Deutschland hat ein Kurdenproblem

Selbstverbrennung, Polizeigewalt, Verlagsverbote – Deutschland hat ein Kurdenproblem.

Am 20. Februar stieß ich auf der Webseite des Spiegels auf folgende Schlagzeile: „Krefeld: Mann zündet sich vor Gerichtsgebäude an – Lebensgefahr“. Gleich darunter erfuhr man: „Ein 43-Jähriger hat sich vor dem Gerichtszentrum in Krefeld selbst angezündet. Im Vorfeld hatte es Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Mannes gegeben.“ Anstatt, wie in deutschen Medien häufig der Fall, auf die ethnischen Hintergründe von Geflüchteten zu verweisen, fehlte in dieser Meldung jeglicher Hinweis auf die Identität des Mannes.

Kurz darauf erschien auf der Seite der Nachrichtenagentur ANF eine Meldung zu dem Vorfall. Aus ihr ging hervor, dass es sich bei dem Mann um den aus Dersim stammenden Uğur Şakar handelte. Dieser hatte, laut der ANF-Meldung, einen Brief hinterlassen, bevor er sich selbst anzündete. In seinem Brief protestierte er gegen die Isolation Abdullah Öcalans, grüßte die hungerstreikenden Aktivistinnen und Aktivisten in Straßburg und verurteilte neben der Polizeigewalt gegen Kurdinnen und Kurden in Deutschland auch den politischen Druck auf die kurdische Community im Land.

Uğur Şakar hatte eine Woche zuvor an einem „Langen Marsch“ teilgenommen, der von Mannheim nach Straßburg führte. Als die Polizei in Karlsruhe brutal gegen die Demonstration vorging, war er vor Ort. Am selben Tag protestierte er auf Twitter gegen das Verbot des Innenministeriums, mit dem der Mezopotamien-Verlag und der Musikvertrieb Mir Multimedia geschlossen wurden. Am 15. Februar, dem 20. Jahrestag der international organisierten Verhaftung Abdullah Öcalans, stand Uğur Şakar als Angeklagter in Krefeld vor Gericht.

Politik und Medien in Deutschland waren schnell darum bemüht, die politischen Hintergründe von Şakars Protest zu verschleiern, indem er als „psychisch krank“ bezeichnet wurde. Anstatt über seine Beweggründe zu berichten, die er in dem oben erwähnten Brief dargelegt hatte, wurden in der Medienberichterstattung irrelevante Informationen aus seinem Privatleben in den Vordergrund gestellt. Die Durchsuchung seiner Wohnung und die Befragung seines Umfeldes durch die Polizei vermittelten den Eindruck, man habe es mit einem Schwerverbrecher zu tun.

Wer versucht, sich in Uğur Şakar hineinzuversetzen, kann sich die Wut vorstellen, die er in den Tagen vor seiner Selbstverbrennung empfunden haben muss. Dafür ist es nicht zwangsläufig nötig, ihn persönlich zu kennen. Zweifelsohne liegt die Wut Şakars zu einem bedeutenden Teil in der Kriminalisierungspolitik des deutschen Staates gegen die kurdische Freiheitsbewegung begründet, die seit 30 Jahren unvermindert andauert. Damit einher geht ein starkes Gefühl von Ungerechtigkeit und Verlogenheit, das Menschen krank machen kann. Hinzu kommt die anmaßende Haltung Deutschlands, vor 100 Jahren dem Osmanischen Reich bei der Niederschlagung der kurdischen Aufstände geholfen zu haben und diese Politik heute in Form von ununterbrochenen Waffenlieferungen in die Türkei fortzusetzen.

Es ist eine Anmaßung, mithilfe des Paragrafen 129b „ausländische Terrororganisationen“ und außerhalb von Deutschland begangene „Terrorakte“ im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes juristisch zu verfolgen und zugleich zu erklären, die in Rojava inhaftierten deutschen IS-Kämpfer in Deutschland nicht vor Gericht stellen zu können. Angeblich sind die Verbrechen der deutsche IS-Mitglieder juristisch nur schwer zu verfolgen und die Taten zudem außerhalb Deutschlands begangen worden. All das sagt dieselbe deutsche Bundesregierung, die noch im vergangenen Sommer dazu in der Lage war, einen der Vergewaltigung verdächtigten Mann ohne internationalen Haftbefehl und unter Umgehung der offiziellen Prozedur in Hewlêr (Erbil) festzusetzen und nach Deutschland auszufliegen. Vergessen sei an dieser Stelle auch nicht das Düsseldorfer Verfahren, für das Anfang der 1990er Jahre spezielle Gerichtsräumlichkeiten gebaut wurden, um vermeintliche PKK-Funktionäre zu verurteilen.

Dieser deutsche Staat also, der zu derart fragwürdigen juristischen Maßnahmen in der Lage ist, sieht sich nun nicht dazu in der Lage, 42 deutsche Staatsbürger von Nordsyrien nach Deutschland zurückzuführen. Diese 42 Personen werden derzeit von den QSD (Demokratische Kräfte Syriens) festgehalten. Sie hatten sich zuvor von Deutschland aus dem IS angeschlossen. Zusammen mit ihren Kindern geht es um mehr als 100 Menschen.

Den 20. Jahrestag der Inhaftierung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999 beging der deutsche Verfassungsschutz mit einer 40-seitigen Broschüre über die PKK. In ihr werden die unterschiedlichen friedlichen Aktivitäten der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland als kriminell dargestellt, was den Verfassungsschutz am Ende der Broschüre dazu veranlasst, die Fortsetzung der feindseligen Politik gegenüber der kurdischen Community zu verkünden.

Eines wird deutlich: Deutschland hat ein Kurdenproblem. Es kann kein Zufall sein, dass sich die meisten Selbstverbrennungen von im Ausland lebenden Kurdinnen und Kurden in Deutschland abgespielt haben. Ist das nicht bedenklich? Werden die deutsche Bundesregierung, die Medien und die Gesellschaft in der Lage sein, sich dieser Frage zu stellen ohne sich den gewohnten Anmaßungen und unmoralischen Reflexen hinzugeben? Werden die Institutionen und Menschen in Deutschland nach 30 langen Jahren erkennen können, welch zerstörerisches Ausmaß die Feindschaft gegenüber der kurdischen Freiheitsbewegung angenommen hat?

Im Original erschien der Artikel am 26. Februar 2019 unter dem Titel „Almanya’nın bir Kürt sorunu var” in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Die Übersetzung erfolgte durch Civaka Azad.