Die in der Türkei inhaftierte Politikerin Sebahat Tuncel tritt am Donnerstag in einen Hungerstreik für eine politische Lösung der kurdischen Frage. Das teilte die im Oktober 2016 verhaftete Kurdin über ihren Rechtsbeistand mit. In einer von ihren Anwält:innen übermittelten Botschaft erklärte Sebahat Tuncel, dass die Gefangenen mit dem Hungerstreik versuchten, den Weg für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage zu ebnen: „Die kurdische politische Bewegung und die kurdischen Frauen kämpfen seit Jahren für eine Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei. Die antikurdische Politik der Regierung, die die Sprache, die Identität und die Kultur des kurdischen Volkes ignoriert und alle staatlichen Zwangs- und Gewaltinstrumente gegen ihre Existenz innerhalb und außerhalb des Landes einsetzt, hat dazu geführt, dass die Türkei kein Rechtsstaat mehr ist."
Die Regierung benutzt den Tod junger Menschen im Wahlkampf
Sebahat Tuncel wies darauf hin, dass in der Türkei Drogen, Mafia und Gewalt grassieren und die Gesellschaft einen moralischen und politischen Zusammenbruch erlitten hat. Die AKP/MHP-Regierung probiere alle möglichen Methoden aus, um sich an der Macht zu halten: „Die jüngsten Entwicklungen haben wieder einmal gezeigt, dass die Regierung nicht zögert, junge Menschen für ihre eigene Macht zu opfern, dass es ihr an ethischen, moralischen und sozialen Werten mangelt, und zwar so sehr, dass sie den Tod junger Menschen zu Wahlkampfmaterial macht. Die Menschen in der Türkei müssen diese Realität erkennen. Der Weg, diesem Verfall, der Korruption und der wirtschaftspolitischen Krise ein Ende zu setzen, besteht darin, die Existenz des kurdischen Volkes in der Türkei anzuerkennen und die Freundschaft und Solidarität mit dem kurdischen Volk in Nordostsyrien, der Kurdistan-Region im Irak und dem iranischen Kurdistan als Grundlage zu nehmen."
Wir verurteilen die Angriffe auf Kurdistan
Weiter erklärte Sebahat Tuncel, dass der türkische Staat alle kurdischen Errungenschaften zerstören will: „Die Türkei greift überall dort an, wo es kurdische Gewinne gibt. Sie besetzt den Nordosten Syriens und die Region Kurdistan im Nordirak. Bei den Angriffen der Türkei auf Rojava und die Region Kurdistan kommen Zivilpersonen zu Schaden und das ökologische Gleichgewicht wird gestört. Wir verurteilen die Angriffe und fordern die Türkei auf, diese Politik aufzugeben."
Der türkische Staat habe den Kurd:innen und anderen Völkern nichts anderes als Krieg und Tod zu bieten, so die kurdische Politikerin: „Es gibt jedoch die Möglichkeit eines Zusammenlebens auf der Basis von Geschwisterlichkeit, Freundschaft und Koexistenz. Der Weg dorthin führt über Dialog und Verhandlung. In diesem Zusammenhang erklärte der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan, dass er zu einer Lösung bereit sei und einen Gesprächspartner suche, wenn er die Möglichkeit habe, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Es sind nicht die Kurdinnen und Kurden, die vor einer Lösung davonlaufen, sondern die Türkei. Die Politik der Verleugnung, Zerstörung und Assimilierung, die seit Jahrhunderten gegen die Kurden betrieben wird, wird von der faschistischen Allianz AKP-MHP-Ergenekon aktualisiert und umgesetzt."
Unsere Möglichkeiten im Gefängnis sind begrenzt
Vieles hänge von der Reaktion der Arbeiterklasse und der Werktätigen der Türkei auf die Aufrufe des kurdischen Volkes für Frieden und eine Lösung ab. Gemeinsam könne man die Regierung zwingen, entsprechende Schritte zu unternehmen, erklärte Sebahat Tuncel: „Alle müssen Verantwortung für den Frieden übernehmen. Als kurdische politische Gefangene übernehmen wir diese Verantwortung. Doch unsere Möglichkeiten im Gefängnis sind begrenzt. Deshalb treten wir in einen Hungerstreik mit der Forderung nach Freilassung von Öcalan und eine demokratische Lösung der kurdischen Frage.“
Wie Sebahat Tuncel mitteilte, beteiligen sich im Frauengefängnis Sincan bei Ankara auch Mukkades Kabak und Melek Kartal an dem abwechselnd geführten Hungerstreik.
Hintergrund: Hungerstreik in türkischen Gefängnissen
In der Türkei inhaftierte Mitglieder und Sympathisant:innen der PKK und PAJK sind am 27. November zur Unterstützung der internationalen Kampagne „Freiheit für Öcalan und eine politische Lösung für die kurdische Frage" in einen Hungerstreik getreten. Der Hungerstreik wird gruppenweise im Wechsel geführt und ist vorerst befristet bis 15. Februar. Kranke und Alte sowie Gefangene mit einer Reststrafe von unter zwei Jahren werden nicht in die Aktion einbezogen. Der Gefangenensprecher Deniz Kaya rief die Gefangenen zum kollektiven Handeln und zum Verzicht auf individuelle Aktionsformen auf.
Die Erklärung zum Hungerstreik enthält eine ausführliche politische Analyse zu den Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten. Die Minimalforderung des Hungerstreiks ist die Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. Von dem PKK-Begründer und kurdischen Vordenker gibt es seit März 2021 kein Lebenszeichen mehr. „Wenn von Imrali nichts zu hören ist, ist im negativen Sinne alles denkbar. Zu dieser Annahme veranlasst uns die Tradition der Republik Türkei und das, was wir bis heute erleben. Auf Imrali wird der eigentliche Kampf geführt. Seitdem 2015 die Tore von Imrali für die Öffentlichkeit geschlossen wurden, wird das Konzept eines totalen Krieges umgesetzt. Die Gewalt der Massaker und Einschüchterungspolitik draußen ist ein Hinweis darauf, dass der Kampf auf Imrali mit gleicher Intensität geführt wird“, erklärte Gefangenensprecher Deniz Kaya, „Wo auch immer wir atmen, wir werden niemals unser Beharren auf ein freies Leben und unseren Glauben an die freie und gleichberechtigte Einheit unserer Völker aufgeben.“