Patriarchale Gewalt in Uniform als Mittel des Spezialkriegs

Gewalt gegen Frauen ist ein integraler Bestandteil des Spezialkriegs in Kurdistan. Vergangenes Jahr häuften sich die Angriffe von Tätern in Uniform gegen Frauen. Die Angriffe reichen von Morddrohungen über sexualisierte Gewalt bis hin zum Femizid.

Der türkische Staat setzt in seinem Spezialkrieg in Kurdistan auf schmutzige Mittel, um die Gesellschaft zu zerstören. Neben der kulturellen Assimilierungspolitik sind Soldaten, Polizisten, Dorfschützer, Wächter, Gefängnisaufseher und ähnliche uniformierte Staatsdiener damit beauftragt, insbesondere junge Menschen in den Sumpf der Prostitution und des Drogenmissbrauchs zu ziehen. Junge Frauen werden mit Liebes- und Heiratsversprechen zu Fall gebracht.

Nach Angaben der Frauenbewegung TJA (Tevgera Jinên Azad) haben im vergangenen Jahr 75 Frauen von sexualisierten Angriffen und Gewalt durch Uniformierte berichtet. Eine besondere Rolle spielt dabei das Internet. In Kurdistan lebende junge Frauen werden in digitalen Netzwerken von Uniformierten verfolgt und belästigt. Gehen die Frauen nicht darauf ein, wird ihnen damit gedroht, ihre Familien über angebliches Fehlverhalten zu informieren. Kurdistan ist Kriegsgebiet und diese Politik, die gegen Frauen und Minderjährige angewandt wird, dauert seit den 1990er Jahren an. Ein Beweis dafür, dass es sich um eine Spezialkriegspraxis handelt, ist die Tatsache, dass uniformierte Täter strafrechtlich nicht sanktioniert werden.

Vergewaltiger in staatlicher Uniform

Der Unteroffizier Musa Orhan hat die 18-jährige Ipek Er aus Êlih (tr. Batman) im Internet kennengelernt. Ipek Er beging Selbstmord, nachdem sie von Orhan vergewaltigt wurde. Sie hinterließ einen Brief, in dem sie den sexualisierten Angriff detailliert beschrieb. Der Täter wurde angeklagt und nach wenigen Tagen freigelassen. Vor Gericht verwickelte er sich in Widersprüche und wurde nach öffentlichen Protesten suspendiert. Sein Rechtsanwalt beschuldigte Ipek Ers Vater, nicht auf seine Tochter aufgepasst zu haben.

Der verdächtige Tod von Merve A.

Die 18-jährige Merve A. wurde im Januar 2021 in einer Tagespension in Çewlîg (Bingöl) tot aufgefunden. Angeblich soll sie Selbstmord begangen haben. Vor ihrem Tod rief sie ihre Tante an, um ihr zu sagen, dass sie mit einem Unteroffizier von Zuhause weggelaufen ist und beide nach Manisa in die Westtürkei gehen wollen. Ihre Eltern hatten sie zuvor bei der Polizei als vermisst gemeldet, weil sie ihre Tochter nicht erreichen konnten. Obwohl Merve A. somit polizeilich registriert war und es Aufnahmen von ihr beim Betreten der Pension gab, wurde die Familie nicht informiert. Angaben zufolge soll sie sich kurz nach ihrer Rückkehr zu ihrer Familie das Leben genommen haben.

Weil sie es ablehnte, Zweitfrau zu werden

Der Dorfschützer Aslan Karakaş hat seine 16-jährige Verwandte Emine Karakaş am 4. Februar 2021 in Bismîl erschossen, weil sie es ablehnte, seine Zweitfrau zu werden. Im Prozess gegen den Täter und seine wegen Beihilfe mitangeklagte Schwester Münevver Karakaş sagte die Familie von Emine Karakaş aus, dass der 37-jährige Aslan Karakaş ein verheirateter Vater von sieben Kindern ist, Emine hingegen noch sehr jung und in einen anderen verliebt gewesen sei. Die Eltern forderten die Höchststrafe für den Mörder ihrer Tochter und zogen nach Izmir.

Der Täter gehörte zu Todesschwadron

Im Bezirk Gêl (Eğil) in Amed hat Murat Ipek die 21-jährige Aleyna Avci im Februar 2021 mit einer Schusswaffe schwer verletzt. Ipek ist Chef eines paramilitärischen Dorfschützerverbands und war in den 1990er Jahren Mitglied einer Todesschwadron des türkischen Geheimdienstes JITEM. Er selbst war an Morden und Bombenanschlägen im Staatsauftrag beteiligt. Nach dem Mordversuch an der 21-Jährigen wurde er von der Militärpolizei verhört. Anschließend wurde das Verfahren aus „Mangel an Beweisen“ eingestellt.

Ipek war 1991 in einer Gruppe, die der PKK beitreten wollte, bei Şirnex festgenommen worden. Dort beging er Verrat und schloss sich dem türkischen Geheimdienst an. Er arbeitete anschließend in der Polizeidirektion von Silopiya und Şirnex und nahm an Verhören und Folterungen teil. Nach dem türkischen Angriff auf die Newrozfeiern waren 1992 in Şirnex viele Menschen festgenommen und getötet worden. Ipek tötete den am 23. März 1992 festgenommenen Studenten Bişeng Anık durch einen Kopfschuss, als dieser im Gewahrsam schlief. Anıks Leiche wurde drei Tage später mit Schnittverletzungen am Rücken und an den Fußsohlen seinem Großvater übergeben. Später wurde Ipek nach Denizli versetzt. Dort war er an einem Schusswaffenangriff auf den Fernsehsender DEHA-TV beteiligt, wurde kurzzeitig verhaftet, dann aber wieder freigelassen. 1997 räumte Ipek im Fernsehen und in den Zeitungen den Mord an Anık und die Beteiligung an  Morden „unbekannter Täter“ und Bombenanschlägen ein. Nach seiner Inhaftierung zog er seine Aussage zurück und wurde anschließend wieder freigelassen.

Sexualisierte Gewalt durch „Dorfschützer“

In Mêrdîn-Stewr (Savur) wurden am 18. Februar 2021 die Dorfschützer H.B. und R.Ç. wegen eines sexualisierten Angriffs auf eine Frau festgenommen. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurden die Dorfschützer wieder entlassen.

Terror von Ehemann und Militär

In Hezo (Kozluk) wurde Zeynep Sevim im Juli 2021 von ihrem Ehemann und dessen Bruder, einem Unteroffizier der Armee, schwer misshandelt und bedroht. Sevim war aufgrund der Misshandlungen zweimal geflohen. Jedes Mal war ihr Ehemann Samet Aktaş zu ihr gekommen, hatte sich entschuldigt und erklärt, es werde nicht wieder geschehen, Sevim solle nach Hause zurückzukommen. Dort wurden ihr die Hände gefesselt. und sie wurde in einem Stall eingeschlossen. Ihr gelang erneut die Flucht. Daraufhin terrorisierten Samet Aktaş und der Unteroffizier Cevat Aktaş, Kommandant des Militärstützpunkts von Kütahya-Tavşanlı, sie und ihre Familie telefonisch. Bei einem Angriff auf Sevims Wohnung schrie Cevat Aktaş: „Wir sind hierhergekommen, um Blut zu vergießen. Wir sind der Staat.“ Er wurde festgenommen und anschließend wieder freigelassen.

Protest der Bevölkerung verhinderte Mord

Am 20. Mai 2021 misshandelten zwei Unteroffiziere in Dersim die Kurdin Fidan Yıldırım. Sie behaupteten, sie plane einen Selbstmordanschlag, und hielten ihr eine Waffe gegen den Kopf und schlugen sie. Als die Offiziere begannen, in die Luft zu schießen, versammelten sich Hunderte am Ort des Geschehens und protestierten gegen den Angriff. Aufgrund des Protests ließen die Offiziere von Fidan Yıldırım ab. Gegen die beiden Offiziere wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, sie erhielten jedoch keine Strafe.

Teil des Spezialkriegs

Die Zunahme der Gewalt gegen Frauen in Kurdistan ist Bestandteil der Spezialkriegspolitik gegen Frauen. Während in der Türkei eine „bodenständige Frau“ geschaffen werden soll, wird in Kurdistan Krieg über den Körper der Frau geführt. Zu den ältesten Taktiken des Krieges gehören Übergriffe, Vergewaltigungen und sexualisierte Angriffe. Seit den 1990er Jahren haben die Regierungen gewechselt, aber an dieser Tatsache hat sich nichts geändert. Die Übergriffe gingen immer weiter. Während Frauen vergewaltigt, auf der Straße ermordet und sexualisierten Angriffen ausgesetzt sind, hat der Staat immer die Täter geschützt, niemals die Frauen.