Kongra Star: Die Revolution von Rojava nach außen tragen

Rûken Ehmed beschreibt im Interview die diplomatische Arbeit des Frauenverbands Kongra Star in Nord- und Ostsyrien: „Wir wollen die Revolution von Rojava nach außen tragen und vor allem Frauen im Nahen Osten und in Afrika erreichen.“

Diplomatie der kurdischen Frauenbewegung

Der Dachverband der Frauenbewegung in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien, Kongra Star, kämpft in allen Bereichen des Lebens gegen Ungleichheit und Patriarchat. Rûken Ehmed ist Mitglied des Komitees für Außenkontakte und Diplomatie und hat im ANF-Interview ihre Arbeit beschrieben.


Wie organisiert das Diplomatie-Komitee seine Arbeit, welches Arbeitssystem haben Sie?

Kongra Star hat eine lange Vergangenheit als Frauenbewegung und mit der Revolution wurde damit begonnen, eigene Komitees zu organisieren. Eines davon ist das Diplomatie-Komitee, das 2013 gegründet wurde. In der ersten Zeit gab es in jeder Stadt, jeder Region und jedem Kanton Diplomatieausschüsse. In den letzten zwei bis drei Jahren gab es einige Veränderungen in der Arbeits- und Organisationsweise. Eine der Hauptaufgaben der Kongra-Star-Sprecherin ist der persönliche Kontakt mit gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen. Aus diesem Grund wurde unsere Arbeit hauptsächlich zentral abgewickelt. Alle Komitees haben eigene Arbeitsbereiche. Uns geht es darum, die Revolution von Rojava nach außen zu tragen und über den Widerstand zu informieren. Als Kongra Star haben wir Verbindungen zu anderen Frauenorganisationen aufgebaut, sowohl hier als auch im restlichen Syrien, im Nahen Osten und auf der ganzen Welt. Es gibt Vertretungen von Kongra Star im Libanon, in Europa und in Südkurdistan. Eigentlich wollten wir auch in einigen arabischen Staaten Vertretungen einrichten, aber es gibt viele bürokratische Hindernisse. Wir reisen ständig hin und her.

Welche bürokratischen Hindernisse?

Im Allgemeinen ist es für syrische Staatsangehörige schwierig, ein Büro oder eine Repräsentanz in einem anderen Land zu eröffnen. Oftmals haben wir Probleme, ins Ausland zu reisen. Wir werden zu vielen Konferenzen im Ausland eingeladen, aber wir haben Schwierigkeiten mit der Anreise. Dieses Problem ist darauf zurückzuführen, dass wir syrische Staatsangehörige sind und Syrien in vielerlei Hinsicht unter einem Embargo steht, was ein Hindernis für die Eröffnung eines Büros an einem anderen Ort darstellen kann. In der Corona-Zeit wurde die Online-Alternative etabliert. Wir wickeln jetzt viele unserer Aktivitäten auf diese Weise ab. Auch wenn wir es von hier aus nicht können, reisen unsere Vertreterinnen in Europa, im Libanon und in Südkurdistan manchmal in verschiedene Länder.

Die Revolution von Rojava ist in der ganzen Welt als Frauenrevolution bekannt. Inwieweit ist es Ihnen als Frauenbewegung in Nord- und Ostsyrien gelungen, die Revolution und die Frauen, die sie angeführt haben, nach außen zu tragen?

Es wäre ein historischer Fehler zu sagen, dass die Arbeit der Frauendiplomatie bei uns erst mit der Rojava-Revolution begann. Im Kampf der kurdischen Frauen haben Sakine Cansız und viele andere Pionierinnen wertvolle Arbeit geleistet. Es gibt eine Geschichte der Anerkennung, die durch die Arbeit dieser Freundinnen entstanden ist. In diesem Sinne können wir nicht sagen, dass alles mit uns begonnen hat, aber die Revolution in Rojava und der Kampf von Frauen wie Arîn Mîrkan haben uns viele diplomatische Türen geöffnet. Vielleicht stand zunächst die militärische Dimension im Vordergrund, der militärische Kampf wurde weltweit bekannt, aber dann waren die Delegationen und Menschen, die von außerhalb kamen und die Entwicklungen sahen, sehr effektiv. Sie konnten bezeugen, dass Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft aktiv waren. In vielen Revolutionen auf der Welt war die Beteiligung von Frauen auf eine Dimension oder einen Bereich beschränkt. In der Rojava-Revolution hat die aktive Partizipation von Frauen in allen Lebensbereichen ein großes Echo in der ganzen Welt hervorgerufen. Das hat viele Internationalist:innen dazu gebracht, sich dieser Revolution anzuschließen, und einige sind dafür gefallen. Sie haben Filme über Rojava gemacht und Dokumentationen und Bücher herausgegeben. Was sie am meisten anspricht, ist das System des Ko-Repräsentation, die fünfzigprozentige Frauenquote, die autonome Frauenorganisation, die Jineolojî und die aktive Rolle von Frauen in vielen Lebensbereichen. Wenn es keinen Kampf und keine praktische Arbeit gibt, kann auch keine diplomatische Arbeit geleistet werden. Unsere diplomatische Arbeit basiert auf unserem Kampf und unseren erkämpften Errungenschaften. Verglichen mit dem Widerstand, der hier jeden Tag geleistet wird, ist unsere diplomatische Arbeit unzureichend. Natürlich ist es wichtig, dass Kongra Star seit langer Zeit tätig ist und die Revolution anführt und dass bisher 54 Frauenorganisationen gegründet wurden. Trotzdem könnte die diplomatische Arbeit besser sein, wir haben das gewünschte Niveau noch nicht erreicht. Wenn jede Institution und Organisation diplomatische Arbeit in ihrer eigenen Dimension leisten würde, könnte die Arbeit breiter und effektiver sein. Wir haben viele Arbeitsbereiche, so etwa Gesundheit, Ökologie, Wirtschaft. Die dafür zuständigen Komitees könnten eine umfassendere und größere Arbeit leisten. Da die einzelnen Ausschüsse oder Organisationen noch keine eigene diplomatischen Kontakte und ein entsprechendes Arbeitssystem aufgebaut haben, liegt die Hauptlast dieser Arbeit bei uns.

Welche Art von Beziehungen unterhalten Sie zu feministischen Bewegungen und Frauenorganisationen in anderen Teilen der Welt?

Wir sind Mitglied vieler verschiedener Initiativen sowohl im Nahen Osten als auch weltweit. Wir nehmen über unsere Vertreterinnen an Konferenzen im Ausland teil. Unsere Vertreterin in Südkurdistan arbeitet auf nationaler Ebene, im Libanon wird sowohl mit libanesischen als auch mit palästinensischen Kreisen gearbeitet. Es gibt einige Organisationen, die uns zu Beginn der Revolution besucht haben und die weiterhin freundschaftliche Beziehungen zu uns unterhalten. Einige von ihnen kommen immer wieder. Wenn wir unsere eigene Revolution selbst erklären, ist die Außenwelt vielleicht skeptisch, aber wenn eine Frau kommt und sie selbst erlebt, versteht sie die Realität besser. Diejenigen, die kommen und es sehen, fangen nach ihrer Rückkehr an zu arbeiten. Nach dem Serêkaniyê-Krieg wurden in zwölf Ländern „Women Defend Rojava“-Komitees gegründet, Rojava wird von 25 Frauenkomitees in allen Bereichen unterstützt. Innerhalb dieser Komitees gibt es verschiedene Identitäten unterschiedlicher Herkunft. Manchmal arbeiten wir zusammen, und sie fragen nach unserer Meinung und bekommen Vorschläge von uns. Wir nehmen nicht nur an Konferenzen teil, sondern führen auch gemeinsame Aktivitäten durch. An bestimmten Tagen, wie dem 8. März oder dem 25. November, arbeiten wir zusammen. Vielleicht gibt es in der Welt einige besondere Tage, aber hier in Rojava haben wir viele Daten, die wir als besonders bezeichnen. Wir bitten sie, sich an solchen Tagen und Aktivitäten zu beteiligen.

Wie sehen die Frauen in der Welt Sie, begrüßen sie die Frauenrevolution in Rojava?

Es gibt einige feministische Bewegungen, die schon seit Jahrhunderten bestehen. Diese Bewegungen haben ein breites Spektrum an Aktivitäten für Frauen durchgeführt, aber ihre Tätigkeiten blieben partiell oder haben sich nur auf die westliche Achse beschränkt und waren nicht in der Lage, alle Frauen zu erfassen. Auch der Liberalismus hat großen Einfluss auf diese Frauenbewegungen gehabt. Die Auswirkungen sowohl des Liberalismus als auch des Kapitalismus haben dazu geführt, dass es keine starken Frauenbewegungen gibt. Natürlich sind starke weibliche Persönlichkeiten entstanden und es gab wichtige Aktionen und Tätigkeiten, aber es hat sich keine organisierte Frauenbewegung entwickelt. Das ist die Situation im Westen. In den Ländern des Nahen Ostens und Afrikas hat der gesellschaftliche Einfluss von religiösem Fanatismus, Rassismus und Sexismus die Probleme von Frauen verschärft. Beide System bieten keine Lösung an. Wenn Frauen auf der Suche nach Freiheit auf unsere Revolution aufmerksam werden, stehen sie vor der Tatsache, dass Frauen mit ihrer eigenen Perspektive, ihrem eigenen Wesen und ihrer eigenen Organisation existieren. Deshalb gibt es die Beteiligung von Internationalistinnen. Sie sehen sich selbst in dieser Revolution und finden Antworten auf ihre Fragen. Delegationen aus angeblich besonders demokratischen Ländern erklären, dass die Frauenquote bei ihnen nicht mehr als 15 Prozent beträgt. Was sie am meisten beeindruckt, ist die Tatsache, dass wir in allen Lebensbereichen gleichberechtigt vertreten sind. In der Schweiz zum Beispiel wird unser System des Ko-Vorsitzes als Lehrveranstaltung an der Universität angeboten. Es gibt nicht viele Beispiele dafür auf der Welt. In Deutschland gab es ähnliche Versuche, aber sie wurden nicht weiterentwickelt. Wir leben nach diesem Modell.

Was hat sich 2023 bei Ihrer Arbeit im Vergleich zu den Vorjahren getan?

2022 fand unsere zweite Diplomatiekonferenz statt, und auf dieser Konferenz hatten wir ein Zweijahresprogramm erstellt. Dieses Jahr wird die dritte Konferenz sein. In den letzten zwei Jahren haben wir viel Informationsarbeit geleistet, um die Angriffe und Besetzungsversuche des türkischen Staates zu dokumentieren. Wir haben die Dokumentationen in sieben Sprachen an verschiedene Länder und juristische Institutionen weitergeleitet und standen mit vielen Organisationen in Kontakt. Unser Ziel war es, die Angriffe und Massaker des türkischen Staates öffentlich zu machen, auf die Agenda zu bringen und Druck zu erzeugen. Unsere weitere Arbeit war hauptsächlich auf den Nahen Osten ausgerichtet. Wir haben am Weltfrauenmarsch teilgenommen und in der Initiative von Frauen aus dem Nahen Osten und Nordafrika gegen Massaker und Besatzung mitgearbeitet. Diese Initiative ist vor allem in Syrien, im Sudan, im Jemen, in Kurdistan und an vielen anderen Orten aktiv. Es gab auch Besuche in der ganzen Welt, unter anderem in Marokko, Ägypten und Libanon. In einigen Ländern des Nahen Ostens und Afrikas wird die Revolution von Rojava nicht richtig wahrgenommen. Weil es Hindernisse gab, konnten die Frauen nicht zu uns kommen und die Revolution besser kennenlernen. Deshalb haben wir sie besucht. Wir müssen in unserem eigenen Umfeld beginnen. Wir können unsere Revolution nicht weltweit verbreiten, ohne dies im Nahen Osten und in Afrika zu tun. Die „Jin Jiyan Azadî"-Philosophie hat sich mit unserer Revolution verbreitet und vor allem in Rojhilat und Iran großen Einfluss. Unsere grundsätzliche Perspektive ist darauf ausgerichtet, zunächst für eine politische Veränderung in Syrien und den Ländern des Nahen Ostens zu kämpfen. Der Nahe Osten ist besonders stark von einer Politik der Assimilierung, Spaltung, Massaker, Rassismus und Fundamentalismus betroffen. Darauf konzentriert sich unsere Arbeit.