Dramatische Bilanz: 474 Frauenmorde in der Türkei

In der Türkei sind nach Angaben der Plattform KCDP im Jahr 2019 474 Frauen ermordet worden. In fast allen Fällen stammte der Täter aus dem engsten Bekanntenkreis. Die meisten Frauen wurden in der eigenen Wohnung getötet.

Die Plattform „Frauenmorde Stoppen“ (Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu, KCDP) hat einen Jahresbericht zu männlicher Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Türkei vorgelegt. Das Bündnis verweist auf die ansteigende Anzahl von Feminiziden und kritisiert, dass die Behörden sich nicht ansatzweise so stark wie Frauen für die Einhaltung von Gesetzen und der Istanbul-Konvention engagieren. Vorschriften wie beispielsweise das Gesetz Nr. 6284, das nach Angaben der AKP-Regierung als „Schutzmantel für Frauen“ wirken soll, oder die Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt), werden nicht effizient durchgesetzt.

Bilanz

Laut den von der Plattform im gesamten Jahr gesammelten Daten sind 2019 in der Türkei 474 Frauen von Männern ermordet worden. „Uns sind viele Fälle begegnet, in denen Frauen im Haus, am Straßenrand, im Meer oder an einem Flussufer auf verdächtige Weise aufgefunden wurden“, heißt es in dem Jahresbericht. Ebenso sei es zu Frauenmorden gekommen, die mit einem Brandunfall oder als Selbstmord verschleiert werden sollten. „Frauen wurden durch männliche Gewalt getötet oder verletzt, weil ihnen trotz gegenteiligem Gerichtsbeschluss kein Schutz gewährt wurde. Frauen wurden ermordet, weil sie sich trennen oder scheiden lassen wollten. Es wurden Frauen ermordet, weil sie Heiratsanträge abgelehnt haben. Auch in Schutzhäusern, in die sie vor männlicher Gewalt geflüchtet sind, sind Frauen ermordet worden. Gegen die Las-Tesis-Performance, die sich gegen patriarchale Gewalt richtet und um die ganze Welt gegangen ist, wurde in der Türkei Polizeigewalt eingesetzt, es kam zu Festnahmen.“

Täter im engen Bekanntenkreis

Allein im Dezember sind in der Türkei 42 Frauen ermordet worden. Im gesamten Jahr 2019 waren in 134 Mordfällen die Ehemänner die Täter, in 25 Fällen die Exmänner, in 51 Fällen die Lebenspartner, in acht Fällen Exfreunde, in 29 Fällen Onkel, Schwäger, Schwiegervater und in ähnlichen Verwandtschaftsverhältnissen stehende Täter, in 15 Fällen waren es die Väter, in 13 die Brüder, in 19 Fällen Bekannte. Nur drei Frauen wurden von Unbekannten ermordet.

Mordmethoden

2019 wurden laut KCDP 185 Frauen erschossen, 101 erstochen, 29 erwürgt, sechs vergiftet, 27 zu Tode geprügelt, sechs verbrannt und 19 aus der Höhe herabgestoßen.

Tatorte

292 Frauen wurden in der eigenen Wohnung ermordet, 52 auf offener Straße, neun im Auto, drei in Geschäften, zwei in Vergnügungsstätten, zwei im Krankenhaus, sechs an der Arbeitsstelle, eine in einem Café, eine in der Schule, fünf im Hotel, fünf im Park und eine an einem anderen öffentlichen Ort.

Gesetze werden nicht umgesetzt

Das Gesetz 6284 soll Frauen vor Gewalt schützen und Täter sanktionieren. Es beinhaltet ein Annäherungsverbot für Gewalttäter und Schutzmaßnahmen für die Opfer, die von materieller Unterstützung bis zu einer neuen Identität reichen und von Frauenorganisationen in langem Kampf durchgesetzt worden sind. Schon seit Jahren bemängelt die Plattform, dass das Gesetz nicht implementiert wird. Opfer erhielten wenig Unterstützung und zu oft kämen die Täter mit Strafmilderungen etwa wegen „Provokation” oder „gutem Verhalten” davon, welche die Hemmschwelle von Gewalt deutlich senken.

Wer ist die Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen!“?

Die Plattform will Frauenmorde stoppen und Frauen vor Gewalt schützen. Sie setzt sich in erster Linie für die Erhaltung des Lebens und für alle Frauenrechte ein. Die Gründerinnen des Vereins sind Familienangehörige der ermordeten Frauen, Frauen von verschiedenen Parteien, Institutionen, Gewerkschaften, anderen Vereinen, aber auch nicht organisierte interessierte Frauen.