Gewalt gegen Frauen in Südkurdistan steigt

Die Gewalt gegen Frauen in Südkurdistan nimmt immer stärker zu. Auch die Suizidrate ist deutlich angestiegen. Fast 300 Frauen wurden allein zwischen Januar und September Opfer eines Feminizids oder sind in den Selbstmord getrieben worden.

Die Gewalt gegen Frauen in Südkurdistan (Nordirak) nimmt immer stärker zu. Auch die Suizidrate ist deutlich angestiegen. Das geht aus einem aktuellen Bericht der Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen der südkurdischen Regionalregierung hervor. Darin dokumentiert die Behörde 35 Feminizide in den ersten neun Monaten des Jahres, die Dunkelziffer dürfte allerdings weitaus höher liegen. Mindestens weitere 57 Frauen sollen Selbstmord begangen haben. In 207 Fällen konnte nicht ermittelt werden, ob Frauen von ihren (Ex-)Partnern oder anderen Familienmitgliedern verbrannt wurden oder den Tod durch Selbstverbrennung wählten.

Der Mai war besonders dramatisch: Innerhalb von zehn Tagen sind gleich vier Mädchen unter 16 Jahren auf ungeklärte Weise gestorben.

Der Bericht macht auch auf den Anstieg von häuslicher Gewalt aufmerksam. Laut einer Statistik der Generaldirektion für soziale Angelegenheiten von Silêmanî wurden zwischen Januar und November insgesamt 191 gewaltbetroffene Frauen und 45 Kinder in Frauenhäusern in der Autonomieregion untergebracht. Für 161 von ihnen war der Aufenthalt in den Einrichtungen nur vorübergehend, ihre Probleme seien gelöst worden, heißt es. 25 der misshandelten und bedrohten Frauen wird weiter Schutz und Hilfe in den Frauenhäusern geboten.

Anstieg von Gewalt nach Unabhängigkeitsreferendum

Die Gewalt gegen Frauen in Südkurdistan hat nach Einschätzungen von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen aus der Region nach dem Unabhängigkeitsreferendum im September 2017 deutlich zugenommen. Dazu gehörten sexuelle und häusliche Gewalt ebenso wie wirtschaftliche Unterdrückung und psychologische Erniedrigung.

Am 16. Oktober 2017 übernahm die schiitische Miliz Hashd al-Shaabi gemeinsam mit dem irakischen Militär die Kontrolle über Kerkûk, Xurmatû, Germiyan, Mexmûr und Şengal, während sich die kurdische Peschmerga zurückzog. Auf diese Weise verlor Südkurdistan einen großen Teil seines Territoriums. Und auch auf die in den betroffenen Regionen lebenden Frauen wirkte sich die Veränderung besonders negativ aus. In der von einer Besatzermentalität geprägten patriarchalen Gesellschaft werden Frauen immer wieder zur Zielscheibe von Machtkämpfen, mit denen ihr Freiheitswillen gebrochen werden soll.

Kaum Maßnahmen für Prävention und Aufklärung

Die Organisation Freier Frauen in Kurdistan (Rêxistina Jinên Azad ên Kurdistanê, RJAK) machte bereits mehrfach darauf aufmerksam, dass häusliche Gewalt eines der größten gesellschaftlichen Probleme Südkurdistans darstellt, das auch nur im Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Kräfte gelöst werden kann. Voraussetzung dafür sei die gemeinsame Haltung, Gewalt gegen Frauen zu verurteilen und zu beenden und die Betroffenen zu unterstützen. Was in Südkurdistan auf gesellschaftspolitischer Ebene fehlt, sind Maßnahmen für Prävention und Intervention, die auf die Verhinderung von Gewalt, den Schutz vor Gewalt oder aber auf die Veränderung gewalttätigen Verhaltens zielen. Öffentlichkeitsarbeit spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen, über die Problematik aufzuklären und möglichst viele Menschen anzusprechen, um alle Bevölkerungsgruppen zu sensibilisieren. Um aber den größtenteils generationenübergreifendenden Kreislauf von Gewalt gegen Frauen zu durchbrechen, fehlt es in Südkurdistan an Maßnahmen – oder am Willen der Politiker.