Der Rechtshilfefonds AZADÎ, der Verein für Demokratie und Internationales Recht (MAF-DAD) und die Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans (KAWA) haben zusammen eine regionale Tagung im Frankfurter Titusforum organisiert. Thema war die Kriminalisierung von Kurd:innen in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Arno-Jermaine Laffin begrüßte die Teilnehmer:innen im Namen von AZADÎ und sagte, das Anliegen der Veranstalter:innen sei es, Aktivist:innen, Betroffene der Kriminalisierung, Rechtsanwält:innen und solidarische Interessierte in den direktem Austausch miteinander zu bringen und gemeinsam Möglichkeiten der Gegenwehr zu diskutieren.
Mehmet Çoban, Ko-Vorsitzender der Föderation KAWA, stellte in seiner Begrüßungsrede dar, wie sehr die Kriminalisierung kurdischer Aktivist:innen und Vereine die Migrantenselbstorganisation von Kurd:innen auf regionaler und lokaler Ebene erschwert. Es gehe den Vereinen der Föderation darum, kulturelle, soziale und politische Rechte einzufordern und sich für sie stark zu machen. Für dieses Engagement seien sie fortwährend juristischen Angriffen ausgesetzt. Daher sei es wichtig, dass die Tagung stattfinde und miteinander diskutiert werde, um Lösungen zu finden. Dieser Aufforderung folgten die 80 Teilnehmer:innen und diskutierten in drei Sitzungen mit verschiedenen Podien die aktuelle Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in der Region, was sie für Betroffene tatsächlich bedeutet und was gegen sie getan werden kann.
Die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe, die neben dem Multikulturellen Freundschaftsverein Frankfurt die Tagung unterstützte, betonte in ihrem Grußwort die Breite der Kriminalisierung und versicherte der kurdischen Bewegung ihre Solidarität.
„Deutschland bezieht aktiv Stellung im Kurdistan-Konflikt auf Seiten des türkischen Staats“
Die erste Sitzung hatte das Ziel, die Kriminalisierung rechtlich und politisch einzuordnen. Rechtsanwalt Stephan Kuhn sprach über die seit 2013 stattfindenden Strafverfahren, die wegen des Vorwurfs der „mitgliedschaftlichen Betätigung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ nach §§ 129a, 129b StGB gegen vermeintliche PKK-Mitglieder geführt werden. Mit diesen Strafverfahren schütze die BRD nicht mehr die Sicherheit und Ordnung in Deutschland, sondern sie beziehe aktiv Stellung im Kurdistan-Konflikt auf Seiten des türkischen Staats. Vorgeworfen würden den Angeklagten keine eigenen Taten, sondern die sogenannten Bezugstaten in der Türkei und zunehmend sogar im Nordirak. Die Türkei führe dort völkerrechtswidrige Angriffskriege, Kampfhandlungen der Guerilla in den folgenden Auseinandersetzungen würden aber von deutschen Gerichten als „Terrorismus“ bewertet. Die Ermächtigung zur Verfolgung nach §§ 129a, 129b StGB, die das Bundesjustizministerium erteilt, ohne sie begründen zu müssen, sei eine rein politische Entscheidung. Das werde dadurch deutlich, dass neben islamistischen Gruppen, die tatsächlich Anschläge auch in Europa verübten, ausschließlich linke Organisationen nach den Terrorismus-Gesetzen verfolgt würden.
Polizeiliches Gefahrenabwehrrecht gegen „Bedrohung“ durch „Ausländer“
Rechtsanwalt Markus Künzel stellte im Anschluss sehr anschaulich die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen dar, die Kurd:innen – und Andere – ohne deutsche Staatsangehörigkeit treffen können. Dabei stellte er zunächst fest, dass das sogenannte Ausländerrecht polizeiliches Gefahrenabwehrrecht ist und der:die Ausländer:in von der Ausländerbehörde zuallererst als potentielle Gefahrenquelle gesehen werde. Ein Hinweis der Polizei wegen der Anmeldung einer Versammlung beispielsweise oder ein Hinweis des Verfassungsschutzes reichten bereits, die Betroffenen als Extremisten einzustufen. Dies führe zu einem Sicherheitsgespräch bei der Ausländerbehörde, in dem der:die Betroffene beweisen müsse, dass er:sie nicht extremistisch sei, während die Akten der Ausländerbehörde dem Rechtsbeistand des:der Betroffenen nur geschwärzt zur Verfügung gestellt würden. Häufig müssten die Betroffenen gegen die Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln oder die folgende Ausweisungsverfügung klagen und seien über Jahre mit einschneidenden Auflagen belastet, wie regelmäßige Meldepflichten oder Beschränkungen der Bewegungsfreiheit.
Akbulut: „Ich werde vom Verfassungsschutz beobachtet“
Als letzte Rednerin der ersten Sitzung erzählte die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut von ihren eigenen Erfahrungen mit der Kriminalisierung und den Möglichkeiten parlamentarischer Opposition, Einfluss zu nehmen. Ihr eigener Antrag auf Einbürgerung sei zunächst abgelehnt worden, mit der Begründung, sie habe sich Jahre zuvor an einer Unterschriftenkampagne beteiligt. Nur weil sie sich gegen diese Entscheidung gewehrt habe, sei es ihr gelungen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Auch während ihrer Tätigkeit als Stadträtin in Mannheim und sogar, nachdem sie 2017 als Abgeordnete für die Partei DIE LINKE in den Bundestag eingezogen war, werde sie weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet. Gerade deshalb sei es aber wichtig, die parlamentarischen Mittel zu nutzen und die kurdische Bewegung, die eine entscheidende Kraft für Demokratie, Frauenrechte und Frieden im Nahen Osten sei, zu unterstützen.
„Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir alle“
Die zweite Sitzung, die unter dem Titel „Repression trifft Einzelne, gemeint sind wir alle“ stand, widmete sich den Erfahrungen und Perspektiven derjenigen, die von der Kriminalisierung selbst betroffen sind. Als erster Redner war Mazhar Turan per Video-Call zugeschaltet. Er selbst war nach §§ 129a, 129b StGB vom OLG Koblenz zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Er berichtete von seiner überfallartigen Festnahme auf dem Weg zur Arbeit, von der Zeit in Untersuchungs- und Strafhaft und den erniedrigenden Behandlungen als Gefangener, von dem Gerichtsverfahren, das trotz schwerwiegender gesundheitlicher Probleme rücksichtslos durchgeführt worden sei, und der Zeit seit der Entlassung. Vielen Maßnahmen, die Markus Künzel zuvor im Falle von ausländerrechtlichen Verfahren beschrieben hatte, ist Mazhar Turan als ehemaliger Gefangener ebenfalls ausgesetzt. Er darf den Landkreis, in dem er lebt, nicht ohne Genehmigung verlassen, muss sich regelmäßig bei der Polizei melden und darf zu einer Reihe von Personen keinen Kontakt haben.
Elif Kalkan, die zweite Rednerin, war vor der Verfolgung durch das AKP-Regime aufgrund ihres politischen Engagements aus Nordkurdistan nach Deutschland geflüchtet. In Frankfurt angekommen, betätigte sie sich im Kurdischen Gesellschaftszentrum. Doch wegen desselben Engagements, wegen dem sie in ihrer Heimat verfolgt wurde – politischer, legaler Arbeit in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen – wurde sie auch in Deutschland aufenthaltsrechtlichen Restriktionen unterworfen. Ein politischer Mensch, der sich nach demokratischen Werten richtet, wird auf diese Weise zur Passivität und Entpolitisierung gezwungen.
Firat Turgut, Aktivist im Kurdischen Gesellschaftszentrum in Darmstadt, berichtete von seinen Erfahrungen als Anmelder einer Etappe des „Langen Marschs“ für die Freiheit Abdullah Öcalans von Frankfurt nach Saarbrücken. Die Versammlungsbehörden hatten das Zeigen von Bildern Abdullah Öcalans auf diesem Abschnitt des Weges vollständig verboten. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg. Stattdessen waren die Veranstalter:innen des Protestmarschs gezwungen kreativ zu werden und thematisierten das Bilderverbot während der Versammlung. Besonders absurd wirkt die Entscheidung der Darmstädter Versammlungsbehörde und des Verwaltungsgerichts dadurch, dass auf der späteren Etappe im Saarland alle Bilder und Fahnen Abdullah Öcalans erlaubt waren. Dieses Beispiel ist bezeichnend für die Willkür und Rechtsunsicherheit, die die Verbote von Symbolen mit Kurdistan-Bezug ausmachen.
Während der anschließenden Diskussion ergriffen mehrere Teilnehmer:innen das Wort, um von sich selbst oder Menschen in ihrem Umfeld zu berichten, die Repression ausgesetzt sind oder waren.
Erfolgreiche Kämpfe gegen Symbol-Verbote im Saarland
In der letzten Sitzung berichtete Roland Röder von der Aktion 3. Welt Saar über die Arbeiten seiner Organisation gegen das PKK-Verbot. In den letzten sechs Jahren sei es im Saarland nicht nur gelungen, das Verbot von Symbolen der kurdischen Bewegung auszuhebeln, indem die politischen Kosten für die Kriminalisierung so hoch getrieben worden seien, dass die Landesregierung kein Interesse an der Durchsetzung von Verboten habe, sondern auch die regionale Presse sei auf die Selbstorganisierung von Kurd:innen aufmerksam geworden und frage das Kurdische Gesellschaftszentrum in Saarbrücken regelmäßig wegen Pressestatements an.
Nach dem Sammeln von Lösungsvorschlägen und einer kurzen Diskussion von Ideen beendete Roland Röder die dritte Sitzung, indem er einen kurdischen Freund zitierte, der vor Jahren auf einer Versammlung gesagt hatte: „Die Geschichte wird zeigen, dass wir recht haben.“ Die Teilnehmer:innen beantworteten dieses Zitat mit Beifall und viel Zustimmung.
An der Tagung nahmen auch Aktivist:innen des Volksrats der Eelam Tamil:innen in Deutschland teil. Sie trugen zwischen zwei Sitzungen eine Erklärung des Volksrats zu einem anstehenden Gerichtsverfahren vor und betonten, wie wichtig es für unterschiedliche migrantische Communities und politische Bewegungen sei, voneinander zu lernen und dafür stärker in den Austausch zu gehen. Kommenden Mittwoch, den 19. April 2023, findet am Amtsgericht Tiergarten in Berlin ein Strafprozess gegen einen Eelam Tamilen statt, dem vorgeworfen wird, die tamilische Nationalfahne gezeigt und damit Kennzeichen einer terroristischen Organisation verwendet zu haben.
Gemeinsam gegen die Repression
Nach drei ähnlichen Tagungen 2019 in München, 2020 in Hannover und 2022 in Köln war die Veranstaltung in Frankfurt die vierte Regionaltagung, die auf Initiative von AZADÎ stattfand. Sie hat erneut gezeigt, wie wichtig es ist, einen Raum für den Austausch zwischen den verschiedenen Akteur:innen, die sich nur gemeinsam erfolgreich gegen die Repression wehren können, zu schaffen.