Besuch bei Leyla Güven

„Niemand kann die Menschen in der Ukraine so gut verstehen wie das kurdische und palästinensische Volk“, so die in der Türkei inhaftierte Politikerin Leyla Güven in einer Grußbotschaft an die riesige Newroz-Feier in Amed.

Die HDP-Politikerinnen Pervin Buldan und Ebru Günay haben ihre Fraktionskollegin Leyla Güven im Gefängnis in Xarpêt (tr. Elazığ) besucht. Das teilt die Demokratische Partei der Völker (HDP) über Twitter mit: „Unsere Ko-Vorsitzende Pervin Buldan und unsere Parteisprecherin Ebru Günay haben unsere als Geisel festgehaltene Abgeordnete Leyla Güven besucht und ihr Grüße ausgerichtet von Millionen Menschen und insbesondere von den Frauen, die zu Newroz die Plätze füllten“, heißt es in dem Tweet mit einem vor dem Gefängnis aufgenommenen Foto.

Pervin Buldan und Ebru Günay vor dem Gefängnis in Xarpêt

Leyla Güven ist seit knapp zwei Jahren erneut im Gefängnis. Die ehemalige HDP-Abgeordnete und Ko-Vorsitzende des zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses KCD (Demokratischer Gesellschaftskongress, tr. DTK) setzt ihren Kampf auch als politische Gefangene fort und meldet sich nach Möglichkeit öffentlich zu Wort. Bei der riesigen Newroz-Feier am Montag in Amed wurde ein Grußwort verlesen, in dem die Politikerin ihre Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass das kurdische Volk mangels anderer Alternativen weiter Widerstand leisten werde:

„Der dritte Weltkrieg geht weiter. Wir erleben eine Zeit, in der alle Systeme zur Veränderung gezwungen sind. Rechtlosigkeit, Ungerechtigkeit und Ungleichheit haben eine globale Dimension angenommen, Grenzen verlieren ihre Bedeutung, die Gesellschaften wollen nicht mehr ohne einen Status leben. Ein neues Jahrhundert nimmt Form an. Dieses Mal spielen die imperialistischen Kriegsbarone ihre Trümpfe über der Ukraine aus. Niemand kann die Menschen in der Ukraine so gut verstehen wie das kurdische und palästinensische Volk.“

Mit Abdullah Öcalan werde auch das kurdische Volk isoliert und dieser Zustand mache sich vor allem im Gefängnis bemerkbar, so Leyla Güven weiter: „Wir sind in unserem gerechten und legitimen Kampf nicht auf Mitleid angewiesen. Als kurdische Frauen sagen wir, dass wir in Bakur, Başûr, Rojhilat und Rojava eine Einheit, ein Zusammensein und ein nationales Bündnis begründen und in ein neues Zeitalter eintreten werden. Mit globaler radikaler Demokratie werden wir eine sozialistische Welt, einen demokratischen Mittleren Osten und eine freie Gesellschaft erreichen.“ Wesentlich sei dabei der von Frauen angeführte Widerstand und das Vertrauen in die eigene Kraft.

Leyla Güven in ihrer Zeit als HDP-Abgeordnete

Zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt

Leyla Güven ist im Dezember 2020 wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft zu mehr als 22 Jahren Haft verurteilt worden. Begründet wurde die Strafe unter anderem mit „matriarchalem Gedankengut“. Wenige Monate zuvor war ihr das Abgeordnetenmandat entzogen worden. Die Mutter von zwei Kindern ist nicht zum ersten Mal im Gefängnis: 2009 wurde sie im Rahmen der international kritisierten „KCK-Operationen” verhaftet und kam erst nach fünf Jahren wieder frei. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war Güven Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Wêranşar.

Im Januar 2018 wurde sie erneut in Untersuchungshaft genommen, diesmal wegen ihrer Kritik am Angriffskrieg gegen Efrîn. Damals erlangte sie auch internationale Bekanntheit, als sie im November desselben Jahres eine insgesamt 200-tägige Hungerstreikbewegung für die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen für den seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan initiierte. Im Juni 2020 wurde sie erneut verhaftet, nur wenige Stunden nachdem das Parlament in Ankara ihr Mandat und damit auch die Immunität entzogen hatte. Als Begründung wurde das inzwischen rechtskräftige Urteil im KCK-Verfahren herangezogen.

Im November 2021 wurde Leyla Güven zu einer weiteren Haftstrafe in Höhe von fünf Jahren wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt. Hintergrund war eine Rede, die sie am 15. Februar 2020 auf einer Kundgebung als Parlamentsabgeordnete in Gever (tr. Yüksekova) hielt. Bei der Veranstaltung ging es unter anderem um die Isolation von Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Güven hatte damals gesagt: „Der Friedensappell von Herrn Öcalan ist von großer Bedeutung. [Der Staat] muss die Isolation beenden und seine Gesundheit sowie Sicherheit gewährleisten. Dann steht dem Frieden im Mittleren Osten nichts mehr im Wege.“ Weil Güven dem Namen von Öcalan die übliche Bezeichnung „sayın” (verehrter, entsprechend dem deutschen „Herr“) vorangestellt hatte, erstatteten die anwesenden Polizisten eine Anzeige.