„Die kurdische Frage betrifft uns alle, das Verbot ist der Beweis“

ANF hat mit Dilan Akdoğan vom Verein für Demokratie und internationales Recht MAF-DAD e.V. über die Vorbereitung einer Tagung gegen die Kriminalisierung von Kurd:innen in der Region Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland gesprochen.

Am kommenden Sonntag, den 16. April, veranstaltet MAF-DAD gemeinsam mit dem Rechtshilfsfonds AZADÎ und der Demokratischen Föderation der Gesellschaften Kurdistans (KAWA) in Frankfurt am Main eine Tagung gegen die Kriminalisierung von Kurd:innen in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Kannst du die drei Veranstalter:innen bitte kurz vorstellen?

AZADÎ und MAF-DAD arbeiten seit Jahren zum Thema Kriminalisierung von Kurd:innen zusammen und führen zur juristischen Aufarbeitung Veranstaltungen durch. Vor einigen Jahren entstand dabei die Idee, die Tagungen mit einem regionalen Bezug zu verknüpfen und damit die verbreitete Betroffenheit sichtbarer zu machen.

AZADÎ entstand im April 1996 aus einer Initiative heraus und setzte sich zum Ziel, die Kriminalisierung zu dokumentieren und die Betroffenen materiell und immateriell zu unterstützen. Seitdem leistet AZADÎ eine sehr wertvolle Arbeit. Der Rechtshilfefonds beteiligt sich nicht nur an Anwalts- und Prozesskosten, deren Last für die Betroffenen nicht zu unterschätzen ist, sondern vermittelt und finanziert Zeitungsabonnements für inhaftierte Kurd:innen, schickt Gefangenen Bücher, Kassetten oder CDs. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, sind für Außenstehende kaum erkennbar. AZADÎ begleitet seit seiner Gründung die politischen Strafverfahren gegen Kurd:innen solidarisch.

Wie bereits eingangs erwähnt, treffen AZADÎ und MAF-DAD bei dem Thema der Kriminalisierung von Kurd:innen in Deutschland zusammen.

MAF-DAD e.V. gründete sich 2006 durch das Zusammenkommen von deutschen, türkischen und kurdischen Jurist:innen mit der Zielsetzung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, z.B. Kriegsverbrechen gegen Kurd:innen juristisch und politisch zu verfolgen, gegen Inseln der Rechtlosigkeit wie Guantanamo und Imrali zu kämpfen, gegen Isolations- und andere entwürdigende Haftbedingungen vorzugehen. MAF-DAD setzt sich gegen alle Antiterrorgesetzgebungen ein, die genutzt werden, um demokratische Errungenschaften wieder abzuschaffen. Auch die Kriminalisierung von Kurd:innen in Deutschland erfolgt genau mithilfe eines solchen Instrumentariums und schränkt insbesondere die Organisierungs-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Recht auf politische Betätigung ein. Zuletzt stellte MAF-DAD einen Antrag beim Bundesinnenministerium auf Aufhebung des PKK-Verbots, das die Grundlage für die Verfolgung von Kurd:innen in Deutschland darstellt. Dieser Antrag ist noch anhängig.

Die Demokratische Föderation der Gesellschaften Kurdistans – KAWA – ist die regionale Dachverbandorganisation von verschiedenen kurdischen Vereinen aus Frankfurt, Gießen, Mannheim, Mainz, Aschaffenburg, Saarbrücken u.a. Die Vereine, die auch als Gesellschaftszentren bezeichnet werden, dienen als Orte der Zusammenkunft für die kurdische Gesellschaft, stellen aber zugleich auch Orte dar, in denen politische, integrative und soziale Tätigkeiten organisiert werden.


Warum habt ihr euch entschieden, eine gemeinsame Tagung zu veranstalten? Welche Anliegen verfolgt ihr mit dieser Tagung? Wen wollt ihr damit erreichen?

Wir haben uns für eine gemeinsame Tagung entschieden, da das Unrecht, das den Kurd:innen in Deutschland widerfährt, weiter effektiv bekämpft werden kann, wenn die Bevölkerung in Deutschland sich der entrechtenden Sonderbehandlung von Kurd:innen bewusst ist.

Um die regionalen Verfahrensweisen der einzelnen Bundesländer genauer zu analysieren und überhaupt sichtbar zu machen, war es wichtig, mit denjenigen zusammen zu kommen, die die Realität der Betroffenen vor Ort nicht nur kennen, sondern selbst betroffen sind. So kam die Zusammenarbeit mit KAWA zustande.

Mit der Tagung in Frankfurt wollen wir zum einen die Hintergründe und machtpolitischen Interessen hinter der Repression gegen die kurdische Bewegung beleuchten. Dazu laden wir Rechtsanwält:innen und Politiker:innen ein, die sich mit der Kriminalisierung auseinandersetzen. Zum anderen wollen wir die mit der Repression verbundene Situation von Kurd:innen und solidarischen Menschen in der Region Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland aufzeigen und ihnen Raum geben, ihre Erfahrungen zu teilen.

