Die türkische Sicht der Bundesregierung auf die PKK
Der Hamburger Völkerrechtler Prof. Norman Paech hat für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika einen Kommentar zur im Februar erschienenen Verfassungsschutzbroschüre über die PKK geschrieben.
Der Hamburger Völkerrechtler Prof. Norman Paech hat für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika einen Kommentar zur im Februar erschienenen Verfassungsschutzbroschüre über die PKK geschrieben.
Seit gut 25 Jahren beobachtet der deutsche Verfassungsschutz nun schon die PKK und ist immer noch wie die türkische Regierung der Ansicht, dass er eine Terrororganisation vor sich habe. In seiner jüngsten Broschüre vom Februar 2019 muss er zwar einräumen, dass die PKK in Deutschland und Europa „grundsätzlich friedlich vorgeht“ und wesentlich mit der Sammlung von Geld, der Veranstaltung von Demonstrationen und „Festivals mit hohen Mitgliederzahlen“ und der „Aufrechterhaltung der Organisationsstrukturen“ beschäftigt ist. Das sind alles friedliche und in einer Demokratie selbstverständliche politische Aktivitäten – kein Anlass für eine geheimdienstliche Überwachung. Der Verfassungsschutz nimmt auch nicht zur Kenntnis, dass der Europäische Gerichtshof in einer neuen Entscheidung die Listung der PKK als Terrororganisation für die Jahre 2014 bis 2017 als falsch und unrechtmäßig erklärt hat. Er rechtfertigt seine Beobachtung aber mit den angeblich „terroristischen Aktivitäten in der Türkei einschließlich der darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen in Europa“ und dem daraus folgenden Betätigungsverbot in Deutschland.
Regierung und Verfassungsschutz folgen also der antikurdischen Politik der türkischen Regierung und unterstützen damit aktiv den durch schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gekennzeichneten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Denn die Aktivitäten des Verfassungsschutzes bleiben nicht ohne Folgen für die hier in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden. Mit den „Erkenntnissen“ des Verfassungsschutzes strengen die Staatsanwaltschaften in verschiedenen deutschen Städten Strafverfahren nach §§ 129 a und b StGB an, mit denen die Kurden von den Gerichten wegen normaler und friedlicher Aktivitäten zu Geld- und Haftstrafen verurteilt werden. Das ist einer demokratischen Gesellschaft nicht würdig und politisch unerträglich.
Regierung und Verfassungsschutz haben sich vollständig die türkische Sicht auf die PKK zu eigen gemacht. Den jahrzehntelangen Kampf der Kurdinnen und Kurden gemeinsam mit der PKK um Autonomie und Selbstverwaltung, um die Garantie ihrer Menschenrechte und eine gleichberechtigte Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung im türkischen Staat nehmen sie offensichtlich nicht zur Kenntnis. Der Verfassungsschutz hat sich nie durch differenzierte gesellschaftliche Analysen seines Tätigkeitsfeldes ausgezeichnet. Die Regierung wäre jedoch verpflichtet, ihre vielberufenen Regierungsprinzipien von der Wahrung des Friedens und der Menschenrechte gegenüber der Türkei im Interesse einer politischen Lösung des Konfliktes durchzusetzen. Sie weiß, dass es ein zentrales Ziel der PKK ist, Abdullah Öcalan aus seiner Isolation im Gefängnis von Imrali herauszuholen und „erneut zu einem politischen Akteur aufzuwerten, der im unmittelbaren Dialog und auf Augenhöhe mit der türkischen Regierung Verhandlungen führen kann“, wie es im Bericht des Verfassungsschutzes heißt. Dieses Bestreben zu unterstützen, wäre ein sinnvoller und geeigneter Ansatz für die deutsche Politik. Doch seit Jahrzehnten haben alle deutschen Regierungen ihre Prinzipien den strategischen (NATO-Partner, Flüchtlingsblocker) und ökonomischen (Export, Energieversorgung) Interessen geopfert. Sie schauen nicht nur weg und haben seit Jahrzehnten die vollkommen inakzeptable Gewalt gegen die Kurden geduldet, sondern sie unterstützen sie durch ihren Verfassungsschutz und ihre Justiz bis heute – das ist ein Skandal.