Leyla Güven wegen Öcalan-Anrede im Visier der Justiz
Gegen die inhaftierte kurdische Politikerin Leyla Güven sind zwei weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Grund sind Äußerungen über Abdullah Öcalan.
Gegen die inhaftierte kurdische Politikerin Leyla Güven sind zwei weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Grund sind Äußerungen über Abdullah Öcalan.
In einer Rede bei einer Veranstaltung des Provinzverbands der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Şirnex (tr. Şırnak) im Dezember 2020 hatte Leyla Güven dem Namen von Abdullah Öcalan die übliche Bezeichnung „sayın” (verehrter, entsprechend dem deutschen „Herr“) vorangestellt. Die türkische Polizei sieht darin einen Gesetzesverstoß und hat Anzeige erstattet – Güven habe sich mit ihrer Äußerung der „Verherrlichung eines Straftäters” schuldig gemacht. Der Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung ist in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt.
Gleich zwei Staatsanwaltschaften haben ein Ermittlungsverfahren gegen die seit Ende vergangenen Jahres inhaftierte kurdische Politikerin eingeleitet – in Şirnex sowie in Colemêrg (Hakkari). In beiden Provinzen sind die Anklagen von den Strafkammern der Landgerichte zugelassen worden. Konkreter Vorwurf, der im Raum steht: Abdullah Öcalan wurde von Leyla Güven „in ein positives Licht gestellt“. Die Verhandlungstermine stehen laut Serdar Çelebi, einem der Verteidiger von Güven, aber noch nicht fest. Sollte die Ko-Vorsitzende des zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (KCD) verurteilt werden, droht ihr pro Urteilsspruch eine Freiheitsstrafe zwischen zwei und fünf Jahren Haft.
Trotz eines Urteils des türkischen Kassationsgerichtshofs (tr. Yargıtay) – eines der obersten Gerichte der Türkei aus dem Jahr 2012, wonach „verehrter Öcalan“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, werden Kurdinnen und Kurden immer wieder von der türkischen Justiz wegen dieser gebräuchlichen Anrede willkürlich ins Visier genommen. Grundlage bilden die sehr vage formulierten Antiterrorgesetze, durch die Kolonialrecht gegen die kurdische Opposition zur Anwendung gebracht wird. Mitte April wurde gegen Leyla Güven in Amed bereits ein Verfahren wegen Terrorpropaganda eingeleitet. Hintergrund sind Äußerungen der Politikerin bei einer Tagung der „Kurdistan-Allianz“ Anfang 2020. Das Bündnis war im Frühjahr 2019 im Vorfeld der Kommunalwahl gebildet worden, inzwischen beschränkt es seine Aktivitäten nicht länger auf Wahlen. Hauptsächliches Ziel der Front ist die Stärkung der innerkurdischen Einheit.
Wer ist Leyla Güven?
Die im Frauengefängnis Elazığ (ku. Xarpêt) inhaftierte Politikerin Leyla Güven wurde letztes Jahr kurz vor Weihnachten wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft zu mehr als 22 Jahren Haft verurteilt. Begründet wurde die Strafe unter anderem mit „matriarchalem Gedankengut“. Wenige Monate zuvor war ihr das Abgeordnetenmandat entzogen worden. Die Mutter von zwei Kindern ist aber nicht zum ersten Mal im Gefängnis: 2009 wurde sie im Rahmen der international kritisierten „KCK-Operationen” verhaftet und kam erst nach fünf Jahren wieder frei. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war Güven Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Wêranşar (tr. Viranşehir).
Im Januar 2018 wurde sie erneut in Untersuchungshaft genommen, diesmal wegen ihrer Kritik am Angriffskrieg gegen Efrîn. Damals erlangte sie auch internationale Bekanntheit, als sie im November desselben Jahren eine insgesamt 200-tägige Hungerstreikbewegung für die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen für den seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan initiierte. Vergangenen Juni wurde sie erneut verhaftet, nur wenige Stunden nachdem das Parlament in Ankara ihr Mandat und damit auch die Immunität entzogen hatte. Als Begründung wurde das inzwischen rechtskräftige Urteil im KCK-Verfahren herangezogen.