2019 standen Frauen an vorderster Front

Auch wenn die Gewalt gegen Frauen in der Türkei 2019 weiter zunahm, so standen Frauen in diesem Jahr an der Spitze der Antikriegsbewegung und des Hungerstreiks. Die Journalistin Ayşe Güney kündigt an, dass dies 2020 noch zunehmen werde.

Jedes Jahr finden in der Türkei und in Nordkurdistan mehr Frauenmorde statt. Diese Entwicklung steht ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem frauenfeindlichen Agieren der AKP-Regierung. Neben frauenfeindlichen Gesetzen greift das AKP-Regime aber auch insbesondere in Nordkurdistan Errungenschaften von Frauen wie das System der Ko-Bürgermeister*innen an und lässt Fraueneinrichtungen flächendeckend schließen. Der Frauenkampf verlor angesichts dieser Angriffe jedoch auch 2019 nicht an Kraft, sondern brach immer wieder die durch die Repression und den Staatsterror herbeigeführte Totenstille. Die Journalistin und Sprecherin der Journalistinnenplattform von Mesopotamien, Ayşe Güney, beobachtete diese Entwicklungen aus nächster Nähe und sprach mit uns über ihre Erfahrungen.

Die Frauen sagten, sie wollen nicht sterben“

Wie waren Frauen 2019 in den Medien in Kurdistan und der Region vertreten? Inwieweit wurden ihre Kämpfe dort dargestellt?

Das Jahr 2019 war für die Frauen ein Jahr, in dem ihr Widerstand wuchs. Außerdem war es ein Jahr, in dem die Gewalt gegen Frauen, die Vergewaltigungen, die Unterdrückung und die Morde in einem ernsthaften Ausmaß zugenommen haben. Die von der Ko-Vorsitzenden des Demokratischen Gesellschaftskongresses DTK, Leyla Güven, angeführten und von den Friedensmüttern verstärkten Hungerstreiks haben in diesem Jahr die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und auch in Bezug auf die Angriffe auf Nord- und Ostsyrien waren Frauen an vorderster Front aktiv. Frauen haben auch mit ihrer Kampagne „Steh auch du für Freiheit und Wandel auf“ erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und das Tagesgeschehen bestimmen können. Am Ende des Jahres hat sich die Las-Tesis-Performance von Frauen aus Chile als Protestform gegen Gewalt an Frauen auf der ganzen Welt verbreitet und ist zum Mittel des gemeinsamen Kampfes geworden. Dieser Widerstand zeigt natürlich auch das Niveau der Unterdrückung, welches Frauen weltweit erleben. Viele Weltstaaten wenden zur Lösung ihrer Probleme Gewalt an und verfolgen eine Politik des Krieges. Natürlich betrifft diese Politik insbesondere die Kurdinnen und Kurden, die im Zentrum der Kriege leben, und in diesem Zusammenhang verschärft die kurdischen Frauen. Die kurdischen Frauen haben eine sehr starke Haltung gegenüber dieser Politik bezogen, aber leider wurde ihnen weder in den sozialen Medien noch in der Presse der notwendige Wert beigemessen. Der Widerstand wurde verdreht und kriminalisiert. Die Nachrichten wurden im Rahmen der psychologischen Kriegsführung verzerrt, mit dem Ziel, den Widerstand der Frauen zu brechen und ihm den gesellschaftlichen Rückhalt zu nehmen. Aber die Frauen haben sich nicht einschüchtern lassen und das Bündnis „Frauen sind gemeinsam stark“ gegründet. Das war eine wichtige Errungenschaft für die Frauen. Natürlich beschränkte man sich in den Medien nicht alleine auf einen Angriff auf die kurdischen Frauen und ihren Kampf. Der einzige Ort auf der Welt, an dem Frauen, die Las Tesis tanzten, angegriffen wurden, war die Türkei. Und auch über die ermordeten Frauen wird eine Stimmung durch die Medien gemacht, so dass der Eindruck erweckt wird, sie hätten „es verdient“. Demgegenüber machten sich die Frauen zu Verstärkerinnen der Worte der ermordeten Emine Bulut „Wir wollen nicht sterben“. Gegen jede Diffamierung von Frauen in den Medien entwickelten diese einen ebensolchen Widerstand.