Wir wollen aber auch Nicht-Betroffene mit dieser Tagung erreichen. Denn auch wenn es auf dem ersten Blick den Anschein haben könnte, dass es nur eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung betrifft, geht es hierbei um die Verteidigung von Freiheitsrechten aller. Wir sind der Auffassung, dass die Aufhebung des PKK-Verbotes den demokratischen Diskurs in der BRD stärken wird und das Demokratiedefizit, welches durch das Verbot seit 1993 aufrechterhalten wird, überwunden werden kann. Deswegen sprechen wir auch explizit Institutionen, Gruppen, Organisationen sowie Aktivist:innen aus der Zivilgesellschaft an, damit diese v.a. die sozialen Folgen dieser Repressionspolitik gegenüber der kurdischen Gesellschaft wahrnehmen können und ein gemeinsamer Diskurs zur Überwindung dieser Situation stattfinden kann.

Das sind ja auf den ersten Blick ziemlich unterschiedliche Zielgruppen. Wie wollt ihr sie inhaltlich zusammenbringen? Was für ein Programm erwartet die Teilnehmer:innen?

Im Grunde vereint all diese Gruppen ein Ziel, nämlich eine bessere Welt und gesellschaftliche Veränderungen zu schaffen. Und genau an diesem Punkt möchten wir anknüpfen. Die kurdische Frage betrifft uns alle und die Aufrechterhaltung des Verbotes ist der Beweis dafür. Eine Aufhebung des Verbots würde nicht nur zu einer Demokratisierung in der BRD beitragen, sondern auch dem türkischen Staat die Legitimationsgrundlage für seine völkerrechtswidrigen Kriege entziehen, was auch Folgen für die BRD haben würde.

Die Teilnehmenden werden durch erfahrene Rechtsanwält:innen und Politiker:innen in die Thematik mit einer rechtlichen und politischen Einordnung der Kriminalisierung eingeführt. Dabei wird es sowohl um strafrechtliche als auch migrationsrechtliche Repression gehen. Anschließend werden Betroffene die konkrete Ausgestaltung der Repressionen und ihre Auswirkungen auf andere Lebensbereiche darstellen. Abschließend wollen wir gemeinsam über die Möglichkeiten der politischen Gegenwehr und praktizierter Solidarität diskutieren. Es geht uns vor allem um eine rege Diskussion und neue Impulse, die alle Teilnehmenden in ihre Arbeitsbereiche mit zurücknehmen können.

Die Tagung in Frankfurt ist die vierte ihrer Art innerhalb von fünf Jahren. In Bayern, Niedersachsen und Bremen sowie Nordrhein-Westfalen haben bereits ähnliche Tagungen stattgefunden, auf denen über regionale Besonderheiten der Repression gegen die kurdische Bewegung diskutiert wurde. Habt ihr bereits eine Vorstellung, was in Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland für regionale Besonderheiten bestehen?

Die Repression hat in den letzten Jahren in dieser Region enorm zugenommen, was auch der Grund dafür ist, dass wir eine regionale Konferenz für Aufklärungsarbeiten in dieser Region als bitter notwendig erachtet haben.

Im Saarland gab es beispielsweise letztes Jahr im Oktober vier Hausdurchsuchungen bei kurdischen Familien.

In Hessen beobachten wir seit längerem, dass die schwarz-grüne Landesregierung vermehrt kurdische Geflüchtete, die wegen ihres Engagements für die HDP in der Türkei verfolgt wurden, abschieben will. In Frankfurt findet zurzeit seit langem wieder ein Verfahren nach § 129b StGB gegen den kurdischen Aktivisten Abdullah Öcalan statt, am 24. April beginnt am OLG Frankfurt ein Verfahren gegen Ali Özel.

Auch in Koblenz laufen seit einiger Zeit ständig § 129b-Verfahren und in der JVA Koblenz und der JVA Wittlich sind gleich mehrere Kurd:innen inhaftiert.

Das sind so regionale Besonderheiten, wobei auffällig ist, dass jedes dieser Bundesländer eine eigene Strategie bezüglich der Repression verfolgt. Was in einem Bundesland als Straftat bewertet und verfolgt wird, kann in einem anderen Bundesland anders beurteilt werden. Über diese rechtliche Willkür und die Diskrepanzen möchten wir auch auf der Tagung reden.

Zuletzt noch eine Frage zur Tagung selbst: Wann und wo findet sie überhaupt statt? Gibt es irgendwelche Voraussetzungen für die Teilnahme?

Die Tagung findet dieses Wochenende statt, am Sonntag, den 16. April 2023, ab 10.00 Uhr im Titus-Forum am Walter-Möller-Platz 2 in Frankfurt am Main. Über eine Anmeldung im Vorfeld per Mail an [email protected] würden wir uns sehr freuen. Ebenso würden wir uns sehr freuen, wenn alle Interessierten nochmal Werbung für die Tagung machen würden, damit möglichst Viele gemeinsam dieses wichtige Thema, das uns alle angeht, diskutieren können.