Innerhalb nur einer Woche haben in der nordkurdischen Metropole Amed (Diyarbakir) drei Frauen auf verdächtige Weise Selbstmord begangen, eine Frau wurde in ihrer Wohnung von einem Bekannten ermordet. Das Bündnis „Kampf gegen Gewalt an Frauen“, in dem zahlreiche Frauenorganisationen aus Amed vernetzt sind, hat auf der Gevran Caddesi im zentralen Stadtteil Ofis eine öffentliche Erklärung zu dem Thema abgegeben. Die Frauen wiesen darauf hin, dass Selbstmorde und Gewalt gegen Frauen eine politische Frage sind. Ihre Kundgebung wurde von Tausenden Polizisten abgeriegelt.
Adalet Kaya erklärte als Vorsitzende des Frauenvereins Rosa, dass jeder Tag mit einer neuen Meldung zum gewaltsamen Tod einer Frau beginnt. Gewalt an Frauen nehme sichtbar weiter zu. „Wir wollen heute ein weiteres Mal das Wort an die politischen Verantwortlichen richten. Wir sind hier, weil wir dafür kämpfen, keine einzige weniger zu werden. Wir möchten die verschiedenen Teile der Gesellschaft an ihre Verantwortung erinnern. Die Gesellschaft hat die Kraft, eine Veränderung zu bewirken, aber sie zieht es als Folge des Feudalismus, der gesellschaftlichen Wertmaßstäbe oder auch der Religion vor, schweigend zu verharren. Wir aber werden unseren Aufstand vergrößern.“
Verdächtige Selbstmorde
Sie seien „wütend und traurig“ sagte Adalet Kaya und wies auf die Todesfälle der letzten Woche hin: „Wir sprechen von ‚verdächtigen‘ Selbstmorden, weil wir anhand offizieller Fakten und aus Zeugenberichten wissen, dass Frauen von Männern durch Unterdrückung und Gewalt zum Selbstmord getrieben und Morde als Selbstmorde kaschiert werden. Wir lassen diese Verdachtsfälle nicht auf sich beruhen und werden kämpfen, bis die Wahrheit ans Licht kommt.“
Dann ging Kaya auf Deniz Ketir ein. Die junge Frau wurde in der Nacht zum 26. Dezember mit ihrem Baby im Arm von einem Bekannten in ihrer Wohnung ermordet. Der Täter ist immer noch nicht gefasst. Im Jahr 2019 sind in Amed 13 Frauen ermordet worden. Das Netzwerk gegen Gewalt an Frauen sieht einen deutlichen Anstieg bei Frauenmorden. „Frauen werden im vertrauten Umfeld von Männern ermordet, die ihnen nahestehen. Ihre Mörder sind ihre Ehemänner, Liebhaber, Väter, Brüder oder Exmänner“, führte Adalet Kaya aus.
Gewalt als Normalzustand
Die Frauen machten darauf aufmerksam, dass Gewalt immer mehr normalisiert wird. Adalet Kaya wies auf den Jahrestag des bis heute ungesühnten Massakers von Roboskî und den Tod von Cihan Can hin. Der 33-jährige Bauingenieur ist am Freitagabend in Amed von einem Bus der türkischen Polizei überrollt und getötet worden. „All das ist ein Zeichen dafür, wie bei uns Gewalt normalisiert wird. Der Vorfall kann nicht einfach als Unfall abgetan werden. Unser Leben wird von einer patriarchalen Denkweise beherrscht, die Gewalt als legitimes Mittel der Konfliktlösung betrachtet. Diese Sichtweise bringt eine immer mehr und immer brutaler werdende Form von Gewalt gegen Frauen mit sich. Wir können diesen Anstieg nicht unabhängig davon betrachten, dass eine Politik der Straflosigkeit herrscht, die Anti-Gewalt-Mechanismen nicht greifen und nicht ausreichend sind und die Errungenschaften, die Frauen sich erkämpft haben, offen angegriffen werden.“
Abschließend sagte Adalet Kaya: „Wir lassen uns nicht einschüchtern, aufhalten oder zum Schweigen bringen. Wir werden unseren Schmerz in Kraft und unsere Wut in Widerstand verwandeln. Wir werden unseren Aufstand ausweiten. Keine von uns ist allein, wir werden nicht eine weniger werden.“