Wir leisten Widerstand für die Wahrheit

Kurdische Journalistinnen wurden ebenfalls von dieser Kriminalisierungspolitik ins Visier genommen. Was war dieses Jahr für ein Jahr für Journalistinnen?

Wir erleben eine Zeit, in der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit nicht mehr existieren. Es befinden sich in der Türkei 139 Journalistinnen und Journalisten in Haft. Sie sind alle wegen ihrer Nachrichten und der Reisen, die sie im Rahmen ihrer Arbeit unternommen haben, inhaftiert. Journalisten werden allgemein massiv unterdrückt, aber die Journalistinnen in Kurdistan erleben eine noch wesentlich intensivere Repression. Als Journalistin ist diese Repression kaum noch zu beschreiben. Es befinden sich im Moment zwölf Journalistinnen im Gefängnis. Aber es gibt keine Kollegin, gegen die kein Verfahren eingeleitet wurde. Sie erleben Inhaftierungen, Festnahmen und Drohungen. Ihre Ausrüstung wie Fotoapparate werden beschlagnahmt. Der Onlinezugang zu unseren Agenturen wird blockiert. Wir haben uns dieser Repression entgegengestellt, in dem wir die Wahrheit ans Licht bringen. Das ist unsere Form des Widerstands.

Immer noch Rückzug wegen Repression

Sie haben davon gesprochen, dass die kurdischen Frauen und ihr Widerstand weder in den sozialen Medien noch in der Presse ausreichend präsent waren. Könnten Sie das ein bisschen ausführen? Die Mehrheit der Frauen hat doch ihren Kampf um Gerechtigkeit vor allem auch in den sozialen Medien geführt?

Die sozialen Medien sind heutzutage ein sehr wichtiges Werkzeug. Sie können Millionen von Menschen gleichzeitig erreichen. Es ist wichtig, dort gesehen und gehört zu werden. Es fanden wichtige Kampagnen statt und natürlich werden die sozialen Medien als Mittel von den Kurd*innen intensiv genutzt. Aber ich denke, unsere Sichtbarkeit befindet sich nicht auf diesem Niveau. Die Kurd*innen nehmen sich hier aufgrund der Repression immer noch zurück. Weil so viele Menschen wegen Beiträgen in den sozialen Medien verurteilt und bestraft werden, sind die Kurd*innen immer noch zögerlich dabei, auf dieser Ebene zu protestieren oder sich zu solidarisieren. Gegen die Angriffe auf Rojava gab es aus vielen Kreisen Proteste, das spiegelte sich auch in den sozialen Medien wider. Das stellt in Hinsicht auf Sichtbarkeit eine positive Entwicklung dar, aber es reicht angesichts der Unterdrückung und des Widerstands dagegen nicht aus.

Der Mut verbreitet sich – es gibt keinen Weg zurück“

Sie haben gesagt, dass die Frauen trotz des Anstiegs der Gewalt 2019 den Widerstand angeführt haben. Was erwarten Sie für den Widerstand und dessen Präsenz in den Medien für das kommende Jahr?

Schon seit langem bestimmen Frauen die Tagesordnung und verderben die Spiele der Männerregierung. Die Frauen haben mit ihrem Widerstand Geschichte geschrieben und werden diesen Widerstand im Jahr 2020 noch verstärken und weiter gemeinsam führen. Darum wird auch die Regierungspresse, die uns ignorieren oder diffamieren möchte, nicht herumkommen. Wir werden 2020 viel über den Kampf der Frauen und seine Errungenschaften schreiben. Die Stimme des Widerstands aus Rojava wurde mit Las Tesis aus Chile beantwortet. Der Mut steckt an, für die Frauen gibt es keinen Weg mehr zurück. Der Kampf wird stärker, für uns gibt es keinen anderen Weg als zu siegen. Dieser Mut wird sich auch auf uns Journalistinnen auswirken. Wir haben bereits 2019 den Frauensender JinTV eröffnet, um einen Beitrag zum Frauenkampf zu leisten. Wir haben die Absicht, die Mittel der freien Meinungsäußerung für Frauen im Jahr 2020 weiter auszubauen und die Welt die Stimmen von Frauen hören zu lassen. Wir werden außerdem unsere Bemühungen um einen gemeinsamen Kampf der Journalistinnen intensivieren.