Im Irak sind etliche Frauen landesweit auf die Straße gegangen, um die regierungskritischen Proteste zu unterstützen und die Gewalt von Sicherheitskräften und Milizen gegen Angehörige der Protestbewegung zu verurteilen. Damit widersetzten sie sich bewusst der Forderung des schiitischen Klerikers Moqtada al-Sadr, der eine Geschlechtertrennung bei Kundgebungen fordert. Der Geistliche hatte jüngst beklagt, es sei unmoralisch, dass sich Frauen und Männer bei den Protesten vermischten und sogar einen 18 Punkte umfassenden „Verhaltenskodex” herausgegeben. Heute kritisierte Sadr erneut die Proteste. Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb der Kleriker, die Demonstrationen seien voll von „Nacktheit, Promiskuität, Trunkenheit, Unmoral, Ausschweifung und Ungläubigen.”
Als Reaktion darauf zogen in Bagdad sowie in Landesteilen mit einem hohen schiitischen Bevölkerungsanteil Hunderte Frauen auf die Straßen. In der Hauptstadt bildeten Männer einen Schutzring um die Demonstrantinnen, die immer wieder die Parole riefen „Die Revolution ist weiblich.” Viele Frauen trugen Plakate mit der Aufschrift: „I Can't Believe I'm Still Protesting This Shit”. Auch in Basra und Nasiriya protestierten Frauen gemeinsam mit Männern, und riefen die Regierung auf, die Forderungen der Protestbewegung zu akzeptieren. In Nasiriya waren Ende November mindestens 33 Demonstrant*innen getötet worden, nachdem Sicherheitskräfte mit scharfer Munition und Tränengaskartuschen auf die Aktivist*innen geschossen hatten.
Demonstrantin am Tahrir-Platz, Foto: AFP
Seit dem 1. Oktober wird der Irak von Massenprotesten gegen die politische Elite, Misswirtschaft, Korruption sowie die hohe Arbeitslosigkeit und ihrer gewaltsamen Unterdrückung erschüttert. Sadr stellte sich anfangs hinter die Bewegung und forderte die Regierung zum Rücktritt auf. Der einflussreiche Kleriker ist allerdings bekannt dafür, seine politischen Positionen schnell zu wechseln. Als sich Ende Januar ein Großteil der Protestbewegung über Sadrs „Millionen-Mann-Marsch“ gegen die US-amerikanische Truppenpräsenz im Irak mokierte, entzog er der Protestbewegung seine Unterstützung und stellte sich hinter den neu designierten Ministerpräsidenten Mohammed Tawfiq Allawi. In der Folge gingen Sicherheitskräfte im ganzen Land gegen die Protestcamps vor.
Für die Protestbewegung gehört Allawi allerdings ebenfalls zur korrupten Elite. Sie fordert einen politisch unabhängigen Kandidaten.
Demonstrantin am Tahrir-Platz, Foto: AFP
Fast 550 Tote seit Beginn der Proteste
Nach Angaben der vom irakischen Parlament gewählten Menschenrechtskommission sind seit Beginn der regierungskritischen Proteste vor vier Monaten fast 550 Menschen im Irak getötet worden. Unter den Toten befanden sich demnach 17 Sicherheitskräfte, alle anderen Todesopfer waren Demonstranten oder Aktivisten. 276 von ihnen wurden allein in der Hauptstadt Bagdad getötet, 32 weitere in Najaf.
In 22 Fällen handelt es sich der Menschenrechtskommission zufolge um Mord, die Demonstranten sprechen von mehr als dreißig Personen, die gezielten Attentaten zum Opfer gefallen sind. Mehr als 2.700 Menschen sind festgenommen worden, 328 von ihnen noch immer inhaftiert. Zudem seien mindestens 72 Iraker spurlos verschwunden, ihr Schicksal ist unbekannt.