Leyla Güven zu weiterer Haftstrafe verurteilt

Die inhaftierte kurdische Politikerin Leyla Güven ist zu weiteren fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Indem sie dem Namen von Abdullah Öcalan in einer Rede die übliche Bezeichnung „Herr“ voranstellte, habe sie Terrorpropaganda begangen.

Die kurdische Politikerin Leyla Güven ist erneut zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein Gericht in der Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) verhängte am Freitag eine Haftstrafe in Höhe von fünf Jahren wegen dem Vorwurf der Terrorpropaganda. Hintergrund ist eine Rede, die Güven vor knapp zwei Jahren als Parlamentsabgeordnete in ihrem Wahlkreis Colemêrg hielt. Angeklagt war sie darüber hinaus wegen Volksverhetzung, Verherrlichung eines Straftäters und Beleidigung der Organe des Staates nach dem umstrittenen Paragrafen 301. Von diesen Vorwürfen wurde die 57-Jährige freigesprochen.

Bei der inkriminierten Rede von Güven, die Grundlage für das Verfahren war, handelt es sich um eine Äußerung mit Bezug auf Abdullah Öcalan. Güven trat am 15. Februar 2020 als Rednerin auf einer Veranstaltung in Gever (Yüksekova) auf, bei der es unter anderem um die Isolationshaft des kurdischen Vordenkers auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali ging. Konkret soll die Politikerin laut der anwesenden Polizei gesagt haben: „Der Friedensappell von Herrn Öcalan ist von großer Bedeutung. [Der Staat] muss die Isolation beenden und seine Gesundheit sowie Sicherheit gewährleisten. Dann steht dem Frieden im Mittleren Osten nichts mehr im Wege.“

Weil Güven dem Namen von Öcalan die übliche Bezeichnung „sayın” (verehrter, entsprechend dem deutschen „Herr“) vorangestellt hatte, erstatteten die anwesenden Polizisten eine Anzeige. Auch in der benachbarten Provinz Şirnex ist ein gleichlautendes Gerichtsverfahren gegen die Politikerin anhängig. Dort war es ebenfalls die Polizei, die in Güvens Äußerungen einen Gesetzesverstoß sieht und Beschwerde einreichte.

Verteidiger kündigt Berufung an

Persönlich im Gerichtssaal anwesend war Güven am Freitag nicht. Stattdessen wurde sie aus dem Frauengefängnis in Xarpêt (Elazığ) über das Videoliveschaltungssystem SEGBIS in die Verhandlung eingebunden, äußerte sich jedoch nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Güvens Verteidiger Serdar Çelebi bezeichnete den Prozess als rechtswidrig und hat Berufung angekündigt. Wann das Urteil im Prozess in Şirnex gesprochen werden soll, ist derzeit noch unklar.

Kassationshof: „Verehrter Öcalan“ von der Meinungsfreiheit gedeckt

Trotz einer Entscheidung des türkischen Kassationshofs (Yargıtay) – eines der obersten Gerichte der Türkei aus dem Jahr 2012, wonach „verehrter Öcalan“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, werden Kurdinnen und Kurden immer wieder von der türkischen Justiz wegen dieser gebräuchlichen Anrede willkürlich ins Visier genommen. Grundlage bilden die sehr vage formulierten Antiterrorgesetze, durch die Kolonialrecht gegen die kurdische Opposition zur Anwendung gebracht wird. Mitte April wurde gegen Leyla Güven zudem in Amed (Diyarbakir) ein Verfahren wegen Terrorpropaganda eingeleitet. Hintergrund hier sind Äußerungen der Politikerin bei einer Tagung der „Kurdistan-Allianz“ Anfang 2020. Das Bündnis war im Frühjahr 2019 im Vorfeld der Kommunalwahl gebildet worden, inzwischen beschränkt es seine Aktivitäten nicht länger auf Wahlen. Hauptsächliches Ziel der Front ist die Stärkung der innerkurdischen Einheit.

Wer ist Leyla Güven?

Leyla Güven ist Ko-Vorsitzende des Graswurzelbündnisses „Demokratischer Gesellschaftskongress” (KCD). Vergangenes Jahr wurde sie kurz vor Weihnachten wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft zu mehr als 22 Jahren Haft verurteilt. Begründet wurde die Strafe unter anderem mit „matriarchalem Gedankengut“. Wenige Monate zuvor war ihr das Abgeordnetenmandat entzogen worden. Die Mutter von zwei Kindern ist aber nicht zum ersten Mal im Gefängnis: 2009 wurde sie im Rahmen der international kritisierten „KCK-Operationen” verhaftet und kam erst nach fünf Jahren wieder frei. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war Güven Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Wêranşar.

Im Januar 2018 wurde sie erneut in Untersuchungshaft genommen, diesmal wegen ihrer Kritik am Angriffskrieg gegen Efrîn. Damals erlangte sie auch internationale Bekanntheit, als sie im November desselben Jahres eine insgesamt 200-tägige Hungerstreikbewegung für die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen für den seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan initiierte. Im Juni 2020 wurde sie erneut verhaftet, nur wenige Stunden nachdem das Parlament in Ankara ihr Mandat und damit auch die Immunität entzogen hatte. Als Begründung wurde das inzwischen rechtskräftige Urteil im KCK-Verfahren herangezogen.