Wer hat die Verfassungsschutz-Broschüre über die PKK erstellt?

Die vom Bundesverfassungsschutz herausgegebene Broschüre über die PKK ist voller Widersprüche. Die Linksfraktion hat eine Anfrage dazu an die Bundesregierung gestellt. Anwälte sind irritiert.

Die vom Bundesverfassungsschutz herausgegebene Broschüre über die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sorgt für Irritationen. Der Historiker Nick Brauns bewertet die vierzigseitige Schrift als „abstruses Zerrbild der kurdischen Bewegung“. Rechtsanwalt Berthold Fresenius bezeichnet das intellektuelle Niveau der Broschüre als „peinlich“, sein Berliner Kollege Lukas Theune weist auf Widersprüche zu aktuellen Gerichtsurteilen hin.

Die Linkspolitikerin Ulla Jelpke hat als innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion eine Anfrage zu dem zweifelhaften Werk an die Bundesregierung gestellt. Sie will unter anderem wissen, auf welchen Quellen die vom Verfassungsschutz gemachten Angaben zur PKK beruhen.

„Wer schreibt so einen Mist?“

„Insbesondere die in den letzten Jahren deutlich angewachsene Solidarität deutscher linker Gruppierungen und Parteien mit der kurdischen Befreiungsbewegung scheint dem Geheimdienst ein Dorn im Auge zu sein“, erklärte Jelpke gegenüber Dilan Rewşen von der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. „In der Broschüre wird eine angebliche Allianz zwischen der PKK und der Linkspartei behauptet. Natürlich beteiligen wir uns als Partei an Demonstrationen gegen den Krieg in Kurdistan und DIE LINKE. setzt sich auch im Bundestag für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, gegen Waffenlieferungen an die Türkei und für eine Aufhebung des PKK-Verbots ein. Das versucht der Verfassungsschutz uns nun als PKK-Unterstützung und Einflussnahme der PKK auszulegen. Diese Herangehensweise kennen wir von Erdoğan, der mit solchen Behauptungen die Politik der HDP-Abgeordneten im türkischen Parlament kriminalisiert. Ich werde der Bundesregierung eine ausführliche Kleine Anfrage zu dieser Broschüre stellen. Denn ich möchte schon wissen, wer so einen Mist schreibt und welche Quellen er dazu benutzt hat.“

„Weiterer Grund für die Auflösung des Verfassungsschutzes“

Rechtsanwalt Berthold Fresenius macht nach der Lektüre der Broschüre auf die Forderung nach Auflösung des Verfassungsschutzes im Hinblick auf die Verwicklungen in den NSU-Komplex aufmerksam: „Betrachtet man die Broschüre ‚Arbeiterpartei Kurdistans PKK‘ vom Bundesamt für Verfassungsschutz aus dem Februar 2019 könnte ein weiterer Grund für diese Forderung hinzukommen. Das intellektuelle Niveau der Broschüre kann nur als peinlich bezeichnet werden, die Ignoranz gegenüber der Realität ist erschreckend. Man wird den Verfassern nicht vorwerfen können, die politische Sichtweise des NATO-Verbündeten Türkei zu übernehmen, dies ist schließlich der vorgegebenen Rahmen, aber zumindest hätte man erwarten können, dass die Auseinandersetzung mit der politischen Ideologie der PKK auf einem ansatzweise wissenschaftlichen Niveau hätte geführt werden sollen. Ob das Titelbild der Broschüre auf Unkenntnis oder auf der gezielten Feindrichtung gegenüber allen Kurden beruht, ist schwer zu entscheiden. Die dort abgebildete Fahne ist die kurdische Nationalfahne seit dem Ararat-Aufstand, also ein kurdisches Symbol und keine Parteifahne der PKK.“

Kurden als Störfaktor der internationalen Politik

Berthold Fresenius weist darauf hin, dass die Bundesregierung die Kurden zwar mehr als Störfaktor der internationalen Politik betrachtet, gleichwohl aber sehr genau differenziert. „Bekämpft werden die fortschrittlichen und imperialistischen Interessen entgegenstehenden Organisationen. In der Broschüre des Verfassungsschutzes heißt es, die PKK sei von Elementen getragen, die vom Islam, Clanstrukturen sowie strengen Moral- und Ehrvorstellungen abgeleitet würden: Ein völlig unbestimmtes Sammelsurium von Begriffen, mit dem eine je nach politischen Vorgaben ausgewählte Gruppe von Kurden gefasst werden kann. Statt sich in derart nebulösen Kriterien zu verlieren, hätte der Verfassungsschutz schlicht die Ausführungen zu den grundlegenden Gedanken des demokratischen Konföderalismus  zur Kenntnis nehmen sollen. Eine basisdemokratische Ideologie, die alle Menschen unabhängig von ihrer Ethnie, ihrem Geschlecht und ihrer Religion als gleichberechtigte Wesen betrachtet, lässt sich halt nicht so einfach mit den ideologischen Schablonen des Verfassungsschutzes denunzieren.“

Widersprüche aufgrund politischer Interessenlage

Nach Ansicht des Berliner Rechtsanwalts Lukas Theune werden in der Broschüre „zahlreiche kurdische Gruppen durcheinander und zusammengeworfen; alle werden als verfassungsfeindlich bezeichnet. Der Verfassungsschutz tut außerdem so, als ob die kurdische Bewegung in den letzten 20 Jahren keinen enormen Wandel gezeigt hätte, während uns auf der anderen Seite die Berliner Generalstaatsanwaltschaft sagt, die Frauenbewegung sei autonom und gleichberechtigt. Diese Widersprüche lassen sich nur mit der jeweiligen politischen Interessenlage und nicht mit tatsächlichen Ermittlungen erklären.“

Abweichende Gerichtsentscheidung in Düsseldorf

Zu der Feststellung in der Broschüre, dass der kurdische Dachverband NAV-DEM beispielhaft „für eine vom BGH beschriebene unselbstständige (Teil-)Vereinigung der PKK" stehe, erklärt Theune:

„Der BGH hat damals vor allem gesagt, die PKK in Europa sei nicht gegenüber der PKK im Nahen Osten selbstständig, sondern ein Teil davon. Dies vermischt der Verfassungsschutz bewusst. Die Vereine, die sich zu NAV-DEM zusammengeschlossen haben, sind in den jeweiligen Städten in einer Vielzahl von Arten aktiv, bieten Sprachkurse und Beratung an. Es ist einigermaßen absurd zu behaupten, diese Vereine seien ein Teil der PKK.“ Damit setze sich der Verfassungsschutz auch in Widerspruch zu der Gerichtsentscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6. Februar 2019, so Rechtsanwalt Lukas Theune.