Ayşe Gökkan im Gefängnis misshandelt

Die in der Türkei zu über zwanzig Jahren Freiheitsstrafe verurteilte kurdische Politikerin Ayşe Gökkan ist in der Haftanstalt Sincan bei Ankara misshandelt worden und hat Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt.

Die in der Türkei zu über zwanzig Jahren Freiheitsstrafe verurteilte kurdische Politikerin Ayşe Gökkan ist nach ihrer Verlegung aus dem Frauengefängnis in Amed (tr. Diyarbakir) in die Haftanstalt Sincan bei Ankara misshandelt worden und hat Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt. Die ehemalige Bürgermeisterin und Sprecherin der Frauenbewegung TJA (Tevgera Jinên Azad) ist seit Anfang 2021 im Gefängnis, im April wurde ihre Verurteilung zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation im Berufungsverfahren bestätigt.

In der Strafanzeige wegen Folter und Misshandlung teilt Ayşe Gökkan mit, dass sie am 24. April beim Transport in das anstaltsinterne Krankenhaus im Gefängniskomplex Sincan stundenlang gefesselt war und Atemnot bekam. Ihr sei nicht einmal der Gang zur Toilette gestattet worden, das Vollzugspersonal habe das als Foltermethode genutzt. „Diese Folter hat dreieinhalb Stunden angedauert. Durch die Handschellen sind starke Schmerzen an meinen Handgelenken und tiefe Wunden entstanden“, schreibt Ayşe Gökkan. Nach der Tortur sei sie ohne ärztliche Behandlung zurück auf die Frauenstation gebracht worden. Weil sie beharrlich darauf bestanden habe, sei ihr schließlich ein Attest über die Folterspuren ausgestellt worden.

Gökkan fordert eine Bestrafung der Verantwortlichen und geeignete Maßnahmen, um eine Wiederholung der unmenschlichen Behandlung auszuschließen.

Ayşe Gökkan: Journalistin, Bürgermeisterin, Feministin

Ayşe Gökkan ist 1965 in Pirsûs (Suruç) geboren und hat Journalismus studiert. 2009 wurde sie mit 83 Prozent der Stimmen zur Bürgermeisterin der Kreisstadt Nisêbîn (Nusaybin) gewählt. Mehr als 80 Mal wurde sie im Zuge ihrer politischen Karriere von der türkischen Polizei festgenommen, mehrmals saß sie im Gefängnis. Die Ermittlungsverfahren stützten sich in der Regel auf „Terrorvorwürfe“ im Zusammenhang mit der PKK. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung waren mehr als 200 Prozesse gegen Gökkan anhängig – bei mindestens 167 davon handelte es sich um Einzelverfahren. Die meisten davon fallen in ihre Amtszeit als Bürgermeisterin.

Haftstrafe wegen Protest gegen Mauerbau

Zur Sprecherin der TJA wurde Gökkan im Februar 2020 gewählt. Im Dezember desselben Jahres wurde sie in Mêrdîn (Mardin) zu zwanzig Monaten Haft verurteilt. In dem Verfahren wurde sie beschuldigt, sich in militärischem Sperrgebiet aufgehalten und Sachschäden verursacht zu haben. Der Vorwurf geht auf eine Aktion des zivilen Gehorsams im Oktober 2013 zurück. Als Bürgermeisterin von Nisêbîn protestierte sie damals mit einem Hungerstreik an der Grenze nach Syrien gegen den Bau einer Mauer. Der Aktionsort galt damals offiziell noch als Parkanlage und wurde erst nach Fertigstellung des Bauwerks zu militärischem Sperrgebiet deklariert.

Engagement gegen patriarchale Gewalt illegal?

Die Gesamtfreiheitsstrafe über 30 Jahre Gefängnis hatte Ayşe Gökkan für die für Ausübung demokratischer Grundrechte erhalten. Das ging faktisch aus der Urteilsbegründung hervor. Unter anderem wurde darin der in Amed ansässige – und legale – Frauenverein Rosa als „illegal“ klassifiziert und Gökkan ihr Engagement in der Hilfsorganisation gegen patriarchale Gewalt zur Last gelegt. Außerdem wurde Gökkan die Teilnahme an einer Kundgebung zum von Leyla Güven begonnenen Massenhungerstreik zur Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan zur Last gelegt. Darüber hinaus habe die Politikerin die 2011 in Nisêbîn initiierte „Aktion für eine demokratische Lösung“ unterstützt. Dabei handelte es sich um eine Mahnwache mit der Forderung nach einem Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung.