Frauenforum für Erhalt der Istanbul-Konvention

In Beşiktaş haben sich Frauenrechtlerinnen zu einem Forum getroffen, um einen Aktionsplan für den Erhalt und die Umsetzung der Istanbul-Konvention zu erarbeiten. Acht Aktivistinnen wurden nach der Zusammenkunft festgenommen.

In Istanbul haben sich am Sonntag zahlreiche Frauenrechtlerinnen verschiedenster Organisationen getroffen, um einen Aktionsplan für den Erhalt und die Umsetzung der Istanbul-Konvention zu erarbeiten. Das Forum sollte eigentlich im Abbasağa-Park im Stadtteil Beşiktaş stattfinden, die Polizei sprach jedoch ein kurzfristiges Versammlungsverbot aus. Die Aktivistinnen, darunter auch die HDP-Politikerinnen Dilşat Canbaz Kaya und Elif Bulut, blieben unbeeindruckt und veranstalteten eine Demonstration bis zum Hafen. Am Schiffslandeplatz setzten sie ihr Forum wie geplant um und führten eine inhaltliche Debatte. Die Eröffnungsrede hielt die Aktivistin Tülay Korkmaz.

„Die Regierung will erkämpfte Frauenrechte aushöhlen“, unterstrich Korkmaz direkt zu Beginn ihrer Ansprache. Gerade deshalb sei das Forum von höchster Wichtigkeit. Die Kündigung der Istanbul-Konvention bedeute die Missachtung der jahrelang geführten emanzipatorischen Frauenkämpfe, die sich gegen das patriarchalische Gedankengut und konservative Rollenbilder richten. „Im Grunde ist es eine Botschaft an Männer, zu tun und zu lassen, was sie wollen.“ Durch den Diskurs der AKP steige die geschlechtsspezifische Gewalt in der Türkei nicht nur an, sie werde sogar befeuert, sagte Korkmaz. „Die Istanbul-Konvention ist unsere lila Linie, auf die wir bestehen. Würde sie umgesetzt, wären Frauen wie Pinar Gültekin und alle anderen noch am Leben. Mit der Aufkündigung des Vertrags soll patriarchale Gewalt legitimiert werden“, so Korkmaz.

„Pinar Gültekin ist unser Aufstand. Damit wir keine weniger werden: Istanbul-Konvention umsetzen!“

AKP: Konvention untergräbt traditionelle Werte

Die Istanbul-Konvention - das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - wurde 2011 vom Europarat als völkerrechtlicher Vertrag ausgefertigt und trat im Jahr 2014 in Kraft. Er gilt als Meilenstein im Kampf gegen patriarchale Gewalt und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen sowie die Präventions- und Hilfsangebote zu verbessern. Die Türkei unterzeichnete als erstes Land die Konvention und ratifizierte den Vertrag 2012 im Parlament, doch in der Praxis werden die Rechtsnormen nicht angewandt. Weder werden die vorgesehenen Hilfsangebote und Schutzmaßnahmen für Frauen realisiert, noch wird beispielsweise das Gesetz Nr. 6284, das nach Angaben der AKP-Regierung als „Schutzmantel für Frauen“ wirken soll, effizient durchgesetzt. Und das, obwohl in dem Land am Bosporus Frauenhass und Gewaltexzesse an Frauen keine Seltenheit sind, sondern das patriarchale Fundament der Gesellschaft darstellen. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen” (türk. „Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu“) 474 Femizide registriert, dennoch diskutiert die Regierung von Staatspräsident Erdoğan über einen Austritt aus der Istanbuler Konvention – weil sie traditionelle Werte „untergrabe“ und Männer zu „Sündenböcken“ mache.

Frauenbewegung kämpft auch gegen andere Gesetzesvorhaben der Regierung

Die Frauenbewegung in der Türkei, die als letzte Bastion der Hoffnung im Kampf um Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit gilt, läuft bereits seit Monaten Sturm gegen die Pläne der AKP, damit die Regierung den Verpflichtungen des Abkommens nachkommt. Zudem verlangen die Frauenorganisationen die Rücknahme eines Gesetzentwurfs, der einem Vergewaltiger Strafmilderung zusichert, wenn dieser sein Opfer heiratet. In dem erstmals 2003 entworfenen Text heißt es, sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Minderjährigen könnten rückwirkend für straffrei erklärt werden, wenn der Altersunterschied zwischen den beiden nicht mehr als fünfzehn Jahre beträgt, das Opfer den Täter nicht angezeigt hat und einer Ehe zustimmt. Das Gesetz scheiterte bislang trotz mehrmaliger Versuche am Protest der Frauenbewegung. Hier argumentiert die Regierung, die Frauenorganisationen verträten nicht die „durchschnittliche türkische Frau“.

„Damit uns kein einzelnes Haar mehr gekrümmt wird“

Die Rechtsanwältin Betül Çetin klärte die Forumsteilnehmerinnen darüber auf, dass die Istanbuler Konvention die Schaffung eines Rechtsrahmens auf internationaler Ebene ermöglicht, der Frauen vor allen Formen der Gewalt schützen und patriarchale Gewalt verhindern, strafrechtlich verfolgen und beseitigen soll. Der zuständige Expert*innenausschuss GREVIO übt das Monitoring des Vertrags aus, prüft den Grad der Umsetzung des Übereinkommens und bewertet die Situation in den einzelnen Ländern, die das Dokument ratifiziert haben. Des Weiteren erinnerte die Juristin an die weltweiten Frauenkämpfe, die den Anstoß für das Übereinkommen gaben. „Wir Frauen waren schon damals rund um den Globus auf allen Straßen und Plätzen, und leisteten Widerstand für Gesetze zum Schutz unseres Lebens. Die Istanbuler Konvention ist die Garantie für unsere Existenz, unser Leben als Frau und unsere Freiheit. Damit die gemäß des Übereinkommens zu ergreifenden Maßnahmen zum Schutz von Frauen implementiert werden, uns kein einzelnes Haar gekrümmt wird, geht unser Kampf in den Justizpalästen, auf den Straßen und in allen anderen Bereichen des Lebens weiter“, sagte Çetin.

Treffen, Panels, Social-Media-Kampagnen, Kundgebungen, Demonstrationen

In weiteren Redebeiträgen wurden Vorschläge eingebracht, wie erkämpfte Frauenrechte verteidigt werden können. Dem organisierten Frauenkampf wurde dabei eine besondere Bedeutung gegeben. Im Rahmen der Diskussion zur Erstellung der Roadmap wurde angeführt, dass es unumgänglich sei, weitere Treffen, Podiumsdiskussionen, Flugblattaktionen und Kundgebungen zu veranstalten. Es wurde beschlossen, kommenden Samstag eine Kampagne in den sogenannten sozialen Medien durchzuführen und am 5. August eine zentrale Demonstration zu veranstalten.

Festnahmen nach Forum

Nach erfolgreicher Beendigung des Forums wurden einige Teilnehmende von der türkischen Polizei verfolgt und in Cafés und auf Fähren in Gewahrsam genommen. Bisher ist von acht Festnahmen die Rede, betroffen sind die Istanbuler Vorsitzende der „Partei der Arbeit“ (Emek Partisi, EMEP) Sema Barbaros, die Aktivistinnen Tuğçe Canbolat, Tuğçe Özçelik, Rüya Kurtuluş, Feride Eralp, Fulya Dağlı und Tülay Korkutan sowie eine namentlich nicht bekannte Frau. Seit den Abendstunden werden sie auf der Wache in Beşiktaş festgehalten.