. Es geht oft um die Vorwürfe 129a/b, also um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Diese Verfahren sind deswegen absurd, weil meine Mandantinnen und Mandanten selber gar keine Straftaten begangen haben. Ihnen wird auch nicht vorgeworfen, eine Straftat begangen zu haben, sondern in der Anklageschrift steht, sie hätten Demonstrationen, ein Newroz-Fest oder ein Kulturfestival organisiert. Das sind alles Sachen, die wir als Demokratie, als Rechtsstaat ja wollen und von denen wir leben, also die Versammlungsfreiheit. All diese Sachen werden in dem Kontext kriminalisiert und bestraft, obwohl jemand überhaupt nichts Verbotenes tut. Das ist das Absurde an diesem Paragraphen 129a/b. Jemand wird bestraft und eingesperrt, obwohl er selber gar nichts gemacht hat. Das ist das eine, was ich für politisch motiviert halte.

Widerstand gegen türkische Vernichtungspolitik vor deutschen Gerichten

Das zweite, was interessant ist, ist dass sich die Gerichte natürlich damit auseinandersetzen müssen, wie die Situation in Bakûr, im türkischen Teil Kurdistans ist und was dort stattfindet. Die deutschen Gerichte haben keine Ahnung davon. Sie waren nie da, sie kennen auch niemanden, der von da fliehen musste oder der dort ein Leben gehabt hat. Viele kurdische Aktivistinnen und Aktivisten wurden in der Türkei gefoltert, Familienangehörige sind verschwunden, sind getötet worden, Dörfer wurden zerstört. All diese Sachen thematisieren wir natürlich vor den deutschen Gerichten und man sieht, dass die deutschen Gerichte mit dieser Situation überfordert sind, denn dafür sind sie gar nicht aufgestellt. Der Widerstand gegen eine Vernichtungspolitik, die sich gegen ein ganzes Volk richtet, wie wir sie in der Türkei beobachten können, soll dann hier vor den deutschen Gerichten bewertet werden.

„Die deutschen Richter hatten keine Ahnung“

In einem Prozess hatten wir einen Zeugen, Faysal Sarıyıldız. Er war Abgeordneter der HDP für Şirnex (Şırnak) und hat erzählt, was in Cizîr (Cizre) während der Belagerung passiert ist. Man hat gesehen, die deutschen Richterinnen und Richter hatten keine Ahnung davon. Sie haben ihm zugehört, wie die türkische Armee mit Kampfhubschraubern angreift und mit Artillerie die Städte zerstört. Und dann haben wir gesagt: Wen wollt ihr denn jetzt hier bestrafen?

Von deutschen Gerichten wird behauptet, sie seien unabhängig. In Anbetracht der Strafen, zu denen kurdische Politiker verurteilt werden: Wie kann man diese Gerichte noch als unabhängig bezeichnen?

Die deutsche Justiz ist nicht unabhängig, gerade in diesen Verfahren, sondern sie wird von der Politik gesteuert. Das merken wir auch daran, dass es kurz vor Staatsbesuchen immer wieder zu Festnahmen kommt. Wenn Erdoğan oder damals Davutoğlu nach Deutschland kommen, oder wenn zum Beispiel Heiko Maas in die Türkei fährt, immer dann kommt es zu Situationen, in denen kurdische Aktivisten festgenommen werden. Daran merken wir, dass es um die gute Zusammenarbeit mit der Türkei geht.

Keine Entscheidung der Gerichte

Das Besondere an diesen Strafverfahren, in denen es um eine „terroristische Vereinigung im Ausland“ geht, ist, dass das Justizministerium bestimmt, wer bestraft werden soll und wer nicht. Das heißt, dass es gar keine Entscheidung der Gerichte ist, sondern des Ministeriums, also der Exekutive. Die Regierung selbst bestimmt: ‚Wir möchten, dass diese Person bestraft wird, diese Person möchten wir nicht‘. Daran sieht man, wie politisch die Verfahren sind und die Gerichte lediglich das umsetzen, was die Regierung fordert.

Um die Verfahren gegen kurdische Politikerinnen und Politiker nicht im Kontext des Paragraphen 129a/b zu behandeln, sind Sie vor das Verfassungsgericht gezogen. Wie steht es aktuell um das Verfahren?

Wir haben in mehrfacher Hinsicht Verfassungsbeschwerde erhoben. Vor allen Dingen haben wir angegriffen, dass das Justizministerium die Entscheidung trifft, wer bestraft wird und wer nicht. Wir haben dabei auch vorgetragen, dass uns als Anwälten die Akten gar nicht zugänglich gemacht werden. Wir können also nicht wissen, welchen Informationsstand die Regierung hat und vor welchem Hintergrund diese Entscheidungen getroffen werden. Das sind also Geheimverfahren innerhalb der Regierung. Wir haben gesagt, dass das in einem Rechtsstaat nicht zulässig sein kann. Wir müssen doch das Recht haben, wenigstens zu wissen, warum jemand bestraft wird. Das hat das Verfassungsgericht abgelehnt.

Nächster Schritt: Europäischer Gerichtshof

Wir werden jetzt als nächstes zum Europäischen Gerichtshof gehen und dort die Frage thematisieren, die ja bereits auch international thematisiert wird: Muss man sich nicht eigentlich den Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Armee unter dem Gesichtspunkt des internationalen Völkerrechts angucken? Muss man nicht eher davon reden, dass es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt handelt, für den das Terrorismusstrafrecht gar nicht anwendbar ist? Diese Frage werden die deutschen Gerichte letztendlich nicht beantworten können, deswegen werden wir einen Schritt weiter zum Europäischen Gerichtshof gehen müssen.

Der deutsche Staat ist in diesem Jahr viel härter gegen kurdische Aktivistinnen und Aktivisten vorgegangen. Inwieweit hat Ihrer Meinung nach das Vorgehen deutscher Behörden mit der Politik des türkischen Staates zu tun, der den Kurden den Krieg erklärt hat?

Es ist nicht ganz richtig, dass die Verfolgung im letzten Jahr zugenommen hat. Die Verfolgung hat ein ähnliches Niveau wie vorher. Richtig ist, dass während des Friedensprozesses von 2013 bis 2015 die Verfolgungsintensität abgenommen hat, woran man auch wieder sieht, dass sie natürlich politisch motiviert ist. Solange sich ein Friedensprozess im Gange hält, ist das Interesse des deutschen Staates an einer Verfolgung niedriger. Erst danach hat sie wieder zugenommen. Aktuell können wir aber keine Zunahme von Festnahmen beobachten, sondern möglicherweise eher eine Spaltung in den deutschen Behörden. Denn die einen Mitarbeiter – auch bei der Staatsanwaltschaft – sagen: ‚Naja, wir können schon verstehen, warum die kurdische Bevölkerung ein Problem mit der türkischen Regierung hat und auch Widerstand leistet‘, während andere sagen, ‚es ist uns egal, wie verfolgen sie als Terroristen, denn sie sind ja auch eine linke Bewegung und so etwas wollen wir in Deutschland nicht‘.

Interessenkonflikte auf Regierungsseite

Also man merkt, die Regierung spricht nicht mit einer Zunge, sondern es finden auch da Interessenkonflikte statt. Unsere Aufgabe ist es natürlich, immer wieder die eine Seite zu stärken, die das Widerstandsrecht anerkennt, und dafür zu arbeiten, dass diese Verfahren irgendwann gar nicht mehr stattfinden und niemand mehr ins Gefängnis kommt, weil er politisch aktiv ist.

Warum ist die PKK in Deutschland verboten?

Das ist schwer, so allgemein zu beantworten. Ich denke, da gibt es verschiedene Interessen, die dahinterstehen. Das eine ist möglicherweise die gute Zusammenarbeit mit der Türkei, auch in diesem geopolitisch so wichtigen Raum des Nahen Ostens, wie wir sagen. Die Türkei war für Deutschland schon immer ein wichtiger Partner. Die deutsche Armee hat bereits beim Genozid an den Armeniern eine große Rolle gespielt und gemeinsam mit der türkischen Armee agiert. Also diese Verbindungen sind hundert Jahre alt und halten gut.

Verfolgung von Kapitalismuskritik

Die deutsche Regierung hat jedoch auch von sich aus ein Interesse, linke und sozialistische Bewegungen zu verfolgen. Es geht ja auch um eine Kapitalismuskritik, die die kurdische Bewegung formuliert. Deutschland ist ein Staat, der neoliberal und kapitalistisch organisiert ist. Von daher gibt es meiner Meinung nach auch ein Eigeninteresse der deutschen Regierung daran, die kurdische Bewegung zu kriminalisieren, weil sie Alternativen für die Gesellschaft in Deutschland aufzeigt.

Hat sich das Verbot von Symbolen und Fahnen im Vergleich zu 1993 intensiviert?

Es ist schwer zu vergleichen. Es ändert sich, mal nimmt die Repression zu, mal nimmt sie ab. Ich würde sagen, gerade sind weniger kurdische Aktivistinnen und Aktivisten im Gefängnis, als es möglicherweise in den neunziger Jahren der Fall war. Andererseits ist es natürlich richtig, dass die Repression gegen kurdische Demonstrationen stark zugenommen hat und zum Beispiel keine Bilder von Öcalan mehr gezeigt werden dürfen. Zwischendurch sind auch Symbole der YPG und YPJ kriminalisiert worden. Das ist zum Glück mittlerweile wieder abgewendet, also es ist jetzt wieder klar, dass die Organisationen aus Rojava, die dort kämpfen, erlaubt sind. Allerdings merkt man diesen Druck auf der Straße, den die Polizei ausübt und der zunimmt und immer wieder in das Leben eingreift, auch in das politische Leben. Das ist etwas, wogegen man sich wehren muss.

Wie kann man gegen diese Verbote vorgehen, was empfehlen Sie?

Wir als Anwältinnen und Anwälte versuchen natürlich, juristisch den Druck aufrecht zu erhalten. Wir klagen auf allen möglichen Ebenen. Unsere Kollegin aus Amsterdam zum Beispiel führt gerade ein Verfahren gegen die EU-Terrorliste. Wir hier sind immer wieder aktiv in den Verfahren in den einzelnen Bundesländern. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass das PKK-Verbot politisch begründet ist und auch nur politisch fallen wird. Der Druck auf der Straße, der Druck in der Politik muss so groß sein, dass die Regierung es sich nicht leisten kann, dieses Verbot aufrecht zu erhalten. Es wird kein juristischer, sondern ein politischer Kampf sein